Hier wird ein oppositioneller Sender ausgehungert, ungeachtet des demokratischen Rechts auf Medienfreiheit
Manch ein Autokrat könnte von der ungarischen Medienbehörde vielleicht noch etwas lernen. Deren Taktik ist perfekt, wenn auch demokratiepolitisch mehr als fragwürdig. Ihr Credo: Ohne Sendefrequenz geht nicht einmal das müdeste Pausenzeichen on Air, ganz zu schweigen von kritischen Radio-Programmen. Mit Schikanen macht man zudem selbst sturste Querköpfe mürbe. Oder doch nicht? Tausende DemonstrantInnen gingen in Sachen Medienfreiheit am Sonntag in Budapest auf die Straße. “Finger weg vom Klubradio” ist deren Credo.
Seit zwei Jahren erhält der einzige kritische Sender des Landes lediglich eine provisorische, auf 60 Tage beschränkte Senderlaubnis. Zwölf regionale Frequenzen wurden kühlen Herzens bereits gekappt, dem Klubradio bricht das Werbegeschäft weg. Andere Sender hingegen, das kirchliche Maria-Radio oder das rechtsextreme Lanchid-Radio – hört, hört -, werden großzügig mit Frequenzen bedacht. Bereits sechs Mal hat Klubradio deswegen erfolgreich vor Gericht Klage eingebracht, drei der Urteile sind bereits rechtskräftig. Die Medienbehörde kümmert das nicht. Auch nicht die nachdrückliche Mahnung der für digitale Medien zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes.
Demokratiepolitisches Chaos
Etwas läuft in Sachen Medien- und Meinungsfreiheit schief im Staate Ungarn. Manche sprechen sogar von demokratiepolitischem Chaos. Hier wird ein oppositioneller Sender ausgehungert, ungeachtet des demokratischen Rechts auf Medienfreiheit. In einer grotesk anmutenden Parallelaktion wurden hingegen vergangene Woche gnadenlos die Menschenrechte bemüht als es darum ging, das Tragen aller “Symbole der Willkürherrschaft” wieder zu legalisieren. Aus der Mottenkiste der Geschichte dürfen damit wieder ungestraft Hitlers Hakenkreuz, das Pfeilkreuz einstiger ungarischer Faschisten, sowie der Rote Stern in Erinnerung an kommunistische Diktaturen ausgepackt werden. Der unverblümten Werbung für Menschenverachtung und industriellen Massenmord sind damit Tür und Tor geöffnet. Höchstrichterliche Begründung: Das Recht auf Meinungsfreiheit.
Warum deswegen quengeln, meinen die Einen und verweisen auf Artikel 11 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union zum Thema Meinungsfreiheit. Andere empören sich trotzdem: Im Sinne der ebenfalls in dieser Charta festgehalten Würde des Menschen und des ausdrücklichen Verbotes, alle in dieser Konvention festgehaltenen Grundrechte zu missbrauchen.
Ein trauriges Beispiel wider die Charta. Schauplatz ist die Budapester Eötvös-Universität. An dieser haben StudentenvertreterInnen der philosophischen Fakultät jahrlang illegal StudienanfängerInnen unter politischen, sexistischen und rassistischen Gesichtspunkten kategorisiert. Dies auf übelste Art und Weise, zum Teil derart ordinär und ehrwidrig, dass, wie DER STANDARD berichtete, diese Bezeichnungen nicht zitabel sind. Müßig zu sagen, dass die Hochschülerschaft, die maßgeblich Einfluss auf die Vergabe von Stipendien hat, von der rechtsextremen Jobbik-Partei dominiert wird. Dank einem Glücksfall flog der Skandal nun auf, der oppositionelle TV-Sender ATV hatte davon Wind bekommen. Die Uni verbat daraufhin diese Studentenvertretung und zeigte sie wegen Verletzung der Menschenwürde an. Soweit so gut.
Magyarische Würde
Was aber passiert, wenn kritische Medien wie ATV oder Klubradio keine Sendelizenzen mehr erhalten? Ganz einfach: Dann wird über solche Vorfälle nicht mehr informiert. Hehr ist auch das Ziel der jetzigen Regierung, die Wahrung der Würde der Nation – was immer das ist – per Verfassung über die der Würde der Menschen zu stellen. Auch die Informationsfreiheit soll dann dieser landesweiten, magyarischen Würde untergeordnet werden.
Fußnote: Ausgelöst wurde die neue Freiheit für alle “Symbole der Willkürherrschaft” übrigens durch einen linientreuen Altkommunisten, der nicht auf den roten Ansteckstern an seinem Revers verzichten wollte. Verbissen bemühte er sämtliche Instanzen. Mit weit reichendem Erfolg, wie man sieht.
Aufrechte StudentInnen in Ungarn tragen derzeit als Mahnmal gelbe Sterne auf ihrer Brust, um gegen den aggressiv aufkeimenden Antisemitismus zu protestieren. Hoffen wir, dass auch dieser Stern nicht wieder offiziell eingeführt wird. Hoffen wir zudem, dass in einem solchen fiktiven Fall wenigstens das Klubradio darüber berichten kann – so es bis dahin nicht gestorben ist. (Rubina Möhring, derStandard.at, 25.2.2013)