Österreichischer Menschenrechtsbefund 2018

Österreichischer Menschenrechtsbefund 2018

Österreichischer Menschenrechtsbefund 2018

Der Beitrag von Rubina Möhring stammt aus dem Österreichischen Menschenrechtsbefund 2018, der jährlich von der Österreichischen Liga für Menschenrechte der jährlich herausgegeben wird.

 

Zur Lage der  Medien – und Informationsfreiheit in Österreich

„Die Zivilgesellschaft in Österreich ist inzwischen eingeengt“, zu diesem Schluss kam im November 2018 das internationale Netzwerk Civicus. Bisher lag Österreich in dessen Ranking traditionell in der Kategorie „offen“. Nun findet sich Österreich erstmals in der minderen Kategorie „eingeengt“ wieder. Der Dialog zwischen Regierung und Zivilgesellschaft sei auffallend zurückgefahren worden. Laut Civicus befindet sich Österreich in Sachen Menschenrechte nunmehr auf einem Level mit Argentinien und den USA.

 

Demokratiepolitischer Imageverlust

In diese demokratiepolitische Abstiegstendenz fällt auch der Status Österreichs im internationalen Ranking der NGO Reporter ohne Grenzen. Im Ranking des vergangenen Jahres konnte sich Österreich noch knapp im „weißen Bereich“, also im Bereich ungefährdeter Presse- und Informationsfreiheit, halten. Die Analyse für das Jahr 2018 wird sicher anders ausfallen. Zu viel ist in diesem Jahr geschehen. Zu auffällig werden Menschenrechte negiert. Auch Medien- und Informationsfreiheit ist ein solches Grundrecht, ausdrücklich definiert in der Menschrechtskonvention der Vereinten Nationen und in jener der Europäischen Union.

 

Angriffe auf die Informationsfreiheit

Seit der Angelobung der österreichischen konservativ-rechtspopulistischen Regierung am 18. Dezember 2017 mehren sich rapide die Anzeichen, dass in Österreich Medien- und Informationsfreiheit eingeschränkt wird und dass Journalistinnen und Journalisten öffentlich von Politikern angegriffen werden. Der folgende Beitrag soll einzelne Vorfälle aufzeigen.

 

Aufsichtsrats-Wahl im ORF

Am 20. Februar 2018 wurde in Wien der neue Aufsichtsrat des öffentlich-rechtlichen Senders ORF fixiert. Der Vorsitz dieses Gremiums wurde erstmals der Junior-Koalitionspartei, der rechtspopulistischen FPÖ, zugesprochen. Auch in das oberste ORF-Aufsichtsratsgremium wurde auf Beschluss der Regierung nach 20 Jahren nicht mehr der politisch unabhängige Präsident der Hilfsorganisation Caritas, Franz Küberl, bestellt. Dieser meinte anlässlich seines Abgangs: „Die Medienpolitik einer Regierung muss immer um einiges mehr sein, als darauf zu achten, ob sie sich im öffentlich-rechtlichen Radio oder TV gut vermarkten kann.“

Fest steht jedenfalls, dass öffentlich-rechtliche Medien keine Staatsmedien sind, sondern ausschließlich der politisch unabhängigen Information der Gesellschaft dienen sollten.
Anhaltende Gerüchte, der kritisch-liberale Radio-Jugendsender FM4 solle eingestellt werden, verstärkten den Eindruck von Machtspielen und Einschüchterungstaktiken gegenüber Journalistinnen und Journalisten.

Auch wird prinzipiell der Zugang zu Informationen durch eine professionalisierte und stringent organisierte Medienpolitik seitens der Regierung erschwert. Anstelle der bisher möglichen direkten Auskunft durch Ministerinnen und Minister setzten ÖVP und FPÖ einen sogenannten Regierungssprecher ein. In logischer Konsequenz führt dies zu einer Vereinheitlichung der Information auf Kosten der Informationsfreiheit.

 

Armin Wolf und ein Facebook-Posting des Vizekanzlers

Schon zwei Monate nach dem Antritt der konservativ-rechtspopulistischen Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz ermahnte Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Regierung, die Pressefreiheit im Sinne demokratiepolitischer Prinzipien nicht zu negieren, sondern zu respektieren: „Verunglimpfungen oder gar Lügenvorwürfe ohne jegliche Substanz gegenüber einer Person haben keinen Platz in der öffentlichen Debatte.“ Derartiges sei „nicht respektvoll und stellt die Pressefreiheit infrage“, so Van der Bellen.

Konkret sprach der Bundespräsident ein Posting von FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache gegen den ORF-Moderator Armin Wolf an. Strache hatte auf seiner persönlichen Facebook-Seite ein Bild Armin Wolfs gepostet, das mit der Schlagzeile “Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF” versehen war. Er schrieb über das Bild den Vermerk “Satire!” mit einem Smiley. Wolf klagte, es kam letzten Endes zu einem Vergleich: Strache entschuldigte sich mittels Inseraten in der Kronen-Zeitung und auf seiner Facebook-Seite. Er zahlte an Wolf € 10.000, die dieser wiederum der NGO Ärzte ohne Grenzen widmete.

 

Colette Schmidt und die jungen FPÖler

Ende Jänner war Colette Schmidt, Redakteurin der kritisch-liberalen Tageszeitung Der Standard, in das Visier der Jugendorganisation der FPÖ geraten. Sie hatte in einem Artikel über den sogenannten Liederbuch-Skandal geschrieben, bei dem unmittelbar vor der niederösterreichischen Landtagswahl ein Liederbuch mit stark antisemitischen Inhalten aus der Burschenschaft des FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer an die Öffentlichkeit gelangt war.

Die Jugendorganisation der FPÖ, der Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) Steiermark, postete daraufhin: „Das ist Colette. Colette schreibt für den Standard und stellt gerne FPÖler an den Pranger. Falls ihr Colette etwas zu sagen habt, dann bitte unter: …“. Genannt wurde dann ihre Mailadresse, gezeigt wurde ein Video, auf dem sie zu sehen ist. Colette Schmidt wurde daraufhin mit einem „Shitstorm“ eingedeckt.  Der Standard plante, gerichtlich gegen das Posting vorzugehen.

 

Wochenblick desavouiert „Hass-Hanna“

Nur kurze Zeit später wurde Hanna Herbst, damals stellvertretende Chefredakteurin des Online-Magazins Vice, ebenfalls Zielscheibe eines Shitstorms. Nach der Landtagswahl in Niederösterreich, die vom Skandal der antisemitischen Liedertexte der Burschenschaft des FPÖ-Spitzenkandidaten geprägt war, twitterte Hanna Herbst: „FPÖ verdoppelt sich. Dieses Land sollte einfach nicht existieren“. Die FPÖ-nahe Website Wochenblick widmete Hanna Herbst daraufhin Anfang Februar  2018 einen Artikel, der ihre Aussage verurteilte und der von hochrangigen FPÖ-Mitgliedern wie dem Nationalratsabgeordneten Christian Höbart, dem Tiroler-FPÖ Chef Martin Abwerzger und sogar von Vizekanzler Heinz-Christian Strache geteilt  und dadurch sehr schnell verbreitet wurde. In dem Wochenblick-Artikel wurden zudem ORF 1-Radiojournalist Stefan Kappacher und eine parlamentarische SPÖ-Mitarbeiterin, die den Tweet kritisch kommentiert hatte, desavouiert.

Nach einem Kommentar von Ex-Bundeskanzler Christian Kern legte der Wochenblick mit einem weiteren Artikel nach. „Hübsche „Hass-Hanna“: Jetzt verteidigt sie unser Ex-Kanzler!“ war der Titel, im Teaser wurde sie als „an sich fesche Feministin und jetzt beleidigte Blondine“ bezeichnet.

 

Armin Wolf, der ORF und die FPÖ

Der heutige Vorsitzende des ORF-Stiftungsrates, Norbert Steger (FPÖ), meinte in einem Interview im Dezember 2017 – nach einem Interview von Armin Wolf mit Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache – dass Redakteure Politikern respektvoll gegenüberzutreten hätten und Armin Wolf sich „noch immer eine Spur unbotmäßig gegenüber den beiden verhalten“ habe.

Als Anfang Februar 2018 die Zeit im Bild 1, die Primetime-Nachrichtensendung des ORF, über den Transitgipfel in München berichtete, kam der Infrastrukturminister der FPÖ, Norbert Hofer, der auf der Veranstaltung Österreich vertrat, im Beitrag nicht zu Wort. Hofer beschwerte sich über den Fehler des ORF, ihn nicht erwähnt zu haben, und forderte in einem Atemzug das Ende der „GIS-Zwangsgebühr“. Mittlerweile hat die FPÖ allerdings gezielt Führungsposten im ORF eingefordert; die interne Diskussion zur Position der FPÖ zur einer GIS-Gebühr scheint noch nicht abgeschlossen zu sein – es gibt unterschiedliche Aussagen von FPÖ-Politikern zu dem Thema.

Die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ haben seit der Angelobung eine Zweidrittelmehrheit im ORF-Stiftungsrat und könnten seitdem auch den SPÖ-nahen Generaldirektor Alexander Wrabetz bei Bedarf absetzen. Dieser kündigte umfangreiche Reformen an, aufgrund derer unter anderem auch die quotenstarke Zeit im Bild 2, moderiert von Armin Wolf und Lou Lorenz-Dittlbacher, durch starke Gegenprogrammierung an inhaltlicher Bedeutung und Einschaltziffern verlieren könnte. Die Neubesetzungen maßgeblicher ORF-Führungspositionen wurden inzwischen erfolgreich zwischen den Regierungsparteien ÖVP und FPÖ aufgeteilt.

 

Ernst Gelegs und die Ungarn-Wahl

Anfang April 2018 warf Norbert Steger dem ORF-Korrespondenten Ernst Gelegs vor, den Wahlerfolg von Premier Órban nicht objektiv, sondern kritisch in einer Direktschaltung mit der Zeit im Bild kommentiert zu haben. Gelegs müsse sofort abgezogen werden, und das könnte auch für 30 Prozent der anderen ORF-Korrespondenten gelten, wenn diese sinngemäß nicht ordentlich und korrekt berichteten. Der Kanzler sagte nichts dazu, die Öffentlichkeit rechnete damit, dass sich Steger damit für die Wahl des Vorsitzenden des Stiftungsrates disqualifiziert habe. Was geschah: Der ORF-Vertrag des Ungarn- und Westbalkankorrespondenten Ernst Gelegs wurde bis 2021 verlängert. Steger wurde wenige Wochen später, im Mai, mit dem Posten des Vorsitzenden des ORF-Stiftungsrates betraut.

 

Wackelige Zukunft des ORF

Auch jetzt, gegen Ende des Jahres 2018, ist die künftige Finanzierung des ORF unklar. Auf einer im Juni von Medienminister Blümel einberufenen Medienenquete war erkennbar, dass zumindest die Höhe der ORF-Finanzierung zu Gunsten der Privatsender eingeschränkt werden könnte. Auch der Gedanke, die Kosten des ORF durch das Finanzministerium abdecken zu lassen, ist nach wie vor nicht vom Tisch. Dann allerdings wäre der ORF tatsächlich ein reiner Staatssender und nicht mehr ein öffentlich-rechtliches Medium.

 

„Gute“ und „böse“ Medien

Im September sorgte Innenminister Kickl für einen medienpolitischen Knalleffekt. In einer E-Mail an alle Dienststellen im ganzen Land teilte das Innenministerium mit, dass fortan „kritische“ Medien keine Informationen mehr erhalten sollen. Als solche genannt wurden Der Standard, Der Falter und damals auch noch der Kurier. Zudem soll künftig die nationale Abstammung der Familie mutmaßlicher Täter bekanntgegeben werden. Sowohl Bundespräsident Van der Bellen als auch Bundeskanzler Kurz reagierten prompt – jede Einschränkung der Pressefreiheit sei inakzeptabel. Innenminister Kickl verwies auf seinen Pressesprecher und dass die gewählte Formulierung nicht seine Zustimmung finden würde.

 

Florian Klenk und der Zugang zu Informationen

Florian Klenk, Chefredakteur der Wochenzeitung Falter, hatte im Zusammenhang mit der BTV-Affäre die aufklärungsbedürftigen Vorkommnisse bei dem dem Innenministerium angegliederten Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung zu recherchieren versucht. Per E-Mail bat er um Interviewtermine. Erfolglos. Klenk ist nicht der Einzige, der in seinen Recherchen behindert wurde und wird, er ist jedoch einer der wenigen, die das auch veröffentlichen. Nun steht er am virtuellen Pranger des Innenministers und wird von diesem verunglimpft.

Die Reaktion des Ministeriums war: Auf der ministeriellen Website wurde die gesamte E-Mail-Konversation zwischen Klenk und Innenministerium inklusive der Klenk-Adresse veröffentlicht. Dies ohne Absprache mit Klenk und unter Missachtung des Datenschutzes. Klenk, so die Behauptung des Innenministeriums, habe nicht ordentlich recherchiert. Das Ministerium beschwerte sich beim Presserat und wies die Angelegenheit von sich.

Martin Glier, Pressesprecher des Vizekanzlers, twitterte damals: „Heißer Tipp an @Florian Klenk: Nimm Dir ein Küberl und Schauferl und geh in den Park spielen, aber hör auf, den Innenminister anpatzen zu wollen. Der ist super, auch wenns Dir nicht passt.“ Klenks Recherchen galten übrigens der Frage, welche Burschenschaften zwischen 2012 – 2017 Gegenstand von Ermittlungen waren und ob es gegebenenfalls zu Anzeigen gekommen war. In jener Zeit war der heutige Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) Innenminister. – Florian Klenk wurde übrigens 2017 zum „Journalisten des Jahres“ gekürt.

 

 

 

Dr. Rubina Möhring

Historikerin, Journalistin, Sachbuchautorin, Universitätslektorin. Seit 2001 Präsidentin der NGO “Reporter ohne Grenzen Österreich“. 2009 von der österreichischen Bundesregierung als Kandidatin für den OSCE-Posten „Representative on Freedom of the Media“ nominiert. Gründerin des seit 2002 jährlich verliehen Medienpreises „Press Freedom Award – A Signal for Europa“ an Journalist*innen in Ost- Südosteuopa.  Ausgezeichnet mit dem goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (2016) und den Concordiapreis für Menschenrechte (2015). Geboren in Berlin, lebt Rubina Möhring seit langem in Wien. Sie ist Mutter zweier Kinder.