Oho Österreich

Oho Österreich

Oho Österreich

Kommentar von “Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich”-Präsidentin Rubina Möhring in der ersten Ausgabe des “Original”-Magazins im Jahr 2021:

Klein, aber oho: Österreich hat sich im 21. Jahrhundert In jeder Hinsicht gemausert.  Noch im September 2020 sah der damalige US-Präsident Donald Trump in uns primär Waldmenschen, die in Waldstädten leben inmitten von Bäumen, die weitaus explosiver seien als der Baumbestand Kaliforniens. Als neue Hymne wurde bereits ein spezifischer Song favorisiert. Frei nach einem Vorarlberger Rocker-Duo und in Anlehnung an die erste Strophe deren gemeinsamen Hits „Oho Vorarlberg“. Vor knapp 50 Jahren hatten sie den Song aus der Taufe gehoben:  

„Dort, wo die Wälder sinnlos rauschen, wo manchmal blühet der Verstand, wo Hirsche auf den Brunftschrei lauschen, nur dort ist unser Heimatland“. Die einstigen Rocker sind die heute international geehrten Kunstschaffenden und Schriftsteller Michael Köhlmeier und Reinhold Bilgeri. Sie haben weitergeschrieben, haben weiter Kunst geschaffen. Ihr Motto: Immer weiter, immer weiter so.

Anfang dieses Jahres hat nun auch unser Außenminister den Schritt in die Videokunst gewagt. Die Kosten sind gedeckt durch Steuergelder. Als möglicher Arbeitstitel nennen Satiriker: „Wie wir lernten, die Atombombe zu lieben.“  Weiter so?

Zu sehen ist Folgendes: Ein Atompilz direkt über dem Wiener Rathaus, zerstörtes Wohnbauwerk, ein ausgebrannter Passagierbus. All dies unterlegt mit einem seltsamen Thriller-Sound. Sergio Leone komponierte anders.

Untertitelt ist das Video sinngemäß mit der Hiobsbotschaft, Wien könnte zum Ziel eines atomaren Angriffes werden, sollte der internationale Atomwaffenverbotsvertrag nicht unterschrieben werden. Warum gerade Wien, wird nicht erklärt.

Angeblich ist der Clip ein Ablenkungsmanöver von Regierungsmiseren: Pandemie-Chaos, Verlust des Musterschüler-Images mancher Regierenden, ministerielle Besorgung akademischer Titel im Nachbarland Slowakei und vielerlei anderes Ungemach wie leider auch der lockere Umgang mit dem Corona-Virus in Tirol. Hoffen wir, dass es da und da und dort kein entsprechendes „Weiter so“ gibt.

Zeitgleich mit dem „Atom-Video“ liefen im Jänner die Corona-Impfungen für Risikogruppen, Ärzte und Pflegepersonal an. Im ersten Impfrausch stellten sich in diversen Bundesländern auch Repräsentanten des politischen Personals für Impf-Bevorzugungen zur Verfügung. Glänzend war die Rolle, die sie hierbei spielten, nicht. Matt fiel dementsprechend auch die Argumentation für ihre Impfbegehren aus. Nun aber sind sie geimpft und erhalten auch zeitgerecht die notwendigen Folgeimpfungen.  Es lebe politische Umsicht gepaart mit Standesbewusstsein. Stattdessen ist in Krisenzeiten Einsicht an der Tagesordnung.

En suite platzten zugleich einige gesellschaftspolitische „Bomben“: Ibiza-Unterausschuss, extreme Missstände und offenbar schwerwiegende Korruptionsfälle im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Die mangelnde Kommunikation zwischen Innen- und Justizministerium hatte wohl auch den Terrorakt in Wien zur Folge. Vier Menschen verloren an diesem 2. November 2020 ihr Leben, 22 wurden verletzt.

Was ist mit uns geschehen? Offenbar haben Empathie und Gemeinschaftssinn inzwischen ausgedient. Bestens im Kurs stehen dürften stattdessen selbst in politischen Kreisen ausgeprägter Geschäftssinn, politischer Kuhhandel sowie individuelle Egomanien. Kurz gesagt:  Message Control, persönliche Profilierung und Herzlosigkeit sind en vogue, Menschlichkeit, humane, soziale Kriterien hingegen passé. So wirkt es jedenfalls.

Beispiele gibt es zu Genüge: die menschenverachtende Haltung gegenüber Flüchtlingen generell und den geschundenen Lager-Kindern auf der griechischen Insel Lesbos im Besonderen. Die brutale Abschiebepraxis bei hier geborenen, bestens integrierten Schulkindern, die zwar in Wort und Schrift Deutsch fehlerfrei beherrschen, nicht jedoch die Sprache ihrer Eltern. Schuld an der misslichen Lage zweier dieser Kinder sei deren Mutter, sagt der Innenminister vor laufenden Kameras. Der rechtzeitige Antrag auf humanitäres Bleiberecht sei in dessen Ministerium liegen geblieben, sagt der Anwalt der Familie.

Was, so fragt man sich auch, wird  zukunftsorientiert für jene Familien getan, die nun am Rande des Existenzminimums leben. Was für all die Kinder, die dem digitalen Schulunterricht nicht folgen können, weil sie in total beengten Wohnsituationen leben, oft ohne Internet und Computer. Heute stellen sie noch kein Wählerpotential dar. Eines Tages werden sie es sein.

Und wie begegnet die Regierung der stetig wachsenden Arbeitslosenzahl sowie dem zu erwartendem Bankrott kleinerer, selbständiger Unternehmen und Geschäfte? Wird der Begriff Kultur endgültig aus der Wahrnehmung politischer Führungskräfte gestrichen? Wollen wir weiter so vor uns hin leben?

Bleibt zu hoffen, dass in absehbarer Zeit Empathie, soziales Empfinden und soziale Gerechtigkeit wieder gelebt werden und jenen Wert zuerkannt bekommen, der ihnen gebührt. Dies im Sinne eines neuerlichen sozialen Friedens, um eine Spaltung unserer Gesellschaft zu vermeiden: im Sinne der Achtung der Menschenrechte, der Grundrechte, im Sinne des Grundsatzes, „die Würde des Menschen ist unantastbar“. Keine Frage – in diesem Sinne heißt die Parole eindeutig:  weiter so.

Die vorliegende „Original“-Ausgabe zeigt auf, wie viele gesellschaftspolitische und ökologisch großartige Projekte jenseits medialer Schlagzeilen im Sinne eines positiven „Weiter so“ entwickelt wurden und werden. WEITER SO.

Link zum “Original”-Magazin: https://original-magazin.at/