Massenüberwachung verfassungswidrig

Massenüberwachung verfassungswidrig

Massenüberwachung verfassungswidrig

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat die Überwachung des weltweiten Internetverkehrs durch den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) für verfassungswidrig erklärt. Anlass war eine Verfassungsbeschwerde, die Reporter ohne Grenzen (RSF) gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sowie vier weiteren Medienorganisationen eingereicht hatte.

Das maßgebliche BND-Gesetz missachte die Telekommunikationsfreiheit in Artikel 10 des Grundgesetzes, weil es die Bindung der Auslandsüberwachung an das Grundgesetz nicht anerkenne. Bei der Neufassung des BND-Gesetzes, die bis Ende 2021 zu erstellen ist, müsse der Gesetzgeber beachten, dass eine anlasslose Auslandsüberwachung nur in eng begrenzten Fällen möglich sei. Auch müssten verletzliche Personengruppen wie Journalistinnen und Journalisten besonders geschützt werden. Weiter müsse die Auslandsüberwachung wesentlich effektiver durch unabhängige Gremien mit eigener Budgethoheit kontrolliert werden. Das Urteil setzt damit neue Standards im internationalen Menschenrechtsschutz und für die Freiheit der Presse. Der Gesetzgeber muss das BND-Gesetz nun entsprechend den Maßgaben des Gerichts nachbessern.

Der Fall warf unter anderem die Grundsatzfrage auf, ob deutsche Behörden im Ausland überhaupt an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden sind. Das hat das Bundesverfassungsgericht für Artikel 10 des Grundgesetzes nun unmissverständlich bejaht. „In sehr schwierigen Zeiten für die Demokratie hat das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit dem Urteil die Bedeutung der Pressefreiheit deutlich hervorgehoben,” sagt Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich und betont den Erfolg den das Urteil im Einsatz für Presse- und Informationsfreiheit darstellt.

Neue Standards für die Arbeit des BND

Gerade dass der BND sich im Ausland nicht an die Grundrechte gebunden sah, hatte die klagenden ausländischen Journalistinnen und Journalisten zu ihrer Verfassungsbeschwerde motiviert. Die umfassende Überwachung durch Nachrichtendienste kann die Arbeit freier Medien behindern, weil Medienschaffende und ihre Quellen kaum noch vertraulich kommunizieren können. Die Journalistinnen und Journalisten freuen sich darüber, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts neue Standards für die Arbeit des BND setzt, und hoffen auf eine internationale Signalwirkung für die Tätigkeit der Nachrichtendienste anderer Länder.

Die für Journalistinnen und Journalisten wichtigen Passagen des Urteils finden sich konkret in den Rand-Nummern 193 bis 198. Die Richterinnen und Richter fordern, bei der Massen-Überwachung “besondere Anforderungen (…) an den Schutz von Vertraulichkeits-Beziehungen” zu stellen. “Die  journalistische Tätigkeit rechtfertigt nicht, Personen einem höheren Risiko der Überwachung auszusetzen (…) und sie wegen ihrer Kontakte und Recherchen zum Objekt der Informationsabschöpfung zur Verfolgung von Sicherheitsinteressen zu machen”. Das Gericht fordert stattdessen “qualifizierte Eingriffsschwellen” für eine Überwachung der Presse, die nur in Einzelfällen zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten gerechtfertigt sein könne. Die Bundesregierung wird neue Standards zur Kontrolle des BND erarbeiten müssen, um den Schutz der Pressefreiheit angemessen umzusetzen.

Bisher beteiligt sich der Bundesnachrichtendienst an einem globalen System, in dem Geheimdienste de facto partnerschaftlich je einzelne Teile der Welt überwachen und Daten gemeinsam austauschen. Auch hier sollen Journalistinnen und Journalisten künftig besser geschützt werden (Rn. 240-241, 256-257). Der BND darf Daten nur noch teilen, wenn der ausländische Nachrichtendienst ein Schutzniveau hat, welches dem Grundgesetz vergleichbar ist.

Erfreulich ist, dass die Karlsruher Richterinnen und Richter in diesem Zusammenhang auch “unter Verfolgungsdruck stehende Dissidenten oder sogenannte Whistleblower” nennen. Daten über sie müssten ebenfalls vor einer Weitergabe an ausländische Geheimdienste besonders geschützt werden – ein Novum in der deutschen Rechtsgeschichte.

Das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts ist das erste zur BND-Überwachung seit über 20 Jahren. Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert, dass bei anstehenden Reform der Schutz journalistischer Kommunikation im BND-Gesetz verankert wird.

Edward Snowdens Enthüllungen standen am Anfang

Über sieben Jahre, nachdem Edward Snowden ein globales System geheimdienstlicher Massenüberwachung enthüllt hat, hat das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der deutschen Beteiligung daran höchstrichterlich entschieden. Im Zuge des NSA-Skandals hatte ein Untersuchungsausschuss des Bundestages ans Licht gebracht, dass der BND als Steigbügelhalter der NSA fungierte, woraufhin die damalige Große Koalition ein neues BND-Gesetz verabschiedete.

Doch anstatt dem Auslandsgeheimdienst klare Schranken zu setzen, wollte die Bundesregierung die praktisch flächendeckende Auslandsüberwachung einfach pauschal legalisieren – trotz massiver Proteste aus der Zivilgesellschaft und ohne die Grenzen der Verfassung zu beachten. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte koordinierte daraufhin ein Bündnis aus international renommierten Journalistinnen und Journalisten sowie fünf Medienorganisationen, darunter Reporter ohne Grenzen. Gemeinsam reichten sie Ende 2017 Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz ein. Die Klägerinnen und Kläger fürchten unter anderem eine Aushöhlung des Quellenschutzes.

Teil des Bündnisses sind neben der GFF und Reporter ohne Grenzen auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), die Deutsche Journalistinnen und Journalisten Union dju in ver.di, das Journalistennetzwerk n-ost sowie das netzwerk recherche. Zu den Beschwerdeführerinnen und -führern gehört unter anderem die Trägerin des Alternativen Nobelpreises, Khadija Ismajilova. Verfahrensbevollmächtigter ist der Mainzer Hochschullehrer Prof. Dr. Matthias Bäcker; Reporter ohne Grenzen wird daneben vertreten von Rechtsanwalt Dr. Bijan Moini (GFF).

In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF) liegt Deutschland auf Platz 11.