Ukraine: Aus für die Medienfreiheit

Ukraine: Aus für die Medienfreiheit

Blog von Rubina Möhring
Journalisten haben keine Hausmacht, die sich um sie kümmert. Schon gar nicht in der Ukraine
Der ukrainische Ministerpräsident bemüht die Vision eines dritten Weltkrieges, andere erinnern warnend an die Vorkriegssituation vor 100 Jahren. OSZE-Beobachter werden in der ostukrainischen Stadt Slawjansk von pro-russischen Separatisten ver-, dann bei einer Pressekonferenz vor die laufenden Kameras geschleppt. An ihrer Seite ihre ukrainischen Sicherheitsbegleiter, ohne Schuhe, ohne Hosen, blutig geschlagen.  “Wir sind keine Kriegsgefangenen”, betonen die zivil gekleideten OSZE-Militärexperten im Gegensatz zu jenen, die sie gefangen genommen hatten. Die Nervosität ist groß. Auch die Empörung. Auch Journalisten wurden in der Ostukraine entführt. Das Aus für die Medienfreiheit wird seitens der Politik stillschweigend hingenommen.

Die freie Kreisstadt Slawjansk – zu deutsch “slawische Stadt” – liegt im Gebiet der kürzlich selbsternannten “souveränen Volksrepublik Donezk” . Seit Mitte April ist die Stadt Zentrum pro-russischer Proteste. Eigenmächtig ernannter Bürgermeister ist seit kurzem der pro-russische Politiker Wjatscheslaw Ponomarjow.
Vier der entführten OSZE-Beobachter stammen aus Deutschland, vier weitere aus Dänemark, Polen, Schweden und Tschechien. Der deutsche Außenminister trommelt laut und mächtig für deren Freilassung. Der Schwede wurde nun aus gesundheitlichen Gründen freigelassen. Wer jedoch setzt sich für die Journalisten ein? Journalisten haben keine Hausmacht, die sich um sie kümmert. Schon gar nicht in der Ukraine.
Seit Dienstag ist der ukrainische Journalist Jewgen Gapitsch, er berichtete für die Zeitung “Reporter” aus der Ostukraine, verschwunden. Seiner Frau wurde vom ukrainischen Sicherheitsdienst SBU mitgeteilt, Gapitsch sei von pro-russischen Einheiten in Slawjansk festgenommen worden. Bevor er in der Früh von der Stadt Horliwka nach Slawjansk aufgebrochen war, hatte er noch mit seiner Familie telefoniert.
Korrespondent des US-Magazine “Vice”
An diesem 22. April verschwand in Slawjansk auch Simon Ostrowsky, ein Korrespondent des US-Magazins “Vice”. Ihm wurde vorgeworfen, ein Spion der ukrainischen Ultranationalisten zu sein. Seit dem Wochenende ist zumindest er wieder frei.
Festgehalten und ohne definierten Aufenthaltsort sind jedoch nach wie vor die ukrainischen Journalisten Serhiy Lefter und Artem Deynega. Lefter war gemeinsam mit der NGO “Open Dialog Foundation” in der Ostukraine unterwegs. Deynega, ein populärer ukrainischer Blogger und anerkannter Experte in Informationstechnologie, hatte am 12. April die Besetzung des Polizeihauptquartiers in Slawjansk durch pro-russische Einheiten mitgefilmt und die Aufnahmen auf Youtube veröffentlicht. Tags darauf wurde der 25jährige in seiner Wohnung aufgesucht und verschleppt. Pro-russische Separatisten hatten auf seinem Balkon die Kamera entdeckt.
Ebenfalls in Slawjansk griffen Ostersonntag unbekannte Männer den weißrussischen Journalisten Dimitri Galko sowie dem italienischen Reporter Kossimo Attanasio und dessen französischen Kollegen Paul Gog an. Die drei Journalisten wurden vorübergehend festhalten. Ohne erklärten Grund und basierend auf keinerlei gültigem Recht. Auch nach ihrer Freilassung blieben ihre Dokumente, ihr Equipment, ihr Geld konfisziert. Zunächst hieß es, man hätte überprüfen müssen, ob sie als Spione tätig waren. In einem Interview mit dem russischen Onlineportal Gazeta.ru erklärte schließlich Ponomarjow, die Journalisten seien in Geiselhaft genommen worden als Revanche für die Inhaftierung pro-russischer Kameraden durch die ukrainischen Zentralregierung.
Selbstjustiz
Im wilden Osten der Ukraine herrscht Selbstjustiz. Gültiges Recht ist außer Kraft gesetzt. Störungen Ukrainischer Radio- und TV-Programme stehen auf der Tagesordnung und nicht nur dies. Stürmung des Fernsehturm in Slawjansk am Gründonnerstag. Separatisten erzwingen, dass die laufenden Programme abgeschaltet und russische gesendet werden. Ukrainische Einheiten versuchen den alten status quo wiederherzustellen. Vergeblich. Bereits zehn Tage zuvor war Ähnliches in Charkiw, der zweitgrößten ukrainischen Stadt, passiert. An die 50 maskierte Männer hatten dort den Fernsehsender ATN gestürmt, den Intendanten Oleg Juhtu bedroht, Computer, Akten, Dokumente zerstört und die Ausstrahlung russischer Programme erzwungen. Die Stadt liegt im Nordosten der Ukraine, knapp 200 Kilometer von Slawjansk entfernt.
Jedoch nicht nur ukrainische auch russische Jorunalisten werden derzeit in der Ukraine behindert. Anfang April wollte der Kommersant-Sonderkorrespondent Andre Kolesnikow gemeinsam mit dem Fotografen Dimitri Asarow über die damaligen Unruhen in Charkiw berichten. An der ukrainisch-russischen Grenze wurden beide kühl abgewiesen. Begründung: Zu wenig Bargeld in der Reisekasse.
An sämtlichen Fronten ist in der Ukraine auch den Medien der Krieg angesagt. Die Folgen sind katastrophal. Niemand schert sich darum. Laut IMI, dem Institut für Masseninformation in der ukrainischen Hauptstadt Kiew – eine Partnerorganisation von Reporter ohne Grenzen – waren allein während der ersten drei Monate dieses Jahres 196 Journalisten Opfer von Angriffen. Die Zahlen werden mit Sicherheit steigen, auch die jüngsten, massiven Proteste der Gewerkschaften weiterhin ungehört bleiben. Offenbar gibt es wichtigeres als Medienfreiheit und Transparenz. In der aktuellen ROG-Rangliste rangiert die Ukraine übrigens auf Platz 127 von insgesamt 180 weltweit analysierten Ländern. (Rubina Möhring, derStandard.at, 27.4.2014)