Review: Alles unter Kontrolle?!

Review: Alles unter Kontrolle?!

Review: Alles unter Kontrolle?!

Podiumsdiskussion “Alles unter Kontrolle?! Methoden zur Überwindung der Message Control”

Dieser Artikel von Doris Piersching erschien am 12.11.2019 im Standard.

Message-Control: Kanzler “kommt
wieder als Messias daher”

Wer schadet Journalismus mehr? Jene, die ihn kontrollieren wollen, oder jene, die sich kontrollieren lassen? Auf dem Podium von Reporter ohne Grenzen war man dazu geteilter Meinung.

Das Foto vom Kanzler beim Wandern in Tirol, die von einem Pressegespräch ausgeladene Journalistin, die Informationssperre des Innenministeriums für kritisch berichtende Medien, die Leitlinie, bei Straftaten Herkunft und Asylstatus in offiziellen Aussendungen hervorzuheben, Druck auf ORF-Korrespondenten, politisches Framing: Message-Control fordert seit türkis-blauen Zeiten Journalisten quer durch alle Medien stärker denn je. Die nächste Regierung steht bevor – um sich zu wappnen, rief Reporter ohne Grenzen am Montagabend zu einer Diskussion.

“Wir sind auf dem Weg in Richtung einer sehr gut durchorchestrierten Medienkommunikation”, stellt Politikwissenschafterin Petra Bernhardt fest. Die Kontrolleure würden zum Zeitpunkt des Herstellens schon die Präsenz in den Medien mitdenken: Das PR-Foto von Bundeskanzler Sebastian Kurz beim Wandern wurde von manchen Medien ohne näheren Hinweis auf seine Herkunft übernommen.

“Eine eigene Form der Propaganda”

“Falter”-Journalistin Barbara Tóth kann das aus eigener Erfahrung bestätigen: “Die Parteien stellen Fotos her, die sehr gut sind. Die Kontextualisierung fehlt, da entsteht eine eigene Form von Propaganda.” Dass Journalisten Message-Control oft zu wenig entgegensetzen, habe damit zu tun, dass in den Redaktionen die Ressourcen geringer sind.

“Presse”-Journalistin Anneliese Rohrer sieht die Kontrolleure ebenso in der Pflicht wie die Kontrollierten: “Die einen versuchen es, aber die anderen lassen es zu.” Die Message von Politikern habe es immer schon gegeben, aber “aus wirtschaftlichen und anderen Gründen” ließen sich Journalisten kontrollieren: “Es braucht zwei: einen, der eine Message macht und versucht zu kontrollieren, und die, die sich kontrollieren lassen.” Davon gebe es viele.

“Bequemlichkeit, Denkfaulheit”

Rohrer lässt das Argument der ausgehungerte Redaktionen nur bedingt gelten, sie vermutet “Bequemlichkeit, Denkfaulheit”.

Pressekonferenzen sieht die Journalistin skeptisch: “Es kommen keine gescheiten Antworten”, sagt Rohrer. Weshalb immer öfter Praktikanten oder Praktikantinnen geschickt würden. “Wie kommt man in die Medien? Ein blöder Sager genügt”, sagt der Anwalt und ehemalige Liste-Jetzt-Abgeordnete Alfred Noll. Er findet das Thema Message-Control deshalb “wenig spannend. Wenn Journalisten dauernd darauf schauen, was die Politiker so reden, dann verfehlen sie ihren Job. Sie sollten mehr darauf schauen, was Politiker tun.” Im Fall der bei der letzten Nationalratswahl gescheiterten Liste Jetzt räumt Noll selbstironisch ein: “Bei uns hat die Message-Control nicht funktioniert.”

“Oligarchisierung von Politik”

Für wesentlicher hält der Anwalt und Ex-Politiker die “innere Message-Control” im parlamentarischen System. Noll beobachtet eine “Oligarchisierung von Politik. Immer weniger Entscheidungsträger bestimmen, was passiert. Die Diskurshaftigkeit der Politik geht seit Anfang der 2000er-Jahre den Bach hinunter. Das hat eine neue Qualität. Das ist ein Problem, dem sich die österreichische Medienlandschaft nicht widmen will.”

Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell sieht das Problem darin, dass Journalisten ihrem Publikum einerseits versprechen, hinter die Fassaden zu blicken. Auf der anderen Seite müssten sie sich eingestehen, dass das aufgrund der perfekt gemachten Öffentlichkeitsarbeit gar nicht so einfach ist, “wenn man in Redaktionen sitzt, wo hinten und vorne Not am Mann und an der Frau ist”.

Unsympathische Fotos von Sebastian Kurz

Die Kontrolle der Bilder und Worte aufgebrochen sah ROG-Österreich-Chefin Rubina Möhring nach der türkis-blauen Regierung: “Die Bildsprache war eine ganz andere. Es wurden auch unsympathische Fotos von Sebastian Kurz gezeigt und nicht mehr Messias-Fotos. Die Journalisten wirkten sehr befreit und wagten wieder frechere Kommentare. Seit 29. September ist das wieder vorbei, und Kurz kommt wieder als Messias daher.”

“Wir tappen voll in die Falle”, warnt Politologin Bernhardt. “Es gibt keine Message-Control, es gibt Kommunikationskontrolle in der Politik.” Diese funktioniere wie der Aufbau einer politischen Marke. “Ich kann damit nicht kontrollieren, wie Journalisten berichten, und schon gar nicht bestimmen, was beim Publikum ankommt.” Es sei “ein wichtiger Fortschritt einzusehen, dass Journalisten nicht am Gängelband der politischen Kommunikation hängen. Ja, die holen sich teure Leute und machen alles, was funktioniert. Sie versuchen selbstverständlich, möglichst so zu kommunizieren, was man hören möchte, breit zu streuen. Aber das ist keine ausweglose Situation.”

Mehr Journalisten und Politiker mit Rückgrat

Was tun? Der Rat des Kommunikationswissenschafters Hausjell: “Wenn ich weiß, dass ich vieles aus dieser PR-Lawine eh nicht schaffe zu überprüfen, dann sollte ich möglichst vorher entscheiden, was die Themen sind, die mein Publikum interessieren und interessieren sollten.”

“Mehr Journalisten mit Rückgrat” wünscht sich Rohrer dafür. “Mehr Politiker mit Rückgrat”, setzt Noll darauf. Eine neue Rubrik “Die unbeantworteten Fragen der letzten Woche” wirft Hausjell ein. Mit einer Einschränkung: “Kann sein, dass das relativ viel Platz braucht.”