Reporter ohne Grenzen (RSF) ruft die internationale Gemeinschaft erneut dazu auf, sich stärker für den Schutz palästinensischer Journalistinnen und Journalisten einzusetzen. Im israelischen Krieg gegen die Hamas sind seit dem 7. Oktober 2023 mindestens 112 Medienschaffende getötet worden. Angesichts der Bombardierungen ist es für Journalistinnen und Reporter in Gaza extrem gefährlich, ihrer Arbeit nachzugehen. Bis heute, sechs Monate nach Kriegsbeginn, kommt fast niemand zum Berichterstatten in den Gazastreifen hinein, nur wenige durften ihn verlassen. Am 7. Oktober hatte die Hamas israelische Grenzgebiete überfallen und bei ihrem Massaker auch Medienschaffende getötet.
„Besserer Schutz“ ist die Antwort von nahezu allen palästinensischen Medienschaffenden, die Reporter ohne Grenzen in Gaza nach ihrem dringendsten Wunsch gefragt hat. Seit dem 7. Oktober leben sie in ständiger Angst und haben häufig den Tod von Angehörigen sowie Kolleginnen und Kollegen zu beklagen. Nach RSF-Recherchen sind in Gaza bisher mindestens 105 Medienschaffende durch israelische Luftangriffe, Raketen und Schüsse getötet worden, darunter mindestens 22 im direkten Zusammenhang mit ihrer Arbeit.
Kein anderer Krieg ist für Medienschaffende so gefährlich wie dieser
In der ganzen Konfliktregion beklagt RSF seit 7. Oktober 112 getötete Journalistinnen und Reporter – kein anderer Krieg in diesem Jahrhundert hat für Medienschaffende so tödlich begonnen wie dieser. Mitglieder der Terrorgruppen Hamas und Islamischer Dschihad hatten am und nach dem 7. Oktober vier israelische Medienschaffende getötet, einen von ihnen bei der Arbeit. Im Libanon starben bei israelischen Luftangriffen drei Medienschaffende, während sie gerade berichteten.
RSF und weitere Nichtregierungsorganisationen fordern seit Monaten, den Grenzübergang Rafah für Journalistinnen und Reporter zu öffnen. Dieser wird von Ägypten verwaltet, jeglicher Personen- und Warenverkehr wird jedoch von Israel kontrolliert. Bislang kam von dort bis auf eine Ausnahme jedoch noch kein Journalist und keine Journalistin nach Gaza hinein. Nur wer „embedded“ mit den israelischen Streitkräften unterwegs ist, darf in das Gebiet einreisen, muss sich aber bei der Berichterstattung auf Bereiche beschränken, die von den Streitkräften freigegeben werden, und das aufgenommene Material vorlegen. Aus dem Gazastreifen evakuiert werden konnte bislang nur eine geringe Zahl an Medienschaffenden.
RSF hat sich mit einigen von ihnen in der katarischen Hauptstadt Doha getroffen, darunter mit Wael al-Dahdouh, dem Leiter des Al-Dschasira-Büros in Gaza-Stadt, Mahmoud Hams, einem AFP-Fotojournalisten, der RSF-Korrespondentin Ola al-Zaanoun und mit ihrem Sohn, dem freiberuflichen Reporter Moussa al-Zaanoun.
Sie beschrieben die Risiken, die sie auf sich genommen haben, um weiter über den Gazastreifen zu berichten. „Wir fühlten uns verpflichtet, die ganze Welt mit Informationen zu versorgen“, sagte die RSF-Korrespondentin al-Zaanoun. Auf RSF-Initiative hatte sie zuletzt in einem taz-Beitrag von den immer schwieriger werden Arbeitsbedingungen und ihrer wachsenden Verzweiflung in Gaza berichtet. „Jeden Tag wurde ein Journalist getötet oder verwundet“, fügte ihr 24-jähriger Sohn hinzu. „Ich habe in ständiger Angst gelebt, meinen Vater, meine Mutter und mein eigenes Leben zu verlieren. Aber ich habe es als meine Pflicht verstanden, über das, was passiert, zu berichten.“
Wie auch andere Medienschaffende berichtete Mahmoud Hams von seinem Eindruck, dass Journalistinnen und Journalisten in diesem Krieg zu Zielen geworden sind. „Während der Evakuierung von Gaza-Stadt [im Oktober] wollten einige Leute nicht, dass ich in ihrer Nähe bin, weil sie befürchteten, dass ich als Journalist ins Visier genommen werden könnte“, so Hams. „Andere weigerten sich, uns Häuser zu vermieten, in denen wir leben, arbeiten und uns ausruhen konnten, weil sie der festen Überzeugung waren, dass alle Journalisten in Gaza Zielscheiben seien.“
So unterstützt RSF Medienschaffende in der Region
Seit Kriegsbeginn hat RSF Medienschaffende vor Ort mit Arbeitsmaterial wie Laptops, Handys oder elektronischen Sim-Karten, Dingen des täglichen Bedarfs sowie zum Arbeiten ausgestatteten Zelten versorgt. Besondere Unterstützung gilt dabei Frauen. Zur Flucht gezwungene Journalistinnen sehen sich oft mit besonderen Schwierigkeiten konfrontiert, es fehlt an Privatsphäre und Sicherheit. RSF arbeitet dafür mit der 2005 in Jordanien gegründeten, unabhängigen Organisation Arab Reporters for Investigative Journalism (ARIJ) zusammen. Bereits im November haben die beiden Organisationen im Süden des Gazastreifens ein Zelt aufstellen lassen, in dem jeweils sechs geflohene Journalistinnen unterkommen können. Der genaue Standort bleibt aus Sicherheitsgründen geheim.
RSF hat zudem am 21. März in Beirut ein Zentrum für Pressefreiheit eröffnet. Nach dem Vorbild der beiden Zentren in der Ukraine können Medienschaffende dort arbeiten, sich in physischer und digitaler Sicherheit schulen lassen, psychologische und juristische Hilfe bekommen sowie Schutzausrüstung und Erste-Hilfe-Sets ausleihen.
In der aktuellen Situation im Gazastreifen Hilfe zu leisten, ist eine herausfordernde Aufgabe. Um die Arbeit von RSF und ARIJ für den Schutz und die Sicherheit der Medienschaffenden zu unterstützen, hat RSF eine Spendenseite eingerichtet.
RSF hat am 31. Oktober beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) Strafanzeige eingereicht, damit dieser mögliche Kriegsverbrechen gegen Medienschaffende im Gazastreifen und Israel untersucht. Eine zweite Strafanzeige reichte RSF am 22. Dezember ein. Mittlerweile hat der IStGH mitgeteilt, dass er aufgrund der RSF-Strafanzeigen auch Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten in seine Ermittlungen mit aufnimmt.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit liegen die Palästinensischen Gebiete auf Platz 156 von 180. Israel liegt auf Platz 97. Zuletzt hat die Netanjahu-Regierung ein Gesetz zur Schließung des Senders Al-Dschasira verabschiedet. RSF kritisiert dies als einen Angriff auf die Pressefreiheit.