Todesurteil kritischer Journalismus

Todesurteil kritischer Journalismus

Blog | Rubina Möhring

Zum Tod des russischen Chefredakteurs Michail Beketow

Genugtuung bei den Tätern, Trauer bei den Hinterbliebenen: Michail Beketow ist tot, gestorben im Alter von nur 55 Jahren. Gedungene Schläger hatten den kritischen Journalisten im November 2008 in dem Moskauer Vorort Chimki misshandelt und krankenhausreif geschlagen. Seit diesem brutalen Überfall war Beketow pflegebedürftig. Warum diese Untat: Er hatte als Chefredakteur der Zeitung “Chimkinskaja Prawda” die Kommunalpolitik kritisiert. Nicht nur einmal, sondern immer wieder. Bis heute wurden die Täter nicht dingfest gemacht.

Konkreter Anlass für Beketows Todesurteil war – laut russischen Medien, zitiert auf der deutsprachigen Website der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti – seine stete Kritik an einem der Lieblingsprojekte des Bürgermeisters von Chimki, Wladimir Streltschenko, konkret die Abholzung des Chimki-Waldes für den Bau einer neuen Autobahn zwischen Moskau und St. Petersburg. Nicht nur dieser Eichenwald, auch ein Soldatenfriedhof sollte dafür dem Boden gleich gemacht werden. Zudem geplant waren offenbar auch Shoppingmails – dort wo bisher die Toten der Weltkriege ihre letzte Ruhe gefunden hatten.

Plattform für Investigativjournalismus


2007 hatte Beketow aus eigenen Mitteln die von ihm geleitete Zeitung “Chimkinskaja Prawda” gegründet. Diese diente als Sprachrohr für bisher unterdrückte Meinungen und als Plattform für investigativ recherchierte Informationen. Damals hatte Beketow erstmals von dem Autobahnprojekt Wind bekommen. Kaum hatte er begonnen darüber zu schreiben, begannen die ersten Einschüchterungsversuche.

  •     Als erste Warnung fand er eines Tages seinen Hund tot vor der Haustür.
  •     Sein Auto wurde in Brand gesetzt,
  •     eine Morddrohung folgte der anderen,
  •     bis er schließlich 2008 zum Invaliden geprügelt wurde.

Beketow vermutete hinter diesen Anschlägen den Bürgermeister, dieser verklagte ihn vergeblich wegen Verleumdung. Im November 2008 dann das letzte Attentat. Beketow wurde zum Pflegefall. Eineinhalb Jahre verbrachte der Journalist stationär im Krankhaus. Schädelverletzungen hatten sein Sprachzentrum zerstört, mehrere Finger und ein Bein mussten amputiert werden. Er war für den Rest seines Lebens bewegungsunfähig und mundtot gemacht worden.

Mit Preisen ausgezeichnet

An der Verleihung des Press Freedom Award 2010 von Reporter ohne Grenzen Österreich konnte er nicht mehr teilnehmen. Auch nicht an jener des Medienpreises, mit dem ihn die russische Regierung am 31. Oktober des darauf folgenden Jahres ausgezeichnet hatte. Dennoch war er, so lange er lebte, gerade für die jüngeren Journalistengenerationen ein Vorbild an Geradlinigkeit und Konsequenz im Dienst der Informationsfreiheit. Nicht nur dies.

NGOs unter Druck

Beketows Tod zeigt auch, wie sehr in Russland kritischer Journalismus zur Gratwanderung werden kann; vor allem, wenn Politiker sich in ihren Plänen gestört fühlen. Selbst NGOs, die sich für Presse- und Informationsfreiheitt einsetzen, erhalten – wie die OSZE-Medienbeauftragte Dunja Mijatovic in ihrer jüngsten Aussendung kritisiert – seit kurzem unangekündigte Kontrollbesuche in ihren Arbeitsräumen.

Vor fünf Tagen musste Beketow nach einem Herzinfarkt wieder in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Wie seine Rechtsanwältin Stalina Gurewitsch mitteilte, erstickte er an einer Mahlzeit, die ihm verabreicht worden war. Bestürzung nicht nur in Russland. (Rubina Möhring, derStandard.at, 12.4.2013)