Die Ereignisse überschlagen sich, jeden Tag kommen neue Meldungen von Korruption und Postenschacher ans Licht. Dachte man vor kurzem noch, die gekauften Umfragen und Inserate gegen Berichterstattung seien das schlimmste Ausmaß an Machtmissbrauch in der Medienlandschaft, so nimmt das Ganze mit den jüngst veröffentlichten Thomas Schmid Chats, neue Dimensionen an. Presse-Chefredakteur Rainer Nowak, der im Austausch mit Schmid über ORF-CR-Posten spekuliert und seiner Redaktion bei Recherchen in den Rücken fällt. ORF-TV-News-Chefredakteur Matthias Schrom-Kux, der sich mit dem damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache in Chats über die inhaltliche Ausrichtung der ORF-Berichterstattung, aber auch in Folge mit etwaigen Personalwünschen der FPÖ austauscht. Konsequenzen? Unrechtsbewusstsein? Interesse zur Veränderung? Allzu lange hielt die Styria Media Group an Nowak fest, erst heute Morgen wurde sein Rückzug auf Raten bekanntgegeben. Ebenso versuchte die Führung des ORF die Vorfälle rund um Matthias Schrom-Kux herunterzuspielen. Mit den spät erfolgten Urlaubsantritten der beiden ist ein Wille zur Aufklärung und Bereinigung erkennbar, den Reporter ohne Grenzen begrüßt. Leider lässt die Politik mit ihrem aktuellen Entwurf zum neuen Medienförderungsgesetz kein Interesse an wirklicher Veränderung erkennen.
Diese Vorkommnisse sind eines demokratischen Staates bereits in höchstem Maße unwürdig, auch wenn nun die ersten Lippenbekenntnisse zur vollständigen Aufklärung der Vorfälle laut wurden. Man muss nur über die Grenzen des Landes hinweg blicken, um zu erkennen, dass Österreich zurecht zu den europäischen Schlusslichtern in Bezug auf Pressefreiheit gehört und es, wenn nicht endlich ein komplettes Umdenken stattfindet, in den nächsten Jahren noch weiter nach hinten rutschen wird. Ja, Korruption, Machtmissbrauch, Verhaberung gibt es in anderen Ländern auch, nur werden dort aufkommende Missstände, siehe z.B. Deutschland bereinigt und die betroffenen Personen treten zurück. Nicht so Österreich, das Land der Sesselpicker und Schweigekanzler. Der Spiegel bewies, wie man es richtig machen kann als die gefälschten Berichte des Claas Relotius ans Licht kamen. Sie leiteten eine interne Untersuchung ein, Redakteure, die das Treiben billigten gingen von sich aus. Im Anschluss richteten sie eine unabhängige Ombudsstelle ein, überarbeiteten ihre Recherche-, Dokumentations- und Erzählstandards und richteten in Folge auf Vorschlag der Kommission drei SPIEGEL-Teams ein, die ein neues journalistisches Regelwerk für ihre Marke ausarbeiteten.
Darum haben wir von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich eine Liste mit Vorschlägen erstellt, um die Unabhängigkeit der Berichterstattung in Österreich zu stärken, damit die gesunde Distanz zwischen Medien und Politik wieder hergestellt und auf Dauer aufrechterhalten bleibt:
- Audit/Prüfung: bei Vorwürfen, dass auf Chefredakteur*innen Druck ausgeübt und in Folge auf die Berichterstattung Einfluss genommen wurde, sollte eine Aufklärungskommission eingesetzt werden, die sich aus unabhängigen Personen (z.B. aus dem Presserat, Medienwissenschaftler*innen), sowie Journalist*innen aus dem eigenen Unternehmen zusammensetzt. (Beispiel: Fall Relotius)
- Stärkung des Redaktionsrats: als Kontrollorgan verstehen, der Unabhängigkeit wahrt und bei etwaiger Einflussnahme aktiv werden kann (eventuell auch sofortige Entscheidungskraft besitzt)
- Compliance Regeln – Medienunternehmen sollten nach Vorbild deutscher Journalistenverbände klare Richtlinien in Bezug auf Grauzonen aufstellen, wo ist die Nähe zwischen Politik zu eng, wo ist die Grenze, inwieweit kann man in den Redaktionen damit umgehen, diesen Machtmissbrauch zu verhindern (z.B. Abgabe von Berichten aufgrund von Interessenskonflikten). Dieser Werte-Katalog kann beispielsweise in Zusammenarbeit mit dem Presseclub Concordia erarbeitet werden.
Julia Herrnböck, stellvertretende Präsidentin Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich: “Die jüngsten Ereignisse geben uns die Chance, genauer hinzusehen wo sich blinde Flecken im Journalismus in Österreich etabliert haben und wo wir (wieder) sensibler werden müssen. Die absolute Mehrheit der Journalistinnen und Journalisten in Österreich arbeitet vorbildlich und verwehrt sich gegen Freunderlwirtschaft und Verhaberung. Wir von Reporter ohne Grenzen sind zuversichtlich, dass es gelingen wird die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung zu stärken und das Vertrauen in Journalismus wieder herzustellen.“
Neue Plattform auf www.rog.at
Natürlich bringen diese Vorschläge und Ideen nur dann wirklich etwas, wenn Sie strikt umgesetzt werden und die Verantwortlichen ihre Konsequenzen ziehen. Es stehen seit vielen Monaten schwere Vorwürfe im Raum, fast nichts wird über die mediale Bühne diskutiert. Es ist Handlungsbedarf. Deswegen werden wir auf unserer Website eine Plattform für Medienschaffende einrichten, die zur Diskussion anregen soll, aber auch Verstöße intern aufzeigen kann. So sollen Redaktionen die Möglichkeit haben, auch anonym, interne Missstände oder Fälle von Machtmissbrauch aufzuzeigen. Wir behalten uns vor, welche Berichte wir veröffentlichen, Denunziationen und haltlose Anschuldigungen tragen nicht zu einem guten Diskussionsklima bei. Wir wollen allerdings allen JournalistInnen eine Stimme geben, ohne dass sie Angst haben müssen, Aufträge oder ihre Anstellung zu verlieren.
Fritz Hausjell, Präsident von “Reporter ohne Grenzen Österreich“, begründet den neuen Service wie folgt: “Die klare Distanz von Journalist*innen zu Machteliten in Politik, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen ist eine wesentliche Voraussetzung für unabhängigen Journalismus. Dieses Selbstverständnis muss in Österreich bei einem Teil der handelnden Akteur*innen im Journalismus nachgeschärft werden. Die Medienkritik in den Medien selbst hat bisher zu wenig konsequent als Watchdog gegenüber den eigenen Reihen gearbeitet. Daher bietet „Reporter ohne Grenzen Österreich“ ab nun sich als Plattform für die notwenige Aufklärung und Diskussion an.“
In Kürze zu finden auf www.rog.at/Plattform
Ein Plattform, die es bereits gibt ist “Mediawatchingbird”, die für das Melden von nicht gekennzeichneter Werbung eingerichtet wurde. „Wer zahlt schafft an“, lautet eine alte Weisheit. Geldflüsse von Werbekunden sollten daher laut Mediengesetz deutlich ausgeschildert sein. Bei Verstößen können Fälle ab sofort und ebenfalls anonym über die Seite https://www.mediawatchingbird.at/ hochgeladen werden. Nach einer Prüfung durch einen Medienwissenschaftler werden Verdachtsfälle zur weiteren Bearbeitung an die Polizei weitergeleitet.