Orbans Medienvirus

Orbans Medienvirus

Orbans Medienvirus

Der wichtigste unabhängige Radiosender Ungarns, Klubradio, musste kürzlich seinen Sendebetrieb einstellen. Ein Gericht in Budapest hat den Antrag gegen den von der Medienaufsicht NMHH angeordneten Lizenz-Entzug für den Sender abgelehnt. Ungarn widersetzt sich nach Ansicht der EU-Kommission einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Umgang mit Nichtregierungsorganisationen. Deshalb leitete die Brüsseler Behörde ein neues Verfahren gegen Ungarn ein. Lenkt die rechtsnationale Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban nicht ein, drohen dem Land hohe Geldstrafen. – Ein Gast-Kommentar des früheren Süd-Ost-Europa-Korrespondenten der ARD, Publizisten und Podcasters Stephan Ozsváth, zur brisanten Medienlage in Ungarn.


Gleichschalten, behindern kaufen, killen- nach diesem Prinzip kujoniert die Regierung Orbán seit mehr als 10 Jahren Ungarns Medien. Jüngstes Opfer: Das unabhängige Klubrádió verlor seine Frequenz, kann nach einem Votum des Medienrates nur noch im Internet senden. Das Kalkül Orbáns: Bis zu den Parlamentswahlen im nächsten Jahr eine kritische Stimme mit 200.000 Hörer/inne/n erst einmal mundtot zu machen. Orbáns Wahlkampf ist nun ohne viel mediale Störgeräusche möglich, denn Gerichtsverfahren dauern.

Die Machtverhältnisse verschieben sich so weiter zu Gunsten der Regierung. Fast 500 regierungstreuen Zeitungen, TV-Sendern, Radiostationen und Online-Portalen stehen heute vielleicht zwei Dutzend unabhängige Medien gegenüber. Die kämpfen ums Überleben, denn sie bekommen keine staatlichen Anzeigen, 80 Prozent des Werbemarktes grasen die ab, die Orbáns Lied pfeifen.

Die Machtergreifung in den Medien begann vor gut 10 Jahren: Mit einem Mediengesetz, dem Umbau des ÖRR zum Staatsfunk, der Entlassung von unliebsamen Redakteuren, der Einkaufstour regierungsnaher Oligarchen. Online-Portale wurden „umgedreht“, eine Zeitung eingestellt. Orbáns Weg im ROG-Ranking für Pressefreiheit führt steil abwärts: von 23 auf Platz 89 von 180.

Der Umgang der Regierung Orbán mit (kritischen) Journalist/inn/en ist ruppig. Orbáns Regierungssprecher verunglimpft in seinem Blog regelmäßig Pressevertreter, willfährige Propagandisten stellen sie an den medialen Pranger. Ausländische Korrespondent/inn/en kennen diplomatische Interventionen. Orbáns Medienoligarchen expandieren längst nach Slowenien oder Nord-Mazedonien, auch Polen orientiert sich an der Blaupause Budapest. Orbáns medialer Illiberalismus ist so ansteckend wie eine gefährliche Variante des Corona-Virus.

Die Antwort darauf kann nur mehrgleisig sein: Die EU-Kommission darf nicht mehr mit Wattebäuschen werfen – sie muss den Rechtsstaatsmechanismus anwenden, denn Orbáns Propaganda alimentiert mit EU-Geld Fidesz-Oligarchen. Warum nicht eine Finanzierung unabhängiger Medien über Stiftungsmodelle? Die EVP muss ihre Appeasement-Politik beenden und die ungarische Regierungspartei aus der konservativen Parteienfamilie werfen. Medienhäuser im Ausland müssen Recherchen ungarischer Kolleg/inn/en – etwa zur Bereicherung der Familie Orbán – übersetzen, europaweit verbreiten und bezahlen. Mit Spenden kann jeder von uns unabhängige Medien in Ungarn am Leben erhalten. Denn Pressefreiheit ist der Lackmustest für Demokratie. (Stephan Ozsváth)


Spannender Zoom-Talk mit Ivo Mijnssen, NZZ-Korrespondent, und Prof. Anton Pelinka zur Medienlage in Ungarn und Polen zum Nachhören: https://www.rog.at/pm/die-widerspenstigen-2-zoom-talk-zur-situation-in-ungarn-und-polen-und-dem-finanzstreit-auf-eu-ebene/

Updates: Die FIDESZ-Partei des ungarischen Präsidenten Viktor Orban verlässt die bürgerliche Fraktion EVP im EU-Parlament. Damit kam er einer Suspendierung seiner Partei durch die EVP-Fraktion zuvor. Denn diese hatte zuvor mit einer Änderung der Geschäftsordnung den Weg dafür geebnet.

Der ungarische Medienaufsichtsbehörde (NMHH) hat den Antrag des unabhängigen, regierungskritischen ungarischen Radiosenders Klubradio auf den Erhalt der Frequenz 92,9 MHz abgelehnt. Das gab der Medienrat, der ausschließlich mit regierungsnahen Personen besetzt ist, bekannt. Als Begründung wurde angeführt, dass die Bewerbung von Klubradio auf eine Lizenzvergabe weder inhaltlich noch formell den Anforderungen entspreche, der Geschäftsplan sei unbegründet. Dabei würde der Sender jedoch bereits seit 20 Jahren erfolgreich arbeiten, zum Großteil mit der Unterstützung seiner Hörerinnen und Hörer, dementierte das Radio.