ROG: Gewalt gegen Journalisten in der EU steigt – Mit Bericht zum Download

ROG: Gewalt gegen Journalisten in der EU steigt – Mit Bericht zum Download

Wien/Paris 5. Mai 2008 Am 3. Mai, dem Welttag der
Pressefreiheit, veröffentlichte Reporter ohne Grenzen eine
Untersuchung, die sich erstmals mit der Gewalt gegen Journalisten
innerhalb der Europäischen Union auseinandersetzt. Beleuchtet wird
dabei die teilweise verheerende Situation in einigen Mitgliedstaaten
der EU, wo Journalisten etwa von radikalen Gruppen oder der Mafia
bedroht werden und um ihr Leben zittern müssen.

Die Pressefreiheit wird in der Europäischen Union zunehmend eingeschränkt.
In
vielen europäischen Ländern werden Journalisten, die ihre
aufdeckerische Arbeit ernst nehmen und die Machenschaften vieler
Organisationen und Personen ans Licht bringen wollen, bedroht und nicht
selten mit der Pistole auf der Brust daran gehindert.
Hinter diesen Drohungen stecken sehr oft Verbrecherorganisationen wie die Mafia oder radikale Gruppierungen.
Reporter
ohne Grenzen macht mit diesem brisanten Bericht auf diese ernst zu
nehmende Situation aufmerksam, um an Hand von Berichten der Betroffenen
Bewusstsein für das Problem zu schaffen.


Begrenzte Pressefreiheit in Europa
Presse- und
Meinungsfreiheit gehören zu den Grundrechten der europäischen
Gemeinschaft. Diese Grundrechte werden jedoch in einigen
„demokratischen” Ländern in Europa missachtet. Zwar ordnet kein Staat
die Ermordung oder Verhaftung eines Journalisten an und die staatliche
Zensur gehört offiziell der Vergangenheit an aber auch die „neuen
Hürden”, die die Pressefreiheit behindern, lassen die Journalisten um
ihr Leben zittern. „Aufklärung und Hintergrundinformationen über die
aktuellen Geschehnisse gehören zu den wichtigsten Aufgaben der Medien.
Die Pressefreiheit garantiert, dass die Öffentlichkeit über die
Ereignisse und die Zusammenhänge lückenlos informiert wird. Diese
Freiheit endet jedoch, wenn Journalisten mit Einschüchterungen der
eigenen Personen oder jener von Familienangehörigen bzw. tätlichen
Angriffen oder sogar Mordanschlägen konfrontiert werden”. so Dr. Rubina
Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich.

Bestechung und Bedrohung durch italienische Mafia
In
Italien gehen die Bedrohungen von den Mafia-Organisationen aus. Jeder
Journalist, der über die Mafia schreibt, kommt früher oder später auf
die Abschussliste der Organisation. „Die Camorra, der ‘ndrangheta, der
Cosa Nostra oder der Sacra Corona Unita senden ‚Warnbotschaften’ in
Form von zerkratzten Autos oder zerstochenen Reifen an die
Journalisten, um ihnen zu zeigen, dass sie beobachtet werden”,
beschreibt Rubina Möhring die Einschüchterungsmethoden in Italien.
Einer
der duzenden Journalisten die nur mehr unter Polizeischutz arbeiten
können ist Lirio Abbate, 36, Korrespondent der italienischen
Nachrichtenagentur ANSA in Sizilien. Seiner Meinung nach sind
Journalisten in Italien heute weniger geschützt als je zuvor: „Die
Mafiabosse haben sich in den letzten 10 bis 15 Jahren verändert. Sie
sind keine Bauern oder einfache Landmenschen mehr. Heute sind sie
Doktoren oder Politiker, haben eine gute Ausbildung. Sie wissen, wie
wichtig Nachrichten sind und wie sie manipuliert werden können. Gewalt
ist nur eine Art, Druck auszuüben. Journalisten können auch korrumpiert
und gekauft werden”, erklärt Abbate.

Trotz Morddrohungen investigative Berichte in Nordirland
In
Nordirland erhalten einige Journalisten trotz des Friedensprozesses der
letzten Jahre nach wie vor Morddrohungen. Sie gehen vor allem von
kriminellen Gangs aus, die zu paramilitärischen Gruppen der
englandtreuen Loyalisten wie etwa der Ulster Defence Association
gehören. Auch von republikanischen Splittergruppen der IRA
(Irisch-Republikanische-Armee), die ihre Waffen im Zuge des
Friedensprozesses abgegeben haben, werden Journalisten eingeschüchtert.

Nordirische Journalisten berichten, dass bedrohte Kollegen kaum
oder gar nicht von Polizei und Regierung beschützt werden. Auch die
Verantwortlichen für den Mord am Enthüllungsjournalisten Martin O’Hagan
im Jahr 2001 wurden noch nicht gefasst.
Im September 2007 erhielt
der Andersonstown News-Redakteur Robin Livingstone eine Drohung in Form
einer Gewehrkugel mit einem Notizblatt, auf dem Name, Adresse und
Autonummer des Journalisten vermerkt waren. Livingstone schwor sich,
weiterhin investigative Berichte zu veröffentlichen, die er als „hart,
aber gerecht” bezeichnet, anerkennt aber den Einschüchterungseffekt
derartiger Drohungen.

Spaniens Journalisten sind der Gewalt überdrüssig
Im
spanischen Baskenland müssen Journalisten seit Jahren mit
Einschüchterungen durch die Terrororganisation ETA (Euskadi Ta
Askatasuna) leben. Gorka Landaburu, Lokalkorrespondent der Madrider
Wochenzeitung Cambio 16, berichtet: „Durch die Morde, besonders jene an
Journalisten, hat sich der Druck verstärkt. Am 7. Mai 2000 kam José
Luis Lopes de Lacalle von der Tageszeitung El Mundo in einem Kugelhagel
ums Leben. Ein Jahr darauf wurde auch ich Opfer eines Mordanschlages.
Ich wurde bei der Explosion einer Paketbombe schwer verletzt und habe
mehrere Finger und die Sehkraft meines linken Auges verloren”, schließt
Gorka Landaburu.

Ein Kollege der Madrider Tageszeitung El Pais
erzählt unter Zusicherung der Anonymität, wie sehr er der Gewalt
überdrüssig ist. „Die letzten Jahre waren sehr hart. Das Problem ist
das allgemeine Klima, ein Gefühl der Nervosität, das unsere Arbeit so
erschwert. Ich bin müde von all dem, es dauert bereits so lange”, sagt
der Journalist resignierend.

Neues Bewusstsein für das Recht auf Pressefreiheit
„Die
Palette der Übergriffe auf Journalisten reicht von physischen
Repressalien, anonymen Briefen, zerstochenen Autoreifen und zerkratztem
Lack bis zu Morddrohungen”, resümiert Rubina Möhring. „Sei es nun das
Journalisten bedroht werden, wenn sie vermeintliche Betrügereien einer
großen französischen Schifffahrtsgesellschaft aufdecken wollen oder von
den Leibwächtern des französischen Rechtspopulisten Jean-Marie Le Pen
zusammen geschlagen und festgehalten werden, wie es 2005 bzw. 2002 der
Fall war. Oder etwa die zu trauriger Berühmtheit gelangen Vorfälle in
Dänemark, wo die publizierten Mohamedkarikaturen eine wahre Sturzflut
von Drohungen auf die dänischen Journalisten los getreten haben”. „Die
Pressefreiheit ist überall innerhalb der EU eingeschränkt und die
zunehmenden Übergriffe auf Journalisten müssen aufgezeigt werden, um
wieder ein neues Bewusstsein für das Recht auf Pressefreiheit zu
schaffen”, so Rubina Möhring abschließend.

Weitere Gewalttaten
gegen Journalisten wurden in den vergangenen Jahren auch in, Schweden,
Bulgarien, Rumänien, Ungarn, der Tschechischen Republik und Zypern
verübt.

Hier können Sie unseren aktuellen Bericht “European Union – Risks Faced by Journalists” herunterladen:
Europa_2008.pdf