Exil-Journalist fordert mehr Aufmerksamkeit für Regimekritiker

Exil-Journalist fordert mehr Aufmerksamkeit für Regimekritiker

Der Exil-Journalist Chang Ping ruft die westliche Öffentlichkeit vor Beginn des Nationalen Volkskongresses in Peking am Dienstag (5. März) dazu auf, den Blick stärker auf die Entwicklungen in der chinesischen Gesellschaft zu richten als auf die Postenvergabe an der Parteispitze. „China hat sich stets durch Druck von unten verändert, nicht auf Befehl der Herrschenden”, sagte Ping gegenüber Reporter ohne Grenzen in Berlin. Trotz strenger Zensur berichteten mutige Journalisten über Umweltverschmutzung oder Korruption und kämpften Bürgerinitiativen für mehr Mitbestimmung. Erst in der vergangenen Woche unterzeichnete Wang Keqin, einer der bekanntesten investigativen Reporter Chinas, einen offenen Brief, der die Regierung zu Reformen und der Einhaltung fundamentaler Rechte wie Presse- und Meinungsfreiheit aufruft.

„An engagierten Journalisten und brisantem Material herrscht in China kein Mangel”, erklärte Chang Ping im Gespräch mit ROG, „es fehlen die Möglichkeiten, dies zu veröffentlichen”. Chang ist Chefredakteur der in Hongkong erscheinenden Wochenzeitung iSunAffairs, lebt aber seit Juli 2011 in Deutschland, weil er kein Arbeitsvisum für Hongkong erhält. In China verlor er wegen kritischer Artikel dreimal seine Stelle, bevor die Behörden ein Berufsverbot gegen ihn verhängten. Der 44-Jährige arbeitete unter anderem als Nachrichtenchef der populären Wochenzeitung Nanfang Zhoumo, die Anfang Januar wegen eines besonders dreisten Falls von Zensur in die Schlagzeilen geriet: Die Propagandabehörde hatte ohne Wissen der Redaktion kurz vor dem Druck einen Artikel ausgetauscht, woraufhin hunderte Unterstützer vor dem Gebäude der Redaktion protestierten.


Im Normalfall sorgt das Propagandaministerium deutlich früher dafür, dass kritische Berichte nicht erscheinen. Die Redaktion von Nanfang Zhoumo, berichtet Chang, erhalte täglich E-Mails mit Hinweisen auf Machtmissbrauch oder vertuschte Unglücksfälle. Ein effektives System von Kontrolle und Selbstzensur verhindere jedoch meist, dass darüber berichtet wird. So sind Leitungsposten in fast allen Medien mit Parteikadern besetzt, die Anweisungen aus dem Propagandaministerium an Redakteure weitergeben – oft in Gesprächen und Telefonaten, um schriftliche Spuren der Zensur zu vermeiden. Über eintausend Artikel seien bei Nanfang Zhoumo allein im vergangenen Jahr nach solchen Gesprächen nicht erschienen.

„Es gibt keine klare rote Linie, worüber berichtet werden darf und worüber nicht”, erklärt Chang Ping. Viele Kollegen zensierten sich deshalb selbst. Andere versuchten immer wieder auf eigenes Risiko, die Grenzen auszuloten und Spielräume zu erweitern. „Es ist ein Wettlauf mit den Zensoren: Solange es noch keine Vorgaben von der Zentrale gibt, können wir brisante Nachrichten veröffentlichen, danach wird es gefährlich.”

Dass die Arbeit auch für ausländische Journalisten immer schwieriger wird, zeigte der brutale Angriff auf ein ARD-Team am Donnerstag. Die Journalisten hatten für einen Bericht über die Zerstörung von Dörfern in der Nähe von Peking recherchiert, als ihr Minibus auf der Rückfahrt von vier Wagen verfolgt und von der Straße abgedrängt wurde. Mit Baseballschlägern bewaffnete Männer griffen den Bus an und zertrümmerten seine Frontscheibe. Das Team entkam unverletzt. Reporter ohne Grenzen unterstützt den Appell von ARD-Korrespondentin Christine Adelhardt, den Vorfall aufzuklären und die Täter zu bestrafen.

In kaum einem Land werden die Medien so streng kontrolliert wie in China, das auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 173 von 179 steht. Zurzeit sitzen dort etwa 100 Journalisten und Blogger im Gefängnis. Detaillierte Informationen dazu im ROG-China-Spezial.