Über die Rangliste der Pressefreiheit
Die Rangliste der Pressefreiheit wird seit 2002 jährlich erstellt und misst durch 117 Fragen die Situation von Journalistinnen und Journalisten, Medienhäusern und zivilen Bürgerreporterinnen und -reportern in 180 Ländern. Damit ist die Rangliste der Pressefreiheit eines der besten Instrumente, um Informationsfreiheit sowie Pressefreiheit in einer Region zu erfassen. Der Index ist allerdings kein Beurteilungsmaßstab für die Qualität von Journalismus, die durch verschiedene rechtliche Rahmenbedingungen eingeschränkt sein kann.
Massive Verschlechterung: Österreich verliert seine weiße Weste
Bislang war Österreich – trotz auffällig hoher Inseratendichte, des weiterhin verschleppten transparenten Informationsgesetzes und der Beibehaltung des Amtsgeheimnisses – immer im weißen, unbedenklichen Bereich der Rangliste zu finden. Dieses Jahr ist das anders: Österreich rutscht von Platz 11 auf Platz 16 und verliert damit nicht nur fünf Ränge und 1,29 Punkte im Score, sondern vor allem seine Einstufung als Land mit guter Pressesituation. Damit verliert Österreich seine weiße Weste.
„Das ist alarmierend. Aus unseren Nachbarländern wissen wir, wie leicht angreifbar scheinbar unangreifbare Werte wie Pressefreiheit sind. Umso mehr müssen wir uns für sie einsetzen. Ich bin schockiert darüber, in welche Richtung sich die Pressefreiheit in einem Land wie Österreich entwickelt hat. Unabhängiger Journalismus ist Basis jeder Demokratie und muss entsprechend verteidigt werden“, bilanzierte Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich.
Ausschlaggebend ist neben der Platzierung auch der Score. Dieser lag 2015 noch bei 10,85 Punkten, verschlechterte sich seither aber von Jahr zu Jahr. 2016 lag er bei 13,18, 2017 bei 13,47 und 2018 bereits bei 14,04. Dieses Jahr sank er um dramatische 1,29 Punkte auf 15,33. Länder ab 15 Punkten werden als ausreichend beschrieben.
Die massive Verschlechterung erklärt sich vor allem durch die direkten Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten durch die Politik. Vor allem seit Beginn der Koalition der Parteien ÖVP und FPÖ sind direkte Angriffe auf Medien häufiger geworden. Damit liegt die österreichische Regierung im „Trend“ – weltweit werden verbale Angriffe, die ein Klima der Einschüchterung entstehen lassen, immer mehr zum Problem für unabhängigen Journalismus. Das geschieht weniger subtil als noch zuvor. Auswirkung vor der Angst vor persönlichen Angriffen ist vor allem eines: Selbstzensur und folglich weniger kritische Berichterstattung. Die Effekte des neuen Feindbildes Journalist sind tiefgreifend und vermutlich langanhaltender als die Regierung selbst.
Persönliche Angriffe
Beispiele für persönliche Angriffe seitens der Politik auf JournalistInnen werden immer häufiger Vizekanzler Heinz-Christian Strache versuchte beispielsweise den ORF-Moderator Armin Wolf zu diffamieren. „Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden“, postete er auf seinem reichweitenstarken Facebookprofil.
Ähnlich erging es ORF-Korrespondent Ernst Gelegs, bei seiner Direktberichterstattung aus Budapest anlässlich der Wiederwahl von Ministerpräsident Viktor Orbán. Gelegs hatte professionell distanziert berichtet, ohne irgendwelche Sympathiebekundungen. Darauf wurde von Seiten der FPÖ seine Abberufung als Korrespondent gefordert. Generell wurde angekündigt, ein Drittel der Korrespondentenposten streichen zu wollen, sollten die JournalistInnen nicht „korrekt“ berichten. Unter anderem forderte die FPÖ auch die Absetzung des Redaktionsleiters Wolfgang Wagner wegen zu kritischer Fragen in der wöchentlichen Sendung „Report“.
Ein Bericht über Burschenschaften brachte wiederum Standard-Redakteurin Colette Schmidt ins Zentrum des Hasses: Die Jugendorganisation der FPÖ veröffentlichte ein Foto von ihr, gemeinsam mit ihrer Mailadresse und der Aufforderung, Schmidt zu schreiben.
Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ etwa richtete in einem Schreiben an die Polizei die Weisung, „kritische Medien“ von Informationen fernzuhalten und nannte die „kritischen Medien“ sogar namentlich.
Rangliste international
Die ersten Plätze belegen Norwegen, Finnland und Schweden. Damit sind weiterhin sieben von zehn Ländern in den Top Ten europäisch. Auf Rang 7 liegt Neuseeland, auf Rang 8 Jamaika und auf Rang 10 Costa Rica. Am weitesten aufgeholt haben Äthiopien (+40 Plätze), Gambia (+30 Plätze) und Tunesien (+25 Plätze).
Die größten Verlierer sind die Zentralafrikanische Republik (-33 Plätze), Tansania (-25 Plätze) und Nicaragua (-24 Plätze). Auch Ungarn (-14 Plätze), Serbien (-14 Plätze) und Malta (-12 Plätze) sind dramatisch abgestürzt. Auf den letzten drei Rängen liegen Eritrea, Nordkorea und Turkmenistan.
Atmosphäre der Angst
Der Trend des Vorjahres, dass Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten nicht mehr nur auf autokratische Länder oder Kriegsgebiete beschränkt sind, setzt sich leider fort. Auch in vielen Demokratien werden Medien als Gegner wahrgenommen. Besonders politische Führer äußern sich zunehmend gegen Medienschaffende. Das Resultat ist ein Klima der Angst, das schwerere Angriffe erst ermöglich.
Weltweit hat sich die Beurteilung um 0,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert. Seit 2014 ist sogar ein Absturz um 11 Prozent zu verzeichnen. Insgesamt weisen 24 Prozent der 180 Länder eine gute (weiß) oder ausreichende (gelb) Situation für die Pressefreiheit auf. Noch im Jahr 2018 waren es 26 Prozent.
0 – 15 Punkte gute Situation (weiß)
15,01 – 25 Punkte ausreichende Situation (gelb)
25,01 – 35 Punkte spürbares Problem (orange)
35,01 – 55 Punkte schwierige Situation (rot)
55,01 – 100 Punkte sehr schwierige Situation (schwarz)
Im Vergleich der Regionen hat sich dieses Jahr die Situation in Nord- und Südamerika am meisten verschlechtert. Die USA rutschten dieses Jahr nach einer Schießerei in einer Redaktion in den orangen Bereich (schwierige Situation). Die zweitgrößte Verschlechterung weist Europa auf.
Im Jahr 2018 wurden 80 JournalistInnen getötet. In den vergangenen 10 Jahren waren es insgesamt 702. 348 Journalisten wurden festgehalten, 60 als Geisel genommen. Dieses Jahr wurden bereits 6 JournalistInnen getötet.
Methodologie
Ein Fragebogen bestehend aus 117 Fragen wird weltweit an Expertinnen und Experten geschickt und beantwortet. Darauf aufbauend wird in 7 Kategorien ein Punktewert vergeben. Einbezogen werden Ereignisse zwischen 1. Jänner und 31. Dezember 2018. Die Expertinnen und Experten wurden zwischen November 2018 und Mitte Jänner 2019 befragt.
- Pluralität: Misst, inwiefern verschiedene Meinungen abgebildet sind.
- Medienunabhängigkeit: Misst, wie stark Medien unabhängig vom Einfluss von Politik, Regierung, Wirtschaft oder Religion arbeiten können.
- Umwelt und Selbstzensur: Analysiert die Umgebung, in der Nachrichtenhäuser agieren.
- rechtliche Rahmenbedingungen: Misst, welchen Einfluss der rechtliche Rahmen hat, innerhalb dessen Medien arbeiten.
- Transparenz: Misst die Transparenz von Institutionen und ihren Einfluss auf die Entstehung von Nachrichten.
- Infrastruktur: Misst die Qualität der Infrastruktur, die Journalistinnen und Journalisten bei der Beschaffung von Informationen unterstützt.
- Gewalt: Zeichnet alle Formen von Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten auf.
Jedem Indikator wird eine Wertung zwischen 0 und 100 zugewiesen. Die Indikatoren 1-6 werden kombiniert und mit dem Indikator 7 aufgerechnet. So soll verhindert werden, dass Länder mit massiven Einschränkungen und engmaschiger Informationskontrolle, aber ohne physische Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten im Score zu gut abschneiden.
Zu beachten ist bei der Bewertung der Rangliste ein mechanischer Effekt. Die Lage der Pressefreiheit in einem Land kann gleichbleibend sein, durch Veränderungen in der Rangliste von zuvor ähnlich bewerteten Ländern kann aber ein Auf- oder Abstieg möglich sein. Der Rang der Länder ist deshalb immer im Zusammenhang mit ihrem Score zu sehen.
Über Reporter ohne Grenzen Österreich
Seit 1998 gibt es in Österreich eine Sektion der international tätigen NGO Reporter ohne Grenzen. Der Verein mit mehr als 150 Mitgliedern setzt sich für Bewusstseinsbildung rund um Pressefreiheit ein und unterstützt Journalistinnen in Österreich und weltweit. Jährlich wird von Reporter ohne Grenzen Österreich der Press Freedom Award für besondere Verdienste um unabhängigen Journalismus vergeben, zuletzt an den montenegrinischen Investigativjournalisten Jovo Martinovic. Seit 2001/2002 leitet Dr. Rubina Möhring Reporter ohne Grenzen Österreich.
Weiterführende Informationen:
Informationen zur Methodologie (Englisch)
Regioneninfo Europa (Englisch)
Regioneninfo Osteuropa und Zentralasien (Englisch)
Regioneninfo Nordamerika (Englisch)
Regioneninfo Lateinamerika (Englisch)
Regioneninfo Naher Osten (Englisch)
Regioneninfo Nordafrika (Englisch)
Regioneninfo Afrika (Englisch)
Regioneninfo Asien / Pazifik (Englisch)