Seit der Angelobung der österreichischen, konservativ-rechtspopulistischen Regierung am 18. Dezember 2017 mehren sich rapide die Anzeichen, dass in Österreich die Medienfreiheit eingeschränkt wird, dass Journalisten, Journalistinnen öffentlich von Politikern angegriffen werden. Reporter ohne Grenzen Österreich kritisiert die Diffamierung konstruktiv-kritischer Journalist/innen und Medien durch hochrangige Regierungsmitglieder wie den Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Zugleich warnt Reporter ohne Grenzen vor der Gefahr einer demokratiefeindlichen Informationspolitik seitens der demokratisch gewählten Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Ein Beispiel: Am 20. Februar wurde in Wien der neue Aufsichtsrat des öffentlich-rechtlichen Senders ORF gewählt. Den Vorsitz dieses Gremiums wird nun von der Junior-Koalitionspartei, der rechtspopulistischen FPÖ gestellt. Diese Partei vereint antisemitische, rassistische Burschenschaften, deren Mitglieder seit dem 18. Dezember 2017 auch in der Regierung und in Ministerien etabliert wurden. Zwei Burschenschafter haben es in Ministerämter geschafft, 16 in den Nationalrat.
Machtspiele im Österreichischen Rundfunk
Auch in das oberste ORF-Aufsichtsratsgremium wurde dieser Tage auf Beschluss der Regierung nach 20 Jahren nicht mehr der politisch unabhängige Präsident der Hilfsorganisation Caritas, Franz Küberl, bestellt. Er meinte: „Die Medienpolitik einer Regierung muss immer um einiges mehr sein, als darauf zu achten, ob sie sich im öffentlich-rechtlichen Radio oder TV gut vermarkten kann.“ Reporter ohne Grenzen weist darauf hin, dass öffentlich-rechtliche Medien keine Staatsmedien sind, sondern ausschließlich der politisch unabhängigen Information der Gesellschaft dienen sollten. Fälle wie etwa das Gerücht um das geplante Ende des linksliberalen Radiosenders FM4, das von der Regierung nicht dementiert wurde, verstärkten diesen Eindruck von Machtspielen und Einschüchterungstaktiken gegen Journalist/innen. Auch der Zugang zu Informationen wird durch eine professionalisierte (stringent organisierte) Medienpolitik erschwert. Anstelle der bisher möglichen direkten Auskunft durch Minister/innen setzten ÖVP und FPÖ einen sogenannten Regierungssprecher ein. Reporter ohne Grenzen befürchtet dadurch eine Vereinheitlichung der Information auf Kosten der Medienfreiheit.
Allein zwei Monate nach dem Antritt der konservativ-rechtspopulistischen Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz ermahnt bereits der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen die rechtspopulistische Regierungspartei FPÖ und deren Parteivorsitzenden, Vizekanzler Heinz-Christian Strache, die Pressefreiheit im Sinne demokratiepolitischer Prinzipien nicht negieren, sondern respektieren zu sollen. „Verunglimpfungen oder gar Lügenvorwürfe ohne jegliche Substanz gegenüber einer Person haben keinen Platz in der öffentlichen Debatte.“ Derartiges sei „nicht respektvoll und stellt die Pressefreiheit infrage“, so Van der Bellen. Konkret sprach Van der Bellen das Posting von FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache gegen den ORF-Moderator Armin Wolf an.
Nicht so deutliche Worte wie der Bundespräsident fand der seit zwei Monaten amtierende Bundeskanzler Kurz. Ungeklärt bleibt damit die Frage, ob der Kurz in dieser Angelegenheit die Meinung seines rechts-populistischen Vizekanzlers im Rahmen des Regierungsprogrammes inhaltlich voll und ganz unterstützt. Bekanntlich steht dieser ja auch in gutem Kontakt zu Frankreichs rechtspopulistischer Politikerin Le Pen und zu Russlands Präsident Putin. Fest steht jedenfalls, dass mit 1. Juli 2018 dieser österreichische Bundeskanzler für ein halbes Jahr lang den Vorsitz des Europäischen Rates innehaben wird. Reporter ohne Grenzen fordert auch von ihm ein klares Bekenntnis in Sachen Medienfreiheit und zur Integrität von Journalist/Innen. Bisher hielt sich die Kanzler-Partei ÖVP in dieser Hinsicht sehr bedeckt. Bekannt ist lediglich, dass der konservativen Partei eine Stärkung der Privatsender zusagen würde, wie Medienminister Gernot Blümel etwa in der Diskussionssendung Im Zentrum Anfang März meinte.
Reporter ohne Grenzen erwartet ein Machtwort des österreichischen Bundeskanzlers zum Schutz öffentlich durch den Regierungspartner FPÖ diffamierter Journalisten und Journalistinnen.
Colette Schmidt und der RFJ
Beispiele für diese Angriffe gibt es leider mehrere. Ende Jänner gab es da etwa den Fall von Colette Schmidt. Schmidt ist Journalistin der links(kritisch) liberalen Tageszeitung Standard, in dem sie einen Artikel über den Liederbuch-Skandal schrieb, bei dem unmittelbar vor der niederösterreichischen Landtagswahl ein Liederbuch mit stark antisemitischen Inhalten aus der Burschenschaft des FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer an die Öffentlichkeit gelangte.
Die Jugendorganisation der FPÖ, der Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) Steiermark postete daraufhin: „Das ist Colette. Colette schreibt für den Standard und stellt gerne FPÖ-ler an den Pranger. Falls ihr Colette etwas zu sagen habt, dann bitte unter:“ gemeinsam mit ihrer Mailadresse und einem Video, auf dem sie zu sehen ist. Selbst nach hauptsächlich negativen Rückmeldungen zum Vorgehen des RFJ meinte dessen geschäftsführender Landesobmann, dass das Posting nicht als Mobbing-Aufruf zu sehen sei und verwies auf den „unsäglichen Versuch von Schmidt, einen Konnex zwischen unbescholtenen Menschen“ mit dem Liederbuch-Skandal herzustellen. Er sieht keinen Verstoß gegen die Rechtsvorschriften. Der Standard sieht das hingegen anders. Er plant gerichtlich gegen das Posting vorzugehen.
Wochenblick kritisiert „Hass-Hanna“
Nur kurze Zeit später wurde Hanna Herbst, stellvertretende Chefredakteurin des Online-Magazins Vice, zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Nach der Landtagswahl in Niederösterreich, die vom Skandal der antisemitischen Liedertexte der Burschenschaft des FPÖ-Spitzenkandidaten dominiert worden war, twitterte Herbst: „FPÖ verdoppelt sich. Dieses Land sollte einfach nicht existieren“. Die FPÖ-nahe Website Wochenblick widmete Herbst 2017 daraufhin einen Artikel, der ihre Aussage verurteilte und der von hochrangigen FPÖ-Mitgliedern wie Nationalratsabgeordnetem Christian Höbart, dem Tiroler-FPÖ Chef Martin Abwerzger und sogar von Vizekanzler Heinz-Christian Strache geteilt wurde und dadurch sehr schnell verbreitet wurde. In dem Artikel wurden außerdem ORF 1 – Radiojournalist Stefan Kappacher und eine parlamentarische SPÖ-Mitarbeiterin abwertend erwähnt, die den Tweet kritisch kommentiert hatten.
Der angriffige Artikel erfuhr einige Aufmerksamkeit, darunter auch von SPÖ-Chef Christian Kern, der sich dazu äußerte: „FPÖ&Freunde sind gerade dabei die Grenzen politischer Kultur&Moral Stück für Stück zu verschieben. Das darf man nicht hinnehmen. Sie repräsentieren nicht unser Österreich“ Der Wochenblick legte daraufhin mit einem weiteren Artikel nach. „Hübsche „Hass-Hanna“: Jetzt verteidigt sie unser Ex-Kanzler!“ war der Titel, im Teaser wurde sie als „an sich fesche Feministin und jetzt beleidigte Blondine“ bezeichnet.
Armin Wolf, der ORF und die FPÖ
Weitaus mehr Aufsehen erregte hingegen die Auseinandersetzung zwischen Armin Wolf als Symbolfigur des Österreichischen Rundfunks (ORF) mit der FPÖ. Die Animositäten reichen weit zurück. Schon im Juni 2017 etwa hatte FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl bei einer Rede ORF-Redakteurssprecher Dieter Bornemann, Chefredakteur Fritz Dittlbacher und Anchorman Armin Wolf als „Apfelsaft-Fraktion“ bezeichnet. Besonders Armin Wolf ist dafür bekannt, wenig Alkohol zu trinken. Seit er das erfahren habe, so Kickl, trinke er wieder mehr Bier.
Auch der FPÖ-nahe Stiftungsrat im ORF, Norbert Steger, scheint journalistische Freiheit nicht besonders zu schätzen. In einem Interview im Dezember 2017 meinte er nach einem Interview von Armin Wolf mit Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache, dass Redakteure Politikern respektvoll gegenüberzutreten haben und Armin Wolf sich „noch immer eine Spur unbotmäßig gegenüber den beiden verhalten“ habe.
Als Anfang Februar 2018 die Zeit im Bild 1, (die Primetime- Nachrichtensendung ) eine renommierte Nachrichtensendung des ORF, über den Transitgipfel in München berichtete, kam der Infrastrukturminister der FPÖ, Norbert Hofer, der auf der Veranstaltung Österreich vertrat, im Beitrag nicht vor. Hofer beschwerte sich über den Fehler des ORFs ihn nicht erwähnt zu haben und forderte ein Ende der „GIS-Zwangsgebühr“.
Die FPÖ war traditionell gegen die ORF-Gebühr eingetreten, hatte aber nur drei Tage zuvor mit einem Interview von FPÖ-Mediensprecher Hans-Jörg Jenewein auf Radio Ö1 ihre Position auf Regierungslinie gebracht. “Wir wollen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Österreich. Das ist, glaube ich, eine wichtige Klarstellung, weil es auch andere Meinungen dazu gegeben hat. (..) Wenn man öffentlich-rechtlichen Content haben möchte, dann muss man so ehrlich sein und den Leuten sagen: Das kostet Geld. (..) Sie werden zugestehen, dass man in einer Oppositionsrolle in gewisser Weise anders politisch agiert als in einer Regierung.”
Im Wahlkampf zur Tiroler Landtagswahl unterlief dem ORF Landesstudio Tirol dann ein weiterer Fehler. In einem Beitrag unterhielt sich der Tiroler FPÖ-Spitzenkandidat Markus Abwerzger mit einem älteren Herrn, der sich antisemitisch geäußert hatte. An dieser Stelle endete der Beitrag, ohne zu zeigen, dass Abwerzger anschließend leicht abwiegelte: „Das soll man aber nicht sagen“.
Die FPÖ reagierte mit einer Kampagne gegen den ORF, vor allem aber auch gegen „Zeit im Bild- 2“ – Anchorman Armin Wolf. Der Journalist, einer der bekanntesten ORF-Moderatoren, war für die Gestaltung des Beitrag des Landesstudios Tirol nicht verantwortlich. Der Beitrag war vom Landesstudio Tirol so abgenommen und nach Wien überspielt worden. Trotzdem postete Vizekanzler Heinz-Christian Strache ein Foto von Armin Wolf mit dem Text „Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF. Das Beste aus Fake News, Lügen und Propaganda, Pseudokultur und Zwangsgebühr. Regional und international. Im Fernsehen, im Radio und auf dem Facebook-Profil von Armin Wolf“. Nach großem Protest entschuldigte sich Strache später – das Posting sei im Fasching verfasst worden und nicht als Beleidigung, sondern als Satire zu verstehen. Armin Wolf und der ORF klagen trotzdem.
Brisant werden die persönlichen Angriffe vor allem vor dem Hintergrund der aktuell laufenden Machtkämpfe um Finanzierung und Besetzung von Spitzenpositionen im ORF. Die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ haben sich bereits eine Zweidrittelmehrheit im Stiftungsrat – vergleichbar mit dem Aufsichtsrat eines Wirtschaftsunternehmen – gesichert und könnten somit auch den SPÖ-nahen Generaldirektor Alexander Wrabetz absetzen. Dieser hatte zuvor noch umfangreiche Reformen angekündigt, aufgrund derer unter anderem auch die quotenstarke „Zeit im Bild 2“, moderiert von Armin Wolf und Lou Lorenz-Dittlbacher – Ehefrau von Chefredakteur Fritz Dittlbacher -, durch starke Gegenprogrammierung an inhaltlicher Bedeutung und Einschaltziffern verlieren könnte. Neubesetzungen hoher Positionen stehen in jedem Fall bevor, bei Detailnachfragen wird auf eine Medienenquete verwiesen, die im Juni 2018 stattfinden soll.