Verfahren gegen Online-Ausgabe der “Népszava” wegen eines anonymen Kommentars
Blog von Rubina Möhring
Kaum hatte Ungarn seine EU-Ratspräsidentschaft am 30. Juni abgefeiert, ging es in Sachen nationaler Medienpolitik sofort ans Eingemachte. Am 1. Juli trat die letzte Stufe des neuen Mediengesetzes in Kraft, am selben Tag wurde, wie seit heute bekannt, auch schon der ersten Klage eines namentlich nicht genannten Bürgers stattgegeben. Jenö Bodonovich, der Ombudsmann der staatlichen Medienbehörde – intern der Zensor genannt – leitete ein Verfahren gegen die Online-Ausgabe der kritischen Tageszeitung “Népszava” ein. Als störend empfunden war nicht ein Redaktionsbeitrag sondern ein anonymer Kommentar auf der Website der Zeitung worden. Wird der Klage stattgeben, ist ein Bußgeld zwischen 4.000 bis 180.000 Euro zu erwarten. Einer kleinen Zeitung tut so etwas sehr weh. Die Folge: Andere Zeitungen schlossen umgehend die Kommunikationsfunktionen ihrer Webseiten. Angst geht um in Ungarn.
Ebenfalls am 1. Juli wurden im öffentlich-rechtlichen Rundfunk des Landes Massenentlassungen beschlossen. In den kommenden Wochen werden 600 MitarbeiterInnen, vornehmlich aus den Redaktionen, den Schreibtisch räumen müssen, im September nochmals 400. Niemand weiß, aufgrund welcher Kriterien jemand gehen muss oder bleiben darf. Für ein berufliches Bleiberecht dürfte ein geschmeidiges Rückgrat jedenfalls förderlich sein.
Nach dem neuen ungarischen Mediengesetz wurden zudem die zuvor selbstständigen vier Fernseh- und sieben Radiosender der öffentlich-rechtlichen Medienorgel samt Personal mit der nationalen Nachrichtenagentur MIT in einem Fonds namens MTVA fusioniert. Den Sendern selbst blieben jeweils nur noch ein paar Programmplaner. Eine Zentralredaktion produziert nun sämtliche Programme und bedient zugleich die MIT. Es lebe die neue ungarische Rapsodie “Meinungsvielfalt”.
Und was tut sich in Österreich? Hier hat sich die ehemalige ORF-Generaldirektorin zum Wochenende versehentlich bis auf die Knochen blamiert, offenbar in Unkenntnis der aktuellen frauenfördernden Gesetzgebung. Im Hickhack um den ORF echauffierte auch sie sich, folgend einem Print-Chefredakteur, über die neuerliche Ausschreibung ihres früheren Postens in in- und ausländischen Blättern und nannte den vorgeschriebenen Schlusssatz, Bewerbungen von Frauen seien besonders erwünscht eine “intellektuelle Beleidigung aller Frauen.” Per Gesetz sind sogar Frauen bei gleicher Qualifikation vorzuziehen.
Dass gerade einer Frau solch ein intellektuelle Lapsus passiert, ist bedauerlich. Wurde doch der Passus wenigstens bei der aktuellen ORF-Ausschreibung nicht mehr vergessen. Selbst vor wenigen Jahren ist dies noch vorgekommen, allerdings von der inzwischen männlichen Führungsriege – peinlich, peinlich – nach entsprechenden Protesten flugs korrigiert.
Auch wird heute Jungredakteurinnen mit Kleinkindern nicht mehr, wie vor 2006, durch Mutterschaft getrübter Intellekt unterstellt. Das war wirklich empörend. Ebenso die Tatsache, dass manch stramme Unterläuferin der Generalin in dem Begehr weiblicher Angestellter nach “gleichem Einkommen bei gleicher Arbeit für alle” eine für das Unternehmen finanzielle Katastrophe wittern wollte.
Warten wir also ab, wer aufgrund welcher Qualifikationen neues ORF-Haupt wird. Selbst in unteren Chargen werden Posten angeblich erst dann ausgeschrieben, wenn man weiß, wen man will. Frauenfördernder Zusatz hin oder her – das ist, heißt es, so Sitte. Vielleicht sollte man diesen Usus generell hinterfragen. Zumindest dem Informationsgehalt haben bisher Redaktionen mit starkem Rückgrat nie geschadet. Bleibt zu hoffen, dass nicht auch die hiesigen Redaktionen zu Tode gespart werden.