“… dann bin ich ja ein Mörder”: Für Aufklärung und freie Information ist es nie zu spät
Sich nicht erinnern zu können, zu wollen ist unglaublich praktisch bei allfälligen Schuldzuweisungen: In Untersuchungsausschüssen, vor Gericht, im alltäglichen Leben. Die Wahrheit auszublenden dient als willkommener Schachzug zum Erhalt der weißen Weste. Regierungen verfahren so, wenn sie nicht über Missstände stolpern wollen – siehe den jüngsten Nordkorea-Bericht der UN -, Parteien, wenn es um tadelige Spenden geht, Einzelpersonen zum Schutz vor Strafverfolgung und des eigenen untadeligen Selbstverständnisses.
“Dann bin ich ja ein Mörder” lautet der Titel des von Walter Manoschek dokumentarisch aufgearbeiteten Puzzles einer Lebenslüge. Im Mittelpunkt des Films steht Adolf Storms, einst freiwilliges SS-Mitglied und Unterscharführer zu Hitlers Diensten. Storms erinnert sich an unendlich viele Grausamkeiten, die er während des Zweiten Weltkrieges in den Jahren 1939 bis 1945 erlebte. Nur Morde an jüdischen Zivilisten, die er laut Zeugenaussagen offenbar selbst zu verantworten hatte, kann er in dem Film nicht eingestehen. “Ich habe keine Bilder in mir”, sagt er sinngemäß immer wieder.
Das persönliche Erinnerungsarchiv anderer Beteiligter ist da wesentlich präziser. Frühere Angehörige der Hitler-Jugend, die als Helfer abkommandiert waren, beschuldigten ihn schon während ihrer “Mittäter”-Prozesse kurz nach dem Krieg. Sie wurden verurteilt, er stand nie vor Gericht.
Tatort Deutsch Schützen
Tatort war die kleine burgenländische Gemeinde Deutsch Schützen. Tatzeit: der Vormittag des 29. März 1945, also wenige Wochen vor Kriegsende. Tatbestand: ein Massaker an mindestens 57 jüdischen Zwangsarbeitern. 57 von gut 500 Juden, die aus Ungarn nach Deutsch Schützen deportiert worden waren. Dass nicht alle umgebracht wurden, war kein Akt der Menschlichkeit sondern Folge kühler Berechnungen: ein solcher Massenmord hätte zu viel Zeit gekostet, die Hitler-Militärs befanden sich jedoch schon auf dem Rückzug, auf der Flucht vor der russischen Armee. Also zogen sie weiter.
Schweigemauer im Burgenland
“Die Juden haben ihre Klagemauer, wir unsere Schweigemauer” hieß es jahrzehntelang in dieser Gegend. Niemand wollte mehr von den einstigen Schandtaten etwas wissen. 62 Jahre sollte es dauern, bis der Student Andreas Forster in den Archiven entsprechende Unterlagen fand. Auf diesen Recherchen basiert der Film. Auch Storms war 1946 zur Fahndung ausgeschrieben, dann verschlampte sich jedoch diese juristische “Aufarbeitungsarbeit”. Die “Pflege” des Massengrabes wurde laut Manoschek schließlich der Kriegsgräberfürsorge überantwortet. Nun ist es zubetoniert.
Erinnerungsverlust
Vor zwei Jahren starb Storms im Alter von knapp 90 Jahren unbehelligt im deutschen Duisburg. Vor seinem Tod hatte Manoschek, begleitet von einem Kameramann, den sehr konzentriert wirkenden früheren SSler noch mehrmals interviewt. Die Gedächtnislücke an Deutsch Schützen blieb in diesen Interviews offen. Nur ein leichtes Lächeln in den Mundwinkeln spricht gegen den Erinnerungsverlust.
Wozu das alles noch nach so vielen Jahren, mögen manche fragen. Andere könnten meinen, der Film käme zu spät. Stimmt nicht. Auch wenn einstige Täter scheinbar glückhaft und mit einem Lächeln in den Mundwinkeln bis zu ihrem Tod “ungeschoren” davonkommen, für Aufklärung und freie Information ist es nie zu spät. Zumal die Folgegenerationen ein Recht auf richtige Information haben, sie müssen wissen, um nicht der Versuchung der Verharmlosung zu erliegen. Massenmord bleibt Massenmord, selbst wenn er nicht mehr von den Verantwortlichen gesühnt wurde. Auch das ist der Sinn investigativer Recherchen von HistorikerInnen, von JournalistInnen.
Menschenrechtsverletzungen bleiben Menschenrechtsverletzungen
Ebenso bleiben Menschenrechtsverletzungen Menschenrechtsverletzungen, ob sie nun geleugnet werden oder nicht. Laut dem jetzt veröffentlichtem neuen Bericht der UN werden in Nordkorea an die 200.000 Menschen, politische Kritiker, in Gefangenenlagern festgehalten, gefoltert, misshandelt, zu Zwangsarbeit verpflichtet. Nordkorea kontert: “Im Gegenteil, wir sind stolz auf unser ausgezeichnetes System zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte in unserem Land” und nennt im selben Atemzug kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung. Fragt sich welche Bildung. Im Zusammenhang mit dem Hitlerregime war es das innovative Autobahnsystem, das auch noch lange Jahre nach 1945 von etlichen “Vergesslichen” als positive Erinnerung hoch gehalten wurde. Inzwischen verfügen wir über sorgfältig recherchierte und dokumentierte Informationen über den Einsatz von Zwangsarbeitern bei diesem verkehrspolitischem “Wunderwerk”.
“… dann bin ich ja ein Mörder”, Freitagabend fand im Rahmen der Viennale in der Wiener Urania die Premiere dieses Erinnerungsfilmes von Walter Manoschek statt. Das Haus war ausverkauft.