BLOG – Wem danken wir die Plattform Wikileaks und damit erste Einsichten in streng geheime, politische und wirtschaftliche Dokumente und sogar kriminelle Machenschaften? Julian Assange. Also jenem australischen Journalisten, dem es gelungen war, vor allem US-Geheimdokumenten zu Gemeingut zu machen. Das war 2006. Wikileaks hatte damals uns allen die Augen geöffnet und dokumentiert, was hinter politischen und militärischen Nebelschwaden tatsächlich geschah, geschehen kann.
Heute sitzt Julian Assange im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh.
In diesem Gefängnis werden speziell auch Auslieferungshäftlinge untergebracht. Nils Melzer, UN-Sonderbeauftragte für Folter, attestiert lebensgefährdende Inhaftierungsmethoden. Julian Assange ist offenbar unerträglicher, psychischer Folter ausgesetzt. Jüngste Bilder von ihm zeigen einen alten, gebrochenen Mann. Julian Assange ist jedoch erst 49 Jahre alt.
Sorge um das Recht auf Wahrheit
Montag, den 24. Februar beginnt die gerichtliche Anhörung von Julian Assange im Sinne einer Auslieferung an die USA. Dort muss er, so der dortige Präsident Donald Trump, wegen Spionage mit 175 Jahren Haft rechnen. “Wenn Julian Assange trotz der Zweifel an einem rechtsstaatlichen Umgang mit ihm an die USA ausgeliefert wird, fürchte ich sehr um unser Recht auf Wahrheit.” So die Sicht des UN-Sonderberichterstatters für Folter, Nils Melzer.
“Schau Dir diese Toten Bastarde an”
“Ha, ich habe ihn erwischt. Schau dir diese toten Bastarde an.” Von einem Helikopter aus schießen US-Soldaten auf eine Gruppe von Zivilisten: Erwachsene, Kinder, zwei Agenturjournalisten. Wikileaks veröffentlichte jenes Video, in dem diese Szene zu sehen war. Es handelte sich eindeutig um Kriegsverbrechen. Geahndet wurden diese nie. Das Video trägt den Namen “collateral murder”. Medien verglichen die mörderische Helikopter-Aktion mit den schon zuvor publik gewordenen, extrem widerwärtigen Foltermethoden des US-Militärs an Inhaftierten des berüchtigten Gefängnisses Abu Graibh nahe Bagdad.
All diese Bilder waren Zeugnisse einer völligen Verrohung und Entmenschlichung seitens des US-Militärs. All diese Bilder waren und sind zugleich Beispiele für die totale Überforderung und Abstumpfung von Militärangehörigen in nicht enden wollenden Kriegseinsätzen. Die an den Zivilisten-Morden und Greul beteiligten Angehörigen der US-Armee waren Kriegsverbrecher, vor Gerichten mussten sie sich aber nie verantworten. Warum eigentlich nicht?
Kriegsverbrecher werden verschont – Assange wird in der Haft gefoltert
Anders wurde und wird noch immer mit Julian Assange verfahren. Warum das? Julian Assange ist – im Gegensatz zu den besagten US-Militärs – kein Kriegsverbrecher, kein Folterer, kein Mörder. Was sich Julian Assange allenfalls zu Schulden kommen ließ, ist, dass er jedwedes tabuisierte “Top Secret”, das ihm zugespielt wurde, veröffentlichte: Auf der von ihm gegründeten Informationsplattform Wikileaks.
Anfangs wurden die Dokumente inhaltlich kontrolliert, später leider weniger sorgsam auf den Informationsmarkt geworfen. Mancherlei geriet der amerikanischen Regierung zu Peinlichkeiten, manche Veröffentlichung diplomatischer Korrespondenzen führten leider auch dazu, dass Kontakte und Hilfestellungen internationaler Diplomaten zu sogenannten Dissidenten publik gemacht und damit gestoppt wurden. Als sicher gilt, dass auch die Veröffentlichung der Emails von Hillary Clintons in ihrem damaligen Kampf als Kandidatin der Demokraten um die US-Präsidentschaft schwer geschadet hatte. Donald Trump gewann und ist seitdem US-Präsident. Heute fordert Donald Trump die Auslieferung von Julian Assange mit dem Hinweis, in den USA könne dieser wegen Spionage mit 175 Jahren Haft rechnen.
Julian Assange ist Journalist, kein Spion
Julian Assange ist Journalist, nicht jedoch ein Spion. Auf Wikileaks wurden lediglich Dokumente veröffentlich, die der Plattform von Whistelblowern zugespielt wurden.
Auch das ist kein Grund, Assange zu einem Kriminellen zu stempeln. Bedenklich ist jedoch, wie die traditionell demokratischen Staaten Schweden und Großbritannien, aber auch die Vereinigten Staaten von Amerika offenbar versuchten, die Regeln heutiger demokratischen Rechtsstaaten zu umgehen und das Recht zu beugen.
Falsche Polizei-Protokolle
2010 behauptet in Schweden die Stockholmer Polizei, Assange habe sich der Vergewaltigung einer jungen Frau schuldig gemacht. Viel später stellt sich heraus, dass dies die Falschmeldung von Polizeibeamten war. Die junge Frau hatte lediglich die Polizei gebeten, zu überprüfen, ob Assange damals HIV infiziert war oder nicht. Die Volten schlagende Fantasie der schwedischen Polizisten wurde Assange zum Verhängnis. Erst Ende November 2019 wurde schließlich das Vergewaltigungsverfahren wegen mangelnder Beweise eingestellt. Da saß Assange bereits längst hinter britischen Gittern.
Assange hatte sich völlig legal nach London abgesetzt, um nicht schließlich von den schwedischen Behörden festgenommen und an die USA ausgeliefert zu werden.
In London erhielt er zunächst Asyl in der Botschaft von Ecuador sowie die Staatsbürgerschaft dieses Landes. An die sieben Jahre lebte er dort in einem 20 Quadratmeter großen Raum. Sicherlich war er angesichts seiner Zimmerkoller immer weniger ein angenehmer Gast. Der von ihm einzig geschätzte Besuch war der seines besten Freundes: ein Kater, der täglich zu ihm kam.
Inhaftierung in London
Die neue Regierung von Ecuador beschließt plötzlich, ihn den britischen Behörden zu überlassen und ihm die Staatsbürgerschaft wieder abzuerkennen. Mitte April vergangenen Jahres wird er also den Londoner Behörden ausgeliefert, am 1. Mai 2019 zu 50 Wochen Haft verurteilt. Begründung: er habe sich durch seine Flucht in die Botschaft Ecuadors der britischen Justiz entzogen.
Schwerer Schlag gegen Pressefreiheit
Sollte Assange verurteilt werden, wäre dies ein schwerer Schlag gegen Pressefreiheit und investigativ recherchierender Reporter und Journalistinnen. Ein entsprechendes Urteil könne ein Freibrief für jedwede Regierung sein, journalistische Recherchen zu unterbinden. Der Willkür von Machthabenden und eine Vereinheitlichung der Information in deren Sinn wären Tür und Tore geöffnet. Am Montag, den 24. Februar werden in London von internationalen Menschenrechtsorganisationen Demonstrationen und Mahnwachen abgehalten werden. So auch von “Reporter ohne Grenzen”.
Was sagt uns all dies: Gut, dass es seitdem zunehmend investigativ arbeitende, nationale sowie überregionale journalistische Recherche-Netzwerke gibt.
Unterstützen Sie unsere Petition –
Julian Assange nicht an die USA ausliefern!
Dieser Kommentar erschien am 23.2.2020 in Rubina Möhrings Medienblog im Standard.