ROG-Kommentar zu den Olympischen Spielen in Peking: Europa muss China gegenüber mit einer Stimme sprechen

ROG-Kommentar zu den Olympischen Spielen in Peking: Europa muss China gegenüber mit einer Stimme sprechen

Wenn Frankreich am 1. Juli für sechs Monate den EU-Vorsitz
übernimmt, wird der Umgang mit China eines der heikelsten Themen für
Nicolas Sarkozy und sein Team sein. So steht die Entscheidung an, ob
die Staats- und Regierungschefs der EU die Eröffnungszeremonie am 8.
August in Peking besuchen sollen. Der Europäische Rat, der von 19. bis
20. Juni in Brüssel tagt – zum letzten Mal vor Beginn der Spiele – wäre
der geeignete Rahmen, um in dieser Frage eine gemeinsame Position zu
beschließen.


Sarkozy und seine Amtskollegen sollten diese Frage nicht auf die
leichte Schulter nehmen, da die öffentliche Meinung in Europa den
Boykott der Eröffnungszeremonie unterstützt. So sprachen sich in
Frankreich im April des Jahres 62 Prozent der Befragten für einen
Boykott aus. Viele EuropäerInnen denken, dass die Spitzenpolitiker
ihres Landes den chinesischen Behörden nicht den Gefallen tun sollten,
zur Eröffnung nach Peking zu reisen.

Wie kann China dazu
gebracht werden, jene Versprechungen im Menschenrechtsbereich
einzuhalten, die es bei seiner Kandidatur im Jahr 2001 gemacht hat? Wie
können wir China dazu bringen, seine Gewissensgefangenen frei zu
lassen, die Zensur zu lockern und überhaupt mehr Respekt gegenüber den
Menschenrechten zu zeigen?

Die einzige Möglichkeit, konkrete
Zugeständnisse zu erreichen, könnte die Drohung mit einer Politik der
leeren Stühle in jenem Teil des Stadiums, das bei der Eröffnung für
ausländische Würdenträger reserviert ist, sein. Ohne eine solche
gemeinsame Vorgangsweise könnten alle Bemühungen vergeblich sein und
die chinesische Regierung könnte alle weiteren Anfragen der EU in Bezug
auf die Menschenrechtssituation geringschätzig zur Seite schieben.

Nicolas
Sarkozy hat bereits klar zum Ausdruck gebracht, dass seine Teilnahme
von der Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Peking und den Vertretern
des Dalai Lama abhängt. Die chinesische Regierung hat dem Rechnung und
eine neue Gesprächsrunde begonnen, der bisher aber der Erfolg versagt
blieb. Die Sicherheitsvorkehrungen in Lhasa wurden kürzlich für den
tibetischen Abschnitt des olympischen Fackellaufs verschärft. Und als
die USA und die EU gemeinsam zu „ergebnisorientierten” Gesprächen über
Tibet appellierten, wurde das von China als Einmischung in die inneren
Angelegenheiten des Staates zurück gewiesen. Die chinesischen Behörden
halten ausländische Journalisten nach wie vor von Tibet fern, während
die massiven Razzien und Umerziehungsprogramme weiter gehen.

Die
Athleten haben Recht, wenn sie sagen, dass die Lösung dieses Dilemmas
Aufgabe der Politiker – und nicht ihre Aufgabe – ist. Der Europäische
Rat sollte die historische Gelegenheit nicht auslassen, um die
gewünschten Rahmenbedingungen für einen realen Fortschritt in China zu
schaffen. Die Kommunistische Partei Chinas darf auf die legitimen
Aufrufe zur Freilassung der Gewissensgefangenen nicht länger mit
nationalistischen Kampagnen reagieren.

Weniger als zwei Monate
vor dem Beginn der Olympischen Spiele in China muss die chinesische
Regierung unter Druck gesetzt werden, die politischen Gefangenen frei
zu lassen und und den über 20.000 ausländischen Journalisten, die nach
Peking reisen werden, volle Bewegungsfreiheit zuzusichern. Die
ausländischen Medien müssen nicht nur die Gelegenheit haben, über die
Spiele zu berichten, sondern auch, den Hinterhof einer der
repressivsten Staaten weltweit zu besuchen.

Das Erdbeben in
Sechuan und seine zehntausenden Opfer haben die Weltöffentlichkeit
schockiert. Die Behörden haben enorme Anstrengungen übernommen, um die
Überlebenden zu retten. Doch nachdem sich die anfänglichen Emotionen
gelegt hatten, sind die alten Dämonen wieder zum Leben erwacht: die
Zurückweisung ausländischer Hilfskräfte, die Zensur der Proteste der in
den Schulen verschütteten Kinder und das Nachrichten-Blackout über den
Zustand der nuklearen Einrichtungen in der Region. Das Desaster hat den
Unterdrückungsapparat keinen Einhalt geboten: Am Tag nach dem Erdbeben
verurteilte ein Gericht einen Journalisten zu vier Jahren Haft, weil er
über Korruption berichtet hatte.

Wir rufen nicht zu einem
Boykott der Olympischen Spiele auf. Die Athleten sollten nicht dafür
büßen, dass ihnen Peking als Austragungsort aufgezwungen wurde. Es ist
Aufgabe der Politiker, ihre Stimme zu erheben und zu verlangen, dass
die chinesischen Behörden ihre Versprechungen einhalten. Die Drohung
mit dem Boykott der Eröffnung der olympischen Spiele ist ein Mittel,
sie dazu zu zwingen.

  • Pierre Vielletet, Präsident der französischen Sektion
  • Olivier Basille, Präsident der belgischen Sektion
  • Michael Rediske, Präsident der deutschen Sektion
  • Jesper Bengtsson, Präsident der schwedischen Sektion
  • Mimmo Candito, Präsident der italienischen Sektion
  • Rubina Möhring, Präsidentin der österreichischen Sektion, Vizepräsidentin RSF International
  • Maria Dolores Masana, Präsidentin der spanischen Sektion
  • Fernando Castello, Präsident RSF International
  • Robert Ménard, Generalsekretär Reporter ohne Grenzen