Im Kampf gegen Straflosigkeit nach Morden an Medienschaffenden haben drei Pressefreiheitsorganisationen ein sogenanntes Völkertribunal ins Leben gerufen. Die zivilgesellschaftliche Initiative von Reporter ohne Grenzen (RSF), dem Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) und Free Press Unlimited (FPU) hat zum Ziel, mit Hilfe von Recherchen und juristischer Expertise Staatsregierungen zur Rechenschaft zu ziehen, wenn Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten nicht aufgearbeitet und geahndet werden. Eingehend behandelt werden die Fälle von Lasantha Wickrematunge aus Sri Lanka, Miguel Ángel López Velasco aus Mexiko and Nabil Al-Sharbaji aus Syrien. Die Auftaktveranstaltung findet am Dienstag (02.11.) in Den Haag statt.
In vielen Ländern der Welt nimmt die Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten zu. Seit 1992 sind weltweit mehr als 1.400 Medienschaffende getötet worden, in 80 Prozent der Mordfälle wurden die Verantwortlichen nicht verurteilt. Am 2. November, dem Welttag gegen Straflosigkeit für Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten, nimmt deshalb unter Federführung von RSF, CPJ und FPU das Ständige Völkertribunal zu Morden an Journalisten seine Arbeit auf.
Die zivilgesellschaftliche Institution des Ständigen Völkertribunals wurde 1979 in Bologna eingerichtet, in Anlehnung an die vom britischen Philosophen Bertrand Russell mitbegründeten Russell-Tribunale, die Menschenrechtsverletzungen im Vietnamkrieg untersuchten. Das Ständige Völkertribunal konzentriert sich auf schwerwiegende und systematische Verletzungen der Rechte von Völkern, sei es durch Staaten, außerstaatliche Behörden, private Gruppen oder Organisationen. Abgedeckt werden Themen wie Menschenrechte, Wirtschaft, Umwelt, Landeigentum, Teilhabe und Demokratie.
Die Arbeit des Ständigen Völkertribunals zu Morden an Journalisten ist auf sechs Monate angelegt. Auf die Auftaktveranstaltung folgen drei Anhörungen zu je einem der drei Schwerpunktländer, bevor das Tribunal mit der Abschlussanhörung am 3. Mai 2022, dem Welttag der Pressefreiheit, endet. In der Eröffnungsanhörung werden 13 Zeuginnen und Zeugen darüber aussagen, welchen Mustern Gewalt gegen Medienschaffende folgt, welche Ursachen Straflosigkeit hat und welche Verantwortung Staaten tragen. Die Hauptanklägerin, die renommierte internationale Menschenrechtsanwältin Almudena Bernabeu, wird die Anklageschrift formell der Jury übergeben. Die Schrift enthält Anklagen gegen die Regierungen von Sri Lanka, Mexiko und Syrien, weil sie die Morde an Lasantha Wickrematunge, Miguel Ángel López Velasco und Nabil Al-Sharbaji nicht angemessen geahndet haben.
Unter den geladenen Zeuginnen und Zeugen ist unter anderem die philippinische Journalistin Maria Ressa, die gerade mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde und die über die Gefahren sprechen wird, denen sie als Vergeltung für ihre Arbeit ausgesetzt ist. Weitere Zeugen sind Matthew Caruana Galizia, Sohn der ermordeten maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia, die investigative Journalistin Pavla Holcová, Kollegin des ermordeten slowakischen Journalisten Ján Kuciak, und Hatice Cengiz, die Verlobte des ermordeten saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi.
Ständige Völkertribunale sollen Staaten für Verstöße gegen das Völkerrecht zur Rechenschaft ziehen, indem sie die Öffentlichkeit sensibilisieren und Beweismaterial zusammenstellen, und spielen eine wichtige Rolle dabei, Opfer zu stärken und ihre Geschichten zu dokumentieren. Die in diesem Tribunal verhandelten Fälle von Lasantha Wickrematunge, Miguel Ángel López Velasco und Nabil Al-Sharbaji sind jeweils durch anhaltende Straflosigkeit gekennzeichnet. Durch eine detaillierte Dokumentation dieser Fälle wird aufgezeigt, wie die jeweiligen Staaten ihren internationalen Menschenrechtsverpflichtungen nicht nachkommen und welche Auswirkungen Straflosigkeit auf die Opfer, die Ausübung von Journalismus und die jeweiligen Gesellschaften im Allgemeinen hat.
Die Eröffnungsverhandlung findet am Dienstag (02.11.) von 09:00 bis 18:00 Uhr in Den Haag statt.
Almudena Bernabeu, Anklägerin des Ständigen Völkertribunals zu Morden an Journalisten: „Meinungsfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht. Doch die Häufung schwerer Verbrechen gegen Journalistinnen und Journalisten bei zugleich hoher Straflosigkeit ist alarmierend. Es ist an der Zeit, dass Staaten zur Rechenschaft gezogen werden.“
Hatice Cengiz, Nahost-Expertin und Verlobte von Jamal Khashoggi: „Ich nehme am Völkertribunal teil, um die Wahrheit darüber aufzudecken, wie Journalistinnen und Journalisten von Regierungen angegriffen werden, die viel zu verbergen haben. Die Welt muss die Fakten kennen und entschlossen handeln, um die freie Presse zu schützen.“
Matthew Caruana Galizia, Journalist und Direktor der Daphne Caruana Galizia Foundation: „Ich habe mich entschieden, am Tribunal teilzunehmen, weil ich mir Sorgen über die Angriffe von Staaten auf unsere demokratischen Rechte mache. Staatlichkeit ist eine Waffe, die verwendet werden sollte, um die Freiheiten Vieler zu verteidigen. Aber wenn Medienschaffende ermordet werden, weil sie über Korruption und organisierte Kriminalität berichten, ist dies ein Zeichen dafür, dass Staatlichkeit stattdessen zum Schutz der Interessen einiger Weniger missbraucht wird.”