Die ukrainische Falle: Journalisten unter Beschuss

Die ukrainische Falle: Journalisten unter Beschuss

Blog von Rubina Möhring
Die in der Ukraine vereinbarte Waffenruhe galt offenbar nicht dem Schutz von Journalisten. Noch bevor am Montag deren Ende verkündet wurde, erlag am Wochenende der russische Kameramann Anatoli Klijan einer Schussverletzung. Klijan ist der sechste Journalist, der in diesem Jahr in der Ukraine Opfer der gewaltsamen Auseinandersetzungen wurde. Insgesamt wurden seit Jahresbeginn mehr als 200 Medienmenschen angegriffen und verletzt.
Die Ukraine ist für Journalisten eine Falle geworden. Dies umso mehr, als sowohl das ukrainische Militär als auch die prorussischen Separatisten keinen Respekt mehr vor Menschenleben zu haben scheinen. Dass laut Resolution 1738 des UN-Sicherheitsrats Journalisten bei gewaltsamen Auseinandersetzungen geschützt werden müssen, ist entweder unbekannt oder spielt einfach keine Rolle. Zu dominierend ist offenbar inzwischen der Tunnelblick auf beiden Seiten.

Gräuel des Zweiten Weltkriegs sind Geschichte
Die Gräuel des Zweiten Weltkriegs, die sich bekanntlich auch in der Ukraine und dem jetzigen  Krisengebiet abspielten, sind längst Geschichte, längst vorbei. Eine neue Generation hat das Sagen, eine Generation, der offenbar die Erfahrungen ihrer Eltern und Großeltern gleichgültig sind. Der Blick zurück zählt nicht, die Zukunft ist verschwommen, einzig relevant ist das Jetzt und Heute. Die menschenverachtende, sinnlose und, wie es scheint, unkontrollierte, unkontrollierbare Brutalität, die auch aus dieser Haltung erwachsen ist, ist erschreckend.
Der erfahrene 68-jährige Kameramann Anatoli Klijan hatte für den russischen TV-Sender “Erster Kanal” eine Gruppe ukrainischer  Frauen begleitet, die per Bus Richtung Donezk unterwegs waren. Die Frauen, vorwiegend Mütter, wollten ihre dort stationierten Söhne sehen. Kaum bei dem Militärstützpunkt angekommen, geriet der Bus unter Beschuss. Von wem, das ist noch nicht geklärt. Klijan wurde von einer Kugel getroffen, als er versuchte, mit seiner Kamera den Vorfall zu dokumentieren. Er starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus.
Die Situation eskaliert
Knapp zwölf Tage zuvor hatten Granaten den russischen TV-Journalisten Igor Korneljuk und dessen Toningenieur Anton Woloschin unweit der Stadt Lugansk tödlich getroffen. Ende Mai verloren der italienische Fotograf Andrea Rochelli und sein Assistent sowie der russische Menschrechtsaktivist Andrej Mironow bei Slawjansk ihr Leben. Schon im Februar war der Printjournalist Wjateschlaw Weremi auf dem Kiewer Maidan gezielt erschossen worden.
Journalisten werden in der Ukraine zunehmend zu Zielscheiben in politischen und militärischen Auseinandersetzungen. Sie werden bedroht, verprügelt, verschleppt. Redaktionsräume werden zerstört, Computer konfisziert. Der Feind, so scheint es, wird bevorzugt auch in den Berichterstattern gesehen – auf beiden Seiten. Journalisten werden als Spione diffamiert, als Propagandisten, als Gegner, die mit der Waffe des Wortes und des Bildes agieren.
Gegner desavouieren
Tatsächlich wird eine objektivierende Berichterstattung aus der Ostukraine von Tag zu Tag schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich. Zu dieser Situation beigetragen haben auch Schreckensmeldungen und TV-Berichte, die ganz gezielt dem Zweck dienten – und immer noch dienen -, den Gegner zu desavouieren. Hinzu kommt, dass eine kritische Berichterstattung über Fehlverhalten in den eigenen Reihen unerwünscht ist. Wohin das führen soll, ist noch nicht absehbar. Ebenso wenig kann jetzt schon gesagt werden, welche Folgen diese journalistische Notsituation eines Tages für heute heranwachsende Journalistengenerationen haben wird.
Russische und ukrainische Journalistenvertreter und -repräsentantinnen sind jedoch bemüht, zumindest den kollegialen Dialog nicht abreißen zu lassen. Ende vergangener Woche trafen sie sich zum zweiten Mal auf Einladung der OSZE-Medienbeauftragten Dunja Mijatovic zu einem Gedankenaustausch in Wien. Sie sprachen miteinander, erklärten ihre Sichtweisen, hörten einander aufmerksam zu. Spürbar war dabei bereits mancherlei Verbitterung.
In einer gemeinsamen Resolution sprachen sie sich gegen propagandistische Berichterstattung, gegen Hetze und nationalen Chauvinismus aus, gegen jedweden Journalismus, der dazu beiträgt, das Feuer zusätzlich zu schüren. Für den Schutz von Journalisten vereinbarten sie gegenseitige Unterstützung auch bei der Ahndung von Verbrechen gegen Journalisten. Allen Beteiligten war klar, dass sie da einen langen Weg vor sich haben. Umso anerkennenswerter ist es, dass sie entschlossen sind, diesen Weg weiter zu gehen. (Rubina Möhring, derStandard.at, 2.7.2014)