Zwölf Monate voller Überwachungen, Verhaftungen und Gewalt: Seit der Tod von Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam die größten Proteste seit Gründung der Islamischen Republik Iran ausgelöst hat, kennt das Regime gegenüber den Medien noch immer nur Härte. Die Protestwelle brach am 16. September 2022 los, unmittelbar nach Aminis Tod. Wer über die Aufstände berichtete, riskierte vom ersten Tag an, verhaftet, verhört und unter fadenscheinigen Anschuldigungen inhaftiert zu werden.
Reporter ohne Grenzen (RSF) hat in den vergangenen zwölf Monaten insgesamt 79 verhaftete Medienschaffende gezählt. 12 von ihnen sind noch immer im Gefängnis, aktuell sind 24 in Haft. Auch wer freigelassen wird, leidet weiter unter Einschränkungen und Repression.
Die Behörden gehen dabei bewusst willkürlich vor. Eine Reporterin wird während einer Demonstration festgenommen, einer anderen werden bei einer Razzia in der Wohnung Handschellen angelegt, ein dritter Journalist wird direkt in der Redaktion verhaftet. Warum genau, bleibt häufig unklar, doch der Hauptvorwurf ist immer derselbe – „staatsfeindliche Propaganda“. Oft kommen erschwerende Umstände hinzu, angebliche Verstöße gegen ein Versammlungsverbot, Verschwörung gegen die Staatssicherheit oder gar „Kollaboration mit einem feindlichen Land“.
Gewalt, Korruption und Chaos in der Justiz
Das iranische Justizsystem hat nicht den Ruf, seine Insassen menschlich zu behandeln. Physische und psychische Gewalt sind häufig, die Mitarbeitenden der Gerichte und Haftanstalten sind teils korrupt, die Bürokratie ist dysfunktional: Gerade verhaftete Medienschaffende verschwinden manchmal einfach, und es vergehen Stunden, bis ihre Angehörigen erfahren, dass sie in Einzelhaft genommen wurden. Termine für Gerichtsanhörungen werden mal angekündigt und wieder verschoben, mal finden sie zwar statt, aber weder die Anwälte noch die Journalistinnen wissen rechtzeitig – oder überhaupt – davon. Sehr vieles ist chaotisch und schlecht organisiert.
„Es gibt keine Regeln, die vorschreiben, was in den Medien gesagt werden darf und was nicht“, sagte ein iranischer Journalist unter der Bedingung, anonym zu bleiben, zu RSF. „Wenn es Regeln gäbe, wüssten wir, wie wir sie umgehen können. Die Behörden sind klug genug, um das zu verstehen. Alles bleibt im Unklaren, also ist alles verboten.“
Das Arsenal der Repression ist groß, und die Behörden verändern es ständig: Sie erhöhen etwa die Voraussetzungen für Bewährungsstrafen und die Bedingungen für eine Freilassung. Sie entlassen Medienschaffende zwar gegen Kaution, belegen sie aber mit Arbeits- und Ausreiseverbot. Andere werden begnadigt, nur um beim geringsten Anlass wieder verhaftet zu werden, und manche Amnestien wurden ohne Begründung für nichtig erklärt.
Der lange Arm des Regimes reicht bis ins Ausland
Auch Medienschaffende, die im Ausland leben, sollen nach dem Willen des Regimes in Angst leben. Sie erhalten Drohungen, zum Teil werden sogar enge Verwandte, die noch im Iran leben, willkürlich festgenommen. So erging es auch Shima Shahrabi, der Chefredakteurin der persischsprachigen Nachrichtenseite Iran Wire. Nachdem sie aus dem Land geflohen war, wurde ihr Bruder, der Radiojournalist Sajjad Shahrabi, im Mai 2023 im Iran verhaftet, zur Arbeit seiner Schwester verhört und mehr als einen Monat lang inhaftiert.
Seit Beginn der Proteste am 16. September 2022 wurden 79 Journalistinnen und Journalisten verhaftet. 24 davon wurden wegen „staatsfeindlicher Propaganda“ und anderer Vorwürfe zu Haftstrafen zwischen sechs Monaten und sechs Jahren verurteilt. Einigen wurde im Januar eine Art Scheinamnestie gewährt. Die meisten der 79 Inhaftierten wurden zwar begnadigt, doch unter Bedingungen, die eindeutig darauf abzielen, sie zum Schweigen zu bringen: Häufig setzten die Richter die Strafe nur für einen bestimmten Zeitraum aus und behielten sich das Recht vor, sie zu vollstrecken, wenn die oder der Verurteilte ein weiteres „Verbrechen“ begeht. Das ist eine Form der langfristigen Zensur und Überwachung. Manchen Medienschaffenden bleibt eine Haftstrafe erspart, doch dürfen sie häufig weder das Land verlassen noch weiter journalistisch tätig sein. Das gilt auch für diejenigen, die auf Kaution freigelassen werden. Auch Gespräche mit anderen Medien sind ihnen verboten.
Eines der größten Gefängnisse weltweit für Journalistinnen
Den Behörden sind offensichtlich vor allem Journalistinnen ein Dorn im Auge. Nach RSF-Zählung waren von den 79 Verhafteten 31 Frauen. 5 dieser 31 Journalistinnen sind sich noch immer im Gefängnis. Ohne diese Journalistinnen wäre die Berichterstattung über die als Reaktion auf Jina Mahsa Aminis Tod entstandenen „Frau-Leben-Freiheit“-Bewegung nicht dieselbe. Nilufar Hamedi gehört dazu, die Reporterin von Shargh Daily, die der Welt mitteilte, dass Amini nach mehreren Tagen in Polizeigewahrsam gerade im Krankenhaus gestorben war. Zu ihnen gehört auch Elahe Mohammadi von Han Mihan, die als einzige Journalistin über Aminis Beerdigung in Saqqez in der iranischen Provinz Kurdistan berichtete. Beide warten noch immer auf ein Urteil in ihren Verfahren. Die Anschuldigungen sind schwer.
Auch Nazila Maroufian gehört zu den Inhaftierten. Die Journalistin von Rouydad24 wurde wegen ihres Interviews mit Aminis Vater im Januar zuerst zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, wenig später begnadigt, am 30. August jedoch erneut verhaftet und kurz darauf wegen „Veröffentlichung von Propaganda“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Sie berichtete, dass sie bei ihrer Verhaftung sexuell misshandelt wurde.
Die freie Journalistin Farzaneh Yahya-Abadi sitzt seit ihrer Festnahme am 19. Oktober in Untersuchungshaft, weil sie über Proteste in Abadan in der Provinz Khuzestan berichtet hatte. Vida Rabbani, ebenfalls freie Journalistin, verbüßt seit dem 22. September 2022 eine sechsjährige Haftstrafe. Sie wurde wegen „Versammlung und Kollaboration gegen die Staatssicherheit“ sowie „staatsfeindlicher Propaganda“ verurteilt.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht der Iran auf Platz 177 von 180.