Recherche: Orbáns Griff nach dem Balkan

Recherche: Orbáns Griff nach dem Balkan

Recherche: Orbáns Griff nach dem Balkan

Oligarchen verschenken daheim Medien, Vertraute des Premiers kaufen sich am Balkan ein: Ungarn drei Jahre nach der handstreichartigen Stilllegung der wichtigsten Orbán-kritischen Zeitung.

Von Alexander Dworzak

Wo die Macht sitzt, ist Prunk weit entfernt. In einem schmucklosen Bürogebäude an einer charmebefreiten Ausfallstraße nördlich des Budapester Zentrums laufen die Fäden in Ungarns Medienwelt zusammen. Sie werden aber nicht von George Soros in der Hand gehalten, dem Investor, Mäzen, Milliardär und als Organisator der Massenmigration 2015 Verleumdeten. Puppenspieler sind die Führungsfiguren der regierungsnahen “Mitteleuropäischen Presse- und Medienstiftung” (Kesma).

In einem Akt wundersamer Großzügigkeit übertrugen im vergangenen November Eigentümer ihre Tageszeitungen, Magazine, Radiostationen und Online-Auftritte an Kesma. Stolze 476 Titel.

Ein weltweit einmaliger Vorgang

“Solch eine Schenkung ohne Gegenleistung gibt es nirgendwo sonst auf der Welt”, sagt Krisztina Rozgonyi. Die Forscherin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien war bis 2010 Vorsitzende von Ungarns staatlichem Telekom-Regulator. In dem Jahr wurde Viktor Orbán Premier und begann, das Land in eine “illiberale Demokratie” umzubauen.

Im Mediensektor bedeutete das die Schaffung einer Behörde, die Verordnungen ohne parlamentarische Kontrolle erlassen kann. Öffentlich-rechtliche Radio- und TV-Stationen sowie die Nachrichtenagentur wurden zusammengefasst und inhaltlich auf Linie gebracht. Regeln gegen die Konzentration von Medienbesitz wurden abgeschafft, regierungsnahe Oligarchen kauften sich sukzessive bei privaten Medien ein und ließen objektive Berichterstattung abdrehen. Während diese Medien mit Regierungswerbung aufgepäppelt werden, trocknen Orbán-kritische Medien finanziell aus. Einerseits indem ihren Betreibern mit Lizenzentzug gedroht wird. Andererseits müssen Werber Konsequenzen wie ausbleibende staatliche Aufträge fürchten.

Zensur und Selbstzensur

39-64-80 sind die Maße der Marktkonzentration: Kesma-Medien machen knapp 39 Prozent des Werbemarktes bei den wichtigsten Titeln in Print, Radio, TV und Online aus. Inklusive weiterer regierungsnaher Medien, die sich nicht in Stiftungsbesitz befinden, sind es 64 Prozent. Am höchsten ist laut Analyse des Mérték Média Monitor der Marktanteil bei Printprodukten mit 80 Prozent.

“Kesma ist eine Propagandamaschine und pure Zensur”, erklärt Rozgonyi. “Wir wissen von Ex-Mitarbeitern der Medien, dass sie von der Stiftung tägliche Briefings erhalten haben, über welche Themen zu berichten ist. Wie, muss nicht gesagt werden. Es herrscht Selbstzensur, sonst sind die Journalisten ihre Jobs los.” Die Inhalte gebe Kesmas Leiter Gábor Liszkay vor, der zuvor Besitzer des Orbán-Sprachrohrs “Magyar Idök” war.

Liszkay residiert ausgerechnet in jenem Gebäude, das einst die wichtigste überregionale Orbán-kritische Zeitung beherbergte. Von einem Tag auf den anderen wurde “Népszabadság” am 8. Oktober 2016 stillgelegt, kurz nachdem sie zwei Regierungsaffären aufgedeckt hatte. Fallen ließ das Blatt von der Bécsi út, der “Wiener Straße”, ein Eigentümer aus Wien, die Vienna Capital Partners (VCP).

Der Untergang “Népszabadságs” ist ein Lehrstück für das Zusammenspiel zwischen der Regierung und den Medienbesitzern. Keine drei Wochen nach der Liquidierung verkauften VCP ihre ungarische Holding mitsamt den verbliebenen Zeitungen. Die Aktionäre der Käufer-Holding residieren laut “Süddeutscher Zeitung” auf den Seychellen, in Nigeria sowie in Felscút – Heimatgemeinde von Regierungschef Orbán und Lörinc Mészáros.

Von 33.000 Euro auf 1,15 Milliarden

In “Gott, Glück und Viktor Orbán” sieht Mészáros selbst die Gründe für seinen Aufstieg. Der 53-Jährige trägt den Spitznamen “Strohmann”. Und zwar für Orbán, der offiziell keine unternehmerische Tätigkeit ausüben darf. 2006 war die einzige Firma des Gasinstallateurs Mészáros weniger als 33.000 Euro wert. Zwölf Jahre und 200 Beteiligungen später beträgt sein Vermögen der Zeitung “Welt” zufolge 1,15 Milliarden Euro. Auch Mészáros hat seine Medienbeteiligungen in die Kesma-Stiftung eingebracht. Er ist aber noch Baulöwe, Immobilienverwalter, Lebensversicherer und Großaktionär einer Bank, die Hauptkreditgeber seiner Investitionen ist.

Bei öffentlichen Ausschreibungen erhalten gerne Unternehmen den Zuschlag, die letztlich zu Mészáros’ führen. Laut der Investigativplattform “Atlatszo” handelte es sich allein 2018 um Ausschreibungen in Höhe von 826 Millionen Euro. Ganze 93 Prozent davon stammen aus EU-Töpfen.

Reichtum dank EU-Geldern

Die Unionsländer haben dem Treiben im “postkommunistischen Mafia-Staat”, wie der liberale ungarische Ex-Bildungsminister Bálint Magyar seine Heimat nennt, lange zugesehen. Zwar läuft mittlerweile ein Rechtsstaatsverfahren der EU-Kommission, konkrete Sanktionen sind aber weit entfernt. In der Europäischen Volkspartei ist die Fidesz-Mitgliedschaft aufgrund von Tiraden gegen Noch-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eingefroren. Den Ausschluss haben die Christdemokraten aber nicht gewagt. Dieser wird wohl nicht kommen, da Fidesz-Europaabgeordnete bei der Kür Ursula von der Leyens zur künftigen Kommissionspräsidentin mitgeholfen haben.

Die Deutsche dankt es, indem sie einen Ungarn für den Erweiterungskommissar vorsieht. Der Kandidat ist schon vor dem Hearing des EU-Parlaments durchgefallen, die Regierung in Budapest hat einen Ersatz vorgeschlagen. Von der Leyens Ressortzuteilung bleibt derweil aufrecht. Ausgerechnet eine von Orbán vorausgewählte Person soll als Kommissar für EU-Erweiterung gegenüber den Beitrittskandidaten auf dem Westbalkan – Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien – Rechtsstaatlichkeit hochhalten.

Ungarns Verständnis: Die Unabhängigkeit der Kommissare existiere in der Praxis nicht, so Gergely Berzi. Der Analyst einer regierungsnahen Denkfabrik sagte in einer TV-Diskussion unverblümt, der Erweiterungskommissar würde Ungarns Position in bilateralen Gesprächen mit Westbalkan-Staaten stärken.

Strategische Desinformation

Genau dorthin dehnt Ungarns Premier seinen Einfluss und seine Agenda aus. “Während Österreichs Interesse am Westbalkan auf dem großen wirtschaftlichen Engagement in der Region fußt, geht es Orbán um politische Ziele, die er mit strategischer Desinformation anstrebt”, sagt Krisztina Rozgonyi. In Nordmazedonien kauften sich zwei Ex-Mitarbeiter von Ungarns gleichgeschaltetem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein, wie das Journalisten-Netzwerk OCCRP aufdeckte. Ihre Gesellschaften erwarben die Mehrheit an Zeitungen, Webseiten und einem TV-Sender. Allesamt sind diese Medien Sprachrohre der Partei von Ex-Premier Nikola Gruevski. Dieser wurde wegen Amtsmissbrauchs verurteilt, setzte sich aber nach Ungarn ab und erhielt dort den Status eines politischen Flüchtlings.

In Slowenien, seit 2004 EU-Mitglied, arbeitet Ungarn gleich an mehreren Standbeinen: einem Bankkauf, einer Bahnverbindung und abermals Medien. Wieder zeigt sich das Zusammenspiel über Branchengrenzen hinweg. Der auch in Nordmazedonien tätige Peter Schatz und Orbáns mutmaßlicher Berater Árpád Habony erwarben Anteile an einem TV-Sender. Finanziert wurde der Deal laut “New York Times” durch einen Baumogul, der von Staatsaufträgen in der ungarischen Heimat profitiert.

Nova24TV ist ein Propagandakanal für den Slowenen Janez Jansa, einen Rechtspopulisten ohne Berührungsängste zur rechtsextremen Identitären Bewegung. “Er warnt, Migranten drohen das Land zu überschwemmen und unseren Lebensstil zu zerstören”, sagt Medienwissenschafter Marko Milosavljević von der Universität Laibach. Mit den Fakten hat das wenig zu tun, 2800 Asylanträge wurden im vergangenen Jahr gestellt. In Ungarn waren es sogar nur 635. Doch Jansa und Orbán stimmen weiter das Lied vom Verlust nationaler Identität an.

“Unabhängige Nachrichtenagentur” mit Botschafterbeteiligung

Damit ist der “slowenische Orbán” deutlich weniger erfolgreich. Jansas Partei SDS wurde zwar mit Abstand stärkste Kraft bei der Parlamentswahl 2018. Um den polarisierenden Jansa zu verhindern, bildete sich eine Minderheitsregierung aus gleich fünf Parteien. Auch die Kampagnen ziehen nicht so gut wie im Nachbarland. “Unabhängige Medien ignorieren zumeist die Themen der SDS-Medien”, sagt Forscher Milosavljević. “Diese mobilisieren nur die eingefleischten Anhänger.”

Um sich international noch mehr Gehör zu verschaffen, hat der vermeintliche Mastermind Habony “V4 News” mit Sitz in London gegründet, das sich eine “unabhängige Nachrichtenagentur” nennt – an der Ungarns Botschafter im Vereinigten Königreich eine Beteiligung hält. Das Portal vermeldet auch auf Englisch und versucht, Orbáns Ideen stärker im Westen zu verankern.

Auf Jahrzehnte vergiftet

In Ungarn verdienen sich derweil nicht nur die heimischen Oligarchen mit EU-Geld eine goldene Nase. Mitarbeiter der Vienna Capital Partners unter Gründer Heinrich Pecina kauften 2017 ein Zeitungspaket, das auch ungarische Regionalblätter umfasste. Noch im selben Jahr wurden diese veräußert – wie 2016 an den “Strohmann” Orbáns, Lörinc Mészáros. Das seriöse ungarische Medium “G7” berichtet, beide Deals hätten der Gruppe um Pecina umgerechnet fast zwölf Millionen Euro Gewinn eingebracht. Plus statt Pluralismus.

Seit dem Amtsantritt Orbáns ist Ungarn im weltweiten Pressefreiheits-Index der NGO Reporter ohne Grenzen von Platz 23 auf Rang 87 abgestürzt. Selbst wenn der Premier von einem Tag auf den anderen abtreten würde, betont Krisztina Rozgonyi: “Der Rassismus, die Intoleranz und die Agitation, die Orbáns Medien im Laufe der Jahre in Ungarn verbreitet haben, werden nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden. Das gesellschaftliche Klima in Ungarn ist für die nächsten Jahrzehnte vergiftet.”

 

Alexander Dworzak ist Außenpolitik-Redakteur bei der Wiener Zeitung und Vorstandsmitglied bei Reporter ohne Grenzen Österreich. Dieser Artikel erschien am 08.10.2019 in der Wiener Zeitung.