Zu heißes Eisen

Zu heißes Eisen

Prozesskrimi rund um den Mordfall Anna Politkowskaja

Blog von Rubina Möhring

Niemand in Moskau will sich offenbar im Zusammenhang mit dem “Politkowskaja-Prozess” die Finger verbrennen. Die Aufklärung des Mordes an der regimekritischen Journalistin vor inzwischen schon sieben Jahren ist offenbar ein zu heißes Eisen. Mehrere der zwölf Geschworenen baten nun aus gesundheitlichen oder beruflichen Gründen um ihre Entlassung. Schon Ende Juli, bei Prozessbeginn gegen den mutmaßlichen Mörder samt Komplizen war es schwierig, Geschworene zu finden. Wer hat da Angst vor wem und warum?

Wir erinnern uns. Samstag, den 7. Oktober 2006 – zufällig oder nicht am 54. Geburtstag von Russlands Präsident Putin – wird die Kreml-kritische Journalistin Anna Politkowskaja am helllichten Tag im Eingangsbereich ihres Wohnhauses brutal erschossen. Wie Freiwild niedergesteckt durch mehrere Schüsse. Der letzte ist ein Kopfschuss, in der Jägersprache Gnadenschuss genannt. Politkowskaja war gerade vom Einkaufen zurückgekommen und wollte mit dem Lift hinauf zu ihrer Wohnung fahren. Die Täter entkommen. Wladimir Putin, in diesen Tagen Gast des “Petersburger Dialogs” der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, verspricht umgehende Aufklärung. Bis heute sind die Auftraggeber unbekannt.


Penible Reporterin

Politkowskaja war bekannt als penible Reporterin während der tschetschenischen Kriege Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts. Als solche war sie auch von manchen gefürchtet, verfügte sie doch über Unterlagen, die selbst der Regierung in Moskau hätten unangenehm werden können. Sie recherchierte als Sonderkorrespondentin der Moskauer Zeitung “Nowaja Gaseta” und informierte über regierungsnahe Machenschaften in Tschetschenien. All dies im festen Vertrauen darauf, dass ihre internationale Bekanntheit sie schütze. Als ich sie kennenlernte, wirkte sie auf mich wie eine Kerze, die von beiden Seiten brannte.

Seltsame Zufälle

Nach dem Mord am 7. Oktober geschah erst einmal lange nichts. Im November 2008 wird der erste Strafprozess eröffnet. Angeklagt sind der mutmaßliche, allerdings leider flüchtige Todesschütze Rustam Machmudow, dessen an der Tat beteiligten Brüder Ibrahim und Dschagbrail sowie ein Ex-Leutnant des Geheimdienstes FSB und ein Ex-Offizier aus dem Innenministerium. Über dem Urteil wird gebrütet. Seltsamer Zufall Nummero 1: Knapp zwei Monate nach Prozessbeginn wird der Politkowskaja-Anwalt Stanislaw Markelow ermordet. Seltsamer Zufall Nummero 2: Einen Monat später, am 19. Februar 2009, fällt das Gericht seine Urteile: Freisprüche aufgrund mangelnder Beweise.

Der Prozesskrimi geht jedoch weiter. Am 25. Juni desselben Jahres hebt der Oberste Gerichtshof die Urteile wegen Verfahrensfehlers auf. Anfang August wird der Prozess neu aufgerollt. Wieder dauert es fast zwei Jahre bis Bewegung in den Fall kommt. Im Mai 2011 wird Rustam Machmudow in Tschetschenien festgenommen, im August der angebliche Drahtzieher Dmitri Pawljutschenkow, ein ehemaliger Oberst der Kriminalpolizei, festgenommen.

Dieser wird im Dezember 2012 wegen Beihilfe zum Mord zu elf Jahren Haft im Straflager sowie zu einer Zahlung in der Höhe 75.000 Euro an die Familie der ermordeten Journalistin verurteilt. Strafmildernd war seine Bereitschaft, mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Der Staatsanwalt hatte 20 Jahre Straflager gefordert. Der Ex-Polizist soll dem tatverdächtigen Mörder die Waffe besorgt und Politkowskaja überwacht haben. Außerdem sollen für den Mord 115.000 Euro geflossen sein.

Wieder vergehen sechs Monate. Im Mai dieses Jahres stehen nun der Tschetschene Lom-Ali Gaitukajew, ein Onkel des Gebrüder-Trios Machmudow, sowie – zum zweiten Mal – der Ex-Polizist Sergej Chadschikurbanow und die drei Brüder Machmudow vor Gericht. Belastet werden alle fünf durch jenen Ex-Kriminalpolizisten, der “gesungen” hatte.

Onkelchen Lom-Ali Gaitukajew, ein Geschäftsmann, gilt nun als jener Drahtzieher, der mit 115.000 Euro den Mord an Politkowskaja organisiert haben soll. Mitten im August wird Brüderchen Dschagmail in Moskau auf offener Straße angeschossen und an der Hüfte getroffen.

Geschworene kneifen

Nun kneifen die Geschworenen. Angeblich soll am 14. Januar 2014 der Prozess mit neuen Geschworenen weiter geführt werden. Wenn es dabei bleibt, werden seit dem Mord an Politkowskaja sieben Jahre, vier Monate und sieben Tage vergangen sein. Ob die Entscheidung, Politkowskaja zu “beseitigen”, tatsächlich nur ein privates, tschetschenisches “Familien-Komplott” war, bleibt weiterhin dahin gestellt.

Offenbar fällt es der russischen Justiz nicht leicht, den Mord an der prominenten Journalistin aufzuklären. Peinlich für Moskau. Tröstlich, jedenfalls für den Kreml, ist jedoch, dass Russland nun im Trio gemeinsam mit China und Kuba in den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen gewählt wurde. Damit befinden sich die Menschenrechte in besten Händen und in bester Gesellschaft. (Rubina Möhring, derStandard.at, 18.11.2013)