Anlässlich der morgen stattfindenden „Universal Periodic Review“ (UPR) der Republik Kasachstan durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen wiederholt Reporter ohne Grenzen seine Forderung an Präsident Toqajew, die Verfolgung von Journalist*innen einzustellen und unverzüglich jene Reformen umzusetzen, die für die Implementierung der Pressefreiheit notwendig sind.
„Kasachstan hat dieses Jahr die Möglichkeit bekommen, sich in eine demokratische und liberale Richtung weiterzuentwickeln. Unter der rigiden Herrschaft von Nursultan Nasarbajew konnte man Menschenrechtsverletzungen und demokratiepolitischen Rückschritt — im besten Fall noch Stillstand – immer wieder beobachten“, so Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich. Nasarbajew ist im März dieses Jahres endgültig zurückgetreten und hat Platz gemacht für Qassym-Schomart Toqajew, dessen Reden ein gewisses Maß an politischer Offenheit erwarten ließen. Im Sommer ging Toqajew allerdings mit ausufernder Härte gegen friedliche Demonstrationen der Bevölkerung vor und erstickte jede Hoffnung auf ein liberales, freies Kasachstan im Keim.
„Es ist an der Zeit, dass Kasachstan sich des Erbes von drei Jahrzehnten absolutistischer Herrschaft von Präsident Nasarbajew entledigt und den menschenrechtlichen Grundsätzen endlich mehr Gewicht verleiht“, so Möhring. Die morgen stattfindende UPR bietet Kasachstan die Gelegenheit, Zugeständnisse zu machen, dass die Meinungsfreiheit respektiert und das internationale Ansehen des Landes verbessert werden sollen.
In den letzten Monaten gab es einige gute Nachrichten, die darauf hindeuteten, dass die Behörden durchaus Anstrengungen in Richtung freier Presse unternehmen. Yaroslav Golyshkin zum Beispiel, ein seit 2015 inhaftierter Zeitungsredakteur, wurde gegen Verbüßen einer Geldstrafe freigelassen. Und ein Gericht entschädigte eine weitere Redakteurin, Elena Kuznetsova, nachdem es anerkannt hatte, dass ihre Verurteilung wegen Verleumdung illegal gewesen war.
Neue Formen der Einschüchterung
Dieser bescheidene Fortschritt wird jedoch vom Ausmaß der noch immer stattfindenden Verstöße überschattet. Die Pressefreiheitsaktivist*innen von Adil Soz berichten, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2019 neben Drohungen, Angriffen sowie Belästigungen durch Justiz und Verwaltung auch 58 Journalist*innen verhaftet wurden – die Hälfte von ihnen, während sie über gerade stattfindende Ereignisse berichtet hat.
Präsident Toqajew hat die massive Verhaftungswelle von Journalist*innen im Mai, Juni und Juli nie kommentiert. Schlimmer noch, im Sommer wurden neue Methoden zur Einschüchterung von Journalist*innen angewandt. Maskierte Männer mit Regenschirmen hinderten die Reporter während der Demonstrationen am 6. Juli daran, Interviews zu führen und Verhaftungen zu filmen. Dann verhinderte eine Gruppe von Sportlerinnen, dass Human Rights Watch am 22. Juli eine Pressekonferenz abhalten konnte. Sie griffen Journalist*innen an, stahlen oder beschädigten ihre Ausrüstung – und blieben ungestraft.
Internet unter Kontrolle
Angesichts unzugänglicher Nachrichtenseiten, blockierter sozialer Netzwerke und fehlerhafter Mobilfunkverbindungen schreckte die Regierung offenbar nicht davor zurück, während der friedlichen Kundgebungen, die der im Exil lebende Oligarch und Regierungsgegner Mukhtar Ablyazov im ganzen Land – insbesondere am 9. Mai – organisiert hatte, auf massive Internetzensur zurückzugreifen.
Diesen Sommer mussten Internetnutzer ein „nationales Sicherheitszertifikat“ installieren, wenn sie nicht ihren Internetzugang verlieren wollten. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung ermöglichte das „Zertifikat“ die Online-Überwachung durch die kasachischen Geheimdienste, insbesondere die Überwachung sozialer Netzwerke, die die wichtigsten Kommunikationskanäle und die letzten Räume für freie Meinungsäußerung darstellen. Das „Zertifikat“ wurde schließlich nur als „Test“ bezeichnet und am 6. August offiziell fallengelassen. Die nicht deinstallierten „Zertifikate“ können jedoch weiterhin als Spione fungieren.
Reporter ohne Grenzen fordert die kasachische Regierung daher nachdrücklich dazu auf:
– alle professionellen und nicht professionellen Journalist*innen, die sich in Untersuchungshaft befinden oder allein wegen Ausübung ihres Berufs oder wegen Gebrauchmachens von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit verurteilt wurden, unverzüglich und bedingungslos freizulassen.
– die gerichtlichen und administrativen Belästigungen von Medien, Journalist*innen und unabhängigen Blogger*innen zu unterbinden.
– alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass diejenigen, die für aggressive Handlungen gegen Nachrichten- und Informationsanbieter verantwortlich sind, identifiziert, strafrechtlich verfolgt und bestraft werden.
– Artikel 174 des Strafgesetzbuches zu ändern, wonach Hass, einschließlich sozialer Hass, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren geahndet werden kann. Die Definition dieses Verbrechens ist zu vage und hält Journalist*innen von der Auseinandersetzung mit sensiblen Themen ab.
– die Internetgesetzgebung anzupassen, um sicherzustellen, dass keine Website ohne eine gerichtliche Anhörung gesperrt werden kann, die den Seitenbetreiber*innen die Möglichkeit gibt, sich zu verteidigen. Außerdem muss uneingeschränkter Internetzugang im ganzen Land gewährleistet werden.
Kasachstan belegte in der Rangliste der Pressefreiheit dieses Jahr den 158. Platz von 180 Ländern.