Reporter ohne Grenzen fordert die türkische Justiz erneut auf, den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel sofort freizulassen. Yücel verbringt am morgigen Mittwoch seinen 100. Tag im Gefängnis. Am 14. Februar war der Korrespondent der Zeitung Die Welt festgenommen worden, nachdem er sich zur Polizei begeben hatte, um sich den Fragen der Ermittler zu stellen. Zwei Wochen darauf ordnete ein Haftrichter Untersuchungshaft für ihn an. Reporter ohne Grenzen fordert auch die sofortige Freilassung der deutschen Journalistin Mesale Tolu, die mit einem kleinen Kind eingesperrt ist.
„Deniz Yücel hat nichts als seine journalistische Arbeit getan. Es ist eine Schande, ihn einzusperren“, sagt Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich. „Deniz Yücel muss sofort freigelassen werden und so schnell wie möglich einen fairen Prozess bekommen, damit er sich gegen die haltlosen Anschuldigungen zur Wehr setzen kann“, so Möhring.
Die türkische Justiz wirft Yücel Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Datenmissbrauch und Terrorpropaganda vor. Vor seiner Festnahme war Yücel im Zusammenhang mit seinen Berichten über eine Hacker-Attacke auf ein E-Mail-Konto des türkischen Energieministers gesucht worden. Ebenso wie viele andere Journalisten internationaler Medien hatte er über den Inhalt der auf Wikileaks öffentlich zugänglichen E-Mails berichtet, in denen es unter anderem um die Kontrolle türkischer Medienkonzerne und die Beeinflussung der Öffentlichkeit durch fingierte Nutzer im Kurznachrichtendienst Twitter ging.
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat Yücel öffentlich als „PKK-Vertreter“ und „deutschen Agent“ bezeichnet. Deutschen Diplomaten gewährt die Türkei nur sehr eingeschränkten konsularischen Zugang zu dem Journalisten, der anders als viele andere inhaftierte Journalisten in Einzelhaft festgehalten wird: Bislang durfte ihn erst zwei Mal der deutsche Generalkonsul in Istanbul im Gefängnis besuchen.
Deutsche Journalistin Mesale Tolu mit ihrem Kleinkind in Haft
Die deutsche Journalistin Mesale Tolu wurde am 30. April festgenommen und wird seit dem 6. Mai im türkischen Frauengefängnis Bakirköy festgehalten. Ihr zweijähriges Kind befindet sich mit ihr im Gefängnis. Tolu werden offenbar Terrorpropaganda und Mitglied einer Terrororganisation vorgeworfen. Tolu ist seit 2007 deutsche Staatsbürgerin und zog 2014 nach Istanbul, um für den Radiosender Özgür Radyo zu arbeiten. Der Sender wurde wie viele andere Medien auch nach dem Putschversuch im vergangenen Sommer per Dekret geschlossen. Danach arbeitete Tolu als Übersetzerin.
Insgesamt sitzen in der Türkei derzeit rund 165 Journalisten im Gefängnis. Mindestens 50 sind in direktem Zusammenhang mit ihrer journalistischen Tätigkeit in Haft. In Dutzenden weiteren Fällen ist dies ebenfalls wahrscheinlich, lässt sich aber derzeit nicht nachweisen, weil die türkische Justiz selbst die Betroffenen und ihre Anwälte oft für längere Zeit über die genauen Anschuldigungen im Unklaren lässt.
Türkei ist auf der Rangliste von Reporter ohne Grenzen auf Platz 155 von 180 Ländern (World Press Freedom Index).