Ein langer schwarzer Freitag: Ein Bundeskanzler verirrt sich in der Weltpolitik

Ein langer schwarzer Freitag: Ein Bundeskanzler verirrt sich in der Weltpolitik

Ein langer schwarzer Freitag: Ein Bundeskanzler verirrt sich in der Weltpolitik

Das persönlich-politische Naheverhältnis zu Benjamin Netanjahu ist Kanzler Kurz offenbar wichtiger als Österreichs Integrität als neutraler Staat

Der aktuelle Blog von “Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich”-Präsidentin Rubina Möhring im “Standard”.

“Es hat alles seine Vorgeschichte”, und es sei wichtig, mit Schülern, mit Studenten, mit allen zu diskutieren, wie es möglich gewesen sei, dass es so weit kommen konnte. So die Worte von Bundespräsident Alexander Van der Bellen beim Gedenken an die Opfer des Hitler’schen Naziregimes im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen. Es ist der 14. Mai 2021, ein Freitag.

An demselben Tag überfluten uns Bilder aus dem sogenannten gelobten Land, in dem sich wieder israelische und palästinensische Streitkräfte “bis aufs Blut” bekämpfen. Wie immer bei solchen national-strategischen Aktionen sind die Menschen, die Zivilbevölkerung, die Leidtragenden, die Opfer. Diese Menschen sind es, die von der Politik zum Abschuss freigegeben werden. Die Politikerkaste selbst lebt wohlbehütet in Sicherheit.

Zumindest aktuelle Bilder lügen nicht, sollten zumindest nicht lügen, sind also hoffentlich noch unbearbeitete, unfrisierte Momentaufnahmen und als solche visuelles Nachrichtenfutter für uns alle. Was sich in dem israelisch-palästinensischen Konflikt seit langen Jahren und nun neuerlich abspielt, ist unfassbar. Es herrscht Kriegsstimmung. All dies auf einem Gebiet, das unwesentlich größer ist als das österreichische Bundesland Niederösterreich.

Israel ist mit der Delogierung einer Reihe von Palästinensern aus ihren Häusern in Ostjerusalem vorgeprescht. Ob zu Recht oder zu Unrecht, sei dahingestellt. Friedensstiftend war diese Aktion sicherlich nicht, vielmehr wirkte sie wie eine Provokation, wenn auch als solche vielleicht nicht so gewollt.

Flagge und Neutralität

Diese Frage kann nur die Regierung Netanjahu schlüssig beantworten. Warum nicht in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss? Warum sollte nicht Österreich zumindest in dieser Hinsicht in Israel positiv Schule machen. Was aber macht die derzeitige österreichische Kurz-Regierung an diesem 14. Mai? Sie hisst über dem Bundeskanzleramt und dem Außenministerium jeweils die israelische Flagge. Dies unter jeglicher Missachtung von Österreichs immerwährender Neutralität.

Prompt sagt der iranische Außenminister seinen für den 15. Mai geplanten Wien-Besuch ab. Also vorerst keine Gespräche über das Atomwaffensperrabkommen. Das persönlich-politische Naheverhältnis zu dem nicht gerade unumstrittenen Regierungschef Israels, Benjamin Netanjahu, ist unserem derzeitigen Bundeskanzler Kurz offenbar wichtiger als Österreichs Integrität als neutraler Staat, als Österreichs internationales Ansehen auch als neutraler Verhandlungsort für internationale Konflikte. Selbst der Atomwaffensperrvertrag scheint eine zu vernachlässigende Größe zu sein, verglichen mit einem willfährigen Dienst unter Freunden.

Geschichtsunterricht

Ohne Neutralität hätte es für Österreich 1955 keinen Staatsvertrag gegeben, ohne Neutralität wäre das Land damals nicht wieder ein souveräner Staat geworden. Am 15.Mai wurde der Staatsvertrag unterzeichnet. “Österreich ist frei”, rief Kanzler Leopold Figl vom Balkon des Schlosses Belvedere. In Österreich zogen die alliierten Besatzungsmächte ab. In Deutschland blieben diese bis zum Fall der Berliner Mauer 1989. Lange 34 Jahre später.

Internationale Bedeutung erhielt das kleine Österreich erst wieder unter dem klugen und weitsichtigen Bundeskanzler Bruno Kreisky. Kreisky holte die UN und andere internationale Organisationen in Österreichs Hauptstadt Wien, Kreisky erkannte als erster Regierungschef auch die palästinensischen Politiker als Vertreter einer politischen Macht an. Dies auch in der Hoffnung auf eine friedvolle Lösung des Israel-Konflikts.

Im Jahr des Falls der Berliner Mauer und damit des beginnenden Endes der Sowjetunion war Österreichs heutiger Bundeskanzler Kurz gerade einmal drei Jahre alt. Offenbar hat der schulische Geschichtsunterricht keinen bleibenden Eindruck beim damaligen Schüler Kurz hinterlassen oder Interesse an historischem Wissen geweckt.

Hämische Kommentare

Schade. So erweckt er nun den Eindruck, nicht der Republik Österreich, sondern nur seinen persönlichen Anliegen zu dienen. Auch die nichtösterreichischen Medien sparen nicht mit hämischen Kommentaren. Da hilft auch nicht der mehr oder minder private Medien-Freiheitspreis, den das CSU-nahe Verlegerehepaar Weimer am 11. Mai in München zur Gaudi vieler Medien dem österreichischen Bundeskanzler verliehen hat. Als Brückenbauer und begabter Kommunikator. Anders gesagt: Der Lack des Sebastian Kurz währte nicht allzu lang, das “Good Boy”-Image ist bereits arg angekratzt.

Um dies auszubügeln, hier vielleicht ein Vorschlag: Auf Bundeskanzleramt und Außenministerium wird je eine Flagge gehisst mit folgender Message: Wider Rassismus jedweder Art. So jedenfalls könnte das von Kurz derzeit ramponierte Image Österreichs als neutraler Begegnungsort für die Lösung politischer Konflikte wieder positiv wahrgenommen und in Anspruch genommen werden.

Es hat, um nochmals den Bundespräsidenten zu zitieren, alles seine Vorgeschichte. Auch der Terrorakt am 2. November 2020 nahe der Synagoge in der Wiener Innenstadt. Mit der notwendigen Aufmerksamkeit des Innenministeriums hätte dieser vermieden werden können. Am 14. Mai parlierte Sebastian Kurz im Rahmen des “Christchurch Calls” mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern per Videoschaltung über islamistischen Terror und politischen Islam. Über die neonazistische Demonstration unweit des ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen sprach Kurz nicht. Die Medien berichteten.