Blog von Rubina Möhring
Über weniger oder mehr geglückte beziehungsweise missglückte Wahlkampf-Ausreißer
In Deutschland tobt der Wahlkampf inzwischen ohne Worte. Ein Kanzlerkandidat zeigt seinen Kritikern “humoristisch” den Stinkefinger – diese finden das gar nicht witzig. Immerhin hat er sich so auch auf die Titelseite der Printausgabe einer populären türkischen Zeitung gerobbt. Ein Vizekanzler verweigert die Freigabe eines seriösen, lang vorbereiteten Interviews zum Thema Hass und Rassismus, Nationalismus. Was macht das Blatt: Es veröffentlicht nur die Fragen. Anstelle der Antworten: Punkte, Punkte, Punkte. Auch das spricht Bände, durchaus auch im Sinne unabhängiger Information.
Wahlkampf-Ausreißer
Klar, die genannten Beispiele sind weniger oder mehr geglückte beziehungsweise missglückte Wahlkampf-Ausreißer in Deutschland. Natürlich kann man nun locker auf den österreichischen Wahlkampf umsatteln und die Redebereitschaft hiesiger Parteichefs beäugen. Kein Zweifel, dass das Plädoyer für die Wiedereinführung der Todesstrafe seitens eines Splitterparteiführers demokratiepolitisch irritierend ist. Da werden mieseste Instinkte angesprochen: Brutalität als Gegenmittel gegen Brutalität. Sind wir jedoch tatsächlich von solchen Tendenzen befreit?
Kontrapunkt zu Schaumschlägereien
Ruth Wodak, international führende Sprachsoziologin, setzt in ihrer Eröffnungsrede des Linzer Brucknerfestes einen pointierten Kontrapunkt zu derartigen, populistischen Schaumschlägereien. Sie fordert die Implementierung der europäischen Menschenrechts-Charta nach innen und außen. Sie setzt zugleich auf eine starke, europäischen Zivilgesellschaft.
“Europäische Identitäten – Nationalismen und (Sprach)-Barrieren”, ist ihr Thema. Wodak analysiert hierbei das linguistische Babylon und das dementsprechend divergierende Wertebewusstsein innerhalb der EU. Anders gesagt: Sie analysiert all jene extrem differierenden Sprachbarrieren sowohl zwischen den EU-Ländern selbst, als auch zwischen Politkern und Alltagsmenschen, auch jedoch zwischen Asylwerbern und Asylgewährenden.
Sprachliche Barrieren
Schranken in Kopf führen zu Barrieren im alltäglichen Leben, sowohl sprachlich als auch Themenbezogen. Bekanntlich ist Österreichs Innenministerin bereit, sage und staune 500 Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen. Primäres, antiquiert anmutendes Aufnahmekriterium: die Zugehörigkeit zum Christentum. Wenigstens ohne die ansonsten notwendigen Deutschkenntnisse.
Österreich konnte auch schon einmal anders, darauf weist auch Wodak hin: 1956 als abertausende Ungarn nach Österreich flohen, 1968 nach dem gewaltsamen Machtwechsel in Prag. All diese Flüchtlinge wurden bedingungslos aufgenommen.
Heutzutage die Gewährung von Menschenrechten von Glaubensgemeinschaften abhängig zu machen, ist – zumal als EU-Mitgliedsstaat – ein fataler Rückschritt in Richtung politisch-religiöser Einäugigkeit. Gepaart mit einer feinen Wiener Mischung namens Zynismus, wenn im selben Atemzug in der arabischen Welt eine Dominanz religiös orientierter Machtgruppen befürchtet wird.
Religiöse Kreuzzügeleien jeglicher Art kann sich das heutige Österreich nun wirklich nicht mehr leisten – schon gar nicht auf Kosten von hilfsbedürftigen Flüchtlingen. Freuen wir uns stattdessen lieber über das 125-jährige Bestehen des Wiener Türkenschanzparkes. Als Erinnerung daran, dass Wien vor 330 Jahren nicht von den “muselmanischen” Truppen des Osmanischen Reiches eingenommen wurde. Dieser Triumph könnte doch genügen, vor allem angesichts heutiger, brennend aktuell zu wahrender Menschenrechte, unabhängig von jedweden Glaubensfragen. (Rubina Möhring, derStandard.at, 15.9.2013)