Ausländische Zeitungen werden zu Mangelware – Mitarbeiterteam des öffentlich-rechtlichen Piratensenders ERT Open steht vor dem Nichts
Blog von Rubina Möhring
Saturnday evening fever in Brasilien: Costa Rica fegt bei der WM in Brasilien Uruguay vom Feld, Kolumbien siegt über Griechenland. Auftakt der griechischen Fußball-Tragödie ist noch dazu ein Eigentor. Die Kolumbianer legen eine beseelte, köstliche Tanzeinlage ein, den griechischen Spielern treten die Tränen in die Augen. Mehr als zum Weinen ist auch die derzeitige Medienszene in deren Heimatland. Ein Informationsvakuum bahnt sich an. Auf dem Spiel steht das Bürgerrecht „Medienvielfalt”.
Donnerstag war beim Athener Handelsgericht der Konkurs-Termin für die Vertriebsfirma HDA, Hellenic Distribution Agency, angesagt. Täglich hatte diese an über 3000 Verkaufsstellen gut 4000 ausländische Printprodukte angeboten. Bereits seit Ende April standen die Räder der Vertriebsgesellschaft still: Zahlungsschwierigkeiten. Nun ist es endgültig mit HDA vorbei. Auch die bunten, internationalen Zeitungsstände in Griechenland sind damit Legende. Eine der vielen Folgen der griechischen Finanzkrise.
Medienpolitische Konkurserklärung
Lediglich direkt in Griechenland gedruckten Zeitungen sind noch im Angebot. Neben den griechischen Produkten also nur noch Blätter wie „Financial Times”, Washington Post” oder die „Frankfurter Allgemeine”. Das war es dann aber auch schon. Medienvielfalt sieht anders aus.
Als Grund für das Aus der vor 49 Jahren gegründeten Vertriebsgesellschaft nennt Eigentümer Christoforos Chatzopoulos neben der griechischen Finanzmisere auch die digitale Konkurrenz sowie die wie Schwammerln aus dem Boden wachsenden Gratisangebote. Vor allem solche Hefte finden natürlich in krisengeschüttelten Zeiten reißenden Absatz. Deren Inhalte allerdings sind bekanntlich ein Kapitel für sich.
Schlagzeilen machen dort bevorzugt Revolvergeschichten aus den Niederungen des Alltags, weniger Analysen all dessen, was in den Höhen des politischen und wirtschaftlichen Olymps passiert, schon gar nicht Fouls und Verletzungen der Medienfreiheit durch die Staatsgewalt. Was in Griechenland im Bereich der Medien geschieht, das ist mehr als nur ein zufälliges, demokratiepolitisch fragwürdiges Eigentor, es gleicht vielmehr einer medienpolitischen Konkurserklärung.
Gewalt gegen Journalisten
Auch die Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten nimmt in Griechenland – per Eigendefinition die „Wiege der Demokratie” – auffallend zu. Erst vor zwei Tagen schlug die Polizei die Fotoreporterin Tatiana Bolari nieder, als sie eine kleine, friedliche Demonstration journalistisch begleitete.
50 geschasste Angestellte des Finanzministeriums hatten in der Athener Innenstadt gegen ihre Entlassungen protestiert. Wie, so fragt man sich, wird die Staatsgewalt künftig bei wirklich großen Demonstrationen vorgehen, wenn sie bereits bei solchen Mini-Events derart nervös reagiert. Wie, wenn eines Tages die arbeitslose Jugend auf die Straße geht? Immerhin liegt laut jüngster Statistik die Jugendarbeitslosigkeit auf dem griechischen Festland in der Hauptstadtregion Attika zwischen 57, 4 und 59, 8 Prozent, in der nördlichen Region Epirus bei 67, in der Region Westmakedonien sogar bei 70, 6 Prozent.
Öffentlich-rechtlicher Piratensender ERT Open
Zufall oder nicht, der HDA-Konkurs erfolgte just am Jahrestag der gewaltsamen Schließung des traditionsreichen öffentlich-rechtlichen Senders ERT. Ein Jahr zuvor hatten Polizeieinheiten mitten in der Nacht den Sender geschlossen, dessen Strom mir nichts Dir nichts abgedreht.
Am 11. Juni 2013 flimmerten ab 22.00 Uhr nur noch Schwarzbilder auf den ERT-Kanälen. Kurz zuvor waren die Mitarbeiter aus heiterem Himmel gekündigt worden. So einfach geht das in einem demokratischen Mitgliedsstaat der EU.
Dennoch: die Redaktion sendet weiter. Im Internet als „ERT Open”. Anfangs noch aus dem alten ERT-Gebäude in Athen. Seitdem auch das von der Polizei gewaltsam geräumt worden war, aus Thessaloniki. Jeder der kann, schaute zu.
Innerhalb nur eines Jahres mauserte sich „ERT Open”, quasi ein öffentlich-rechtlicher Piratensender, von einem Geheimtipp zu einem Lieblingssender der griechischen Bevölkerung. Frage: hätten auch anderswo Journalisten eine solche Durchhaltekraft im Dienste von Medien- und Informationsfreiheit? „ERT Open” ist eine sensationelle Erfolgsgeschichte im Dienst der Demokratie. Wie lange noch?
Schwarzer Tag für mediales Freiwilligenteam
Auch der diesjährige 11. Juni war ein schwarzer Tag für die 400 Kopf starke Belegschaft dieses medialen Freiwilligenteams. Seitdem gibt es kein Arbeitslosengeld mehr – maximal 500 Euro – auch keine mit diesem gekoppelte Krankversicherung.
Schon bisher wurden jene, Redaktionsmitglieder, die nicht zusätzlich Hilfe seitens ihrer Familien erhielten, von der nationalen Journalistenunion mit Lebensmittel-Bons und Carepakete unterstützt. Wie es weiter gehen soll, weiß niemand.
Aus Sicht von Christophe Deloire, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen International, ist die griechische Regierung schlicht und ergreifend im Begriff, die Demokratie zu ökonomisieren. Wie heißt es doch in Artikels 11 der EU Grundrechte-Charta: Freiheit und Pluralismus der Medien sind zu respektieren. Zugegeben, ein ziemlich laue Definition, die dringend der Nachschärfung bedarf. Quod erat demonstrandum am Fall Griechenlands. Im aktuellen Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen, in Rahmen dessen weltweit 180 Staaten analysiert werden, ist Griechenland in diesem Jahr von Rang 85 auf Rang 99 abgerutscht.
Hinweis: Mit 3. Mai – dem internationalen Tag der Medienfreiheit – hat Reporter ohne Grenzen Österreich den
diesjährigen Press Freedom Award – A Signal for Europe aus gegebenem Anlass für griechische Journalisten ausgeschrieben. Verliehen wird dieser Preis Anfang Dezember 2014. in Wien.