Die heutigen pakistanischen Parlamentswahlen waren Anlass für zahlreiche Einschränkungen von Journalisten während des Wahlkampfes. In den vergangenen Monaten wurden unabhängige Medien wiederholt zensiert und kritische Journalisten bedroht, tätlich angegriffen und entführt. Mit diesen Schikanen versuchen insbesondere das mächtige Militär und die Geheimdienste, Medienschaffende einzuschüchtern und eine unabhängige Berichterstattung vor den Wahlen zu verhindern.
„Eine Demokratie kann nur mit freiem Zugang zu ausgewogener Information für die Bürgerinnen und Bürger funktionieren. Vor einer Wahl ist das umso wichtiger. In Pakistan erleben wir allerdings seit Monaten eine besorgniserregende Zunahme von Gewalt gegen Journalisten“, sagte ROG-Präsidentin Rubina Möhring. „Wir fordern von den pakistanischen Behörden, sich für besseren Schutz von Medienschaffenden im Land einzusetzen, sodass diese über politische Ereignisse frei berichten können.“
Bereits vor einem Monat hat Reporter ohne Grenzen zusammen mit der pakistanischen Partnerorganisation Freedom Network in einem Brief an den Übergangs-Regierungschef Nasir-ul-Mulk betont, dass Zensur und Einschüchterung der Medien mit Demokratie unvereinbar sind. Die Organisationen erinnerten Mulk daran, dass er öffentlich erklärt habe, freie und faire Wahlen zu gewährleisten, für die eine freie und unabhängige Presse unabdingbar sind.
Journalisten entführt und bedroht
Wiederholt kam es in den vergangenen Wochen zu Entführungen. Seit Mitte Juli wird der Journalist Zaibdar Marri in der südwestpakistanischen Provinz Belutschistan vermisst. Laut Zeugenaussagen entführten Unbekannte den Korrespondenten des Senders TV Express News, während er über den Wahlkampf eines Lokalpolitikers berichtete, dessen Kandidatur nicht vom Militär unterstützt wird. Das Militär wird beschuldigt, die Wahlen zugunsten der Partei PTI des ehemaligen Cricketspielers Imran Khan zu manipulieren.
Im Juni entführten Unbekannte in der Stadt Lahore die Journalistin Gul Bukhari und hielten sie einige Stunden fest. Bukhari hatte auf sozialen Medien das Militär kritisiert. Nur einen Tag zuvor hatte der Sprecher des Militärs auf einer Pressekonferenz eine Reihe von Journalisten mitsamt Fotos beschuldigt, online „staats- und militärfeindliche Propaganda“ zu verbreiten.
Im gleichen Monat wurde in der Wohnung der ebenfalls militärkritischen Journalistin Marvi Sirmed in der Hauptstadt Islamabad eingebrochen. Ihr Laptop und weitere elektronische Geräte sowie ihr Reisepass wurden gestohlen.
Journalisten tätlich angegriffen
Im Vorfeld der Wahlen hat die Gewalt gegen Medienschaffende zugenommen. Mitte Juli wurde der norwegische Journalist Kadafi Zaman in der Stadt Gujrat von Polizisten geschlagen und festgenommen. Zaman, der für den norwegischen Fernsehsender TV 2 arbeitet, hatte über Demonstrationen für die Partei PML-N des ehemaligen Premierministers Nawaz Sharif berichtet und den Polizisten seinen Presseausweis gezeigt. Er wurde einige Tage nach seiner Festnahme gegen Kaution freigelassen.
Anfang Juni schlugen maskierte Männer in der Stadt Lahore auf den Investigativjournalisten Asad Kharal ein. Der Nachrichtensprecher des Fernsehsenders BOL News musste im Krankenhaus behandelt werden.
Zensur und Selbstzensur unabhängiger Medien
Vor den Wahlen hat die Zensur unabhängiger Medien zugenommen. So haben die Behörden die Berichterstattung über die Verhaftung des ehemaligen Premierministers Nawaz Sharif am 13. Juli bei seiner Ankunft am Flughafen in Lahore untersagt. Sharif war eine Woche zuvor in Abwesenheit wegen Korruption zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Viele Medien hielten sich an das Verbot. Wie die Zeitung Dawn berichtet, hat der pakistanische Fernsehsender PTV Mitarbeiter vor Sharifs Ankunft angewiesen, keine „verurteilten Personen“ im Programm zu zeigen. Zwischenzeitlich war der Zugang zum Internet in Lahore unterbrochen.
Ab Mitte Mai war die englischsprachige Tageszeitung Dawn für einige Wochen in Teilen des Landes nicht mehr erhältlich, darunter in weiten Teilen der Provinzen Belutschistan und Sindh. Zuvor hatte die älteste Zeitung Pakistans ein Interview mit Sharif veröffentlicht, in dem der die übermäßige Macht des Militärs kritisiert.
Im April hatten Kabelnetzbetreiber in weiten Teilen Pakistans zwischenzeitlich keinen der fünf Sender des Netzwerks Geo TV mehr übertragen, darunter auch Geo News, einen der führenden Nachrichtensender des Landes. Laut Angaben des CEOs Ibrahim Rahman waren die Sender in 80 Prozent des Landes nicht mehr zu empfangen. Auch Geo TV hatte zuvor dem ehemaligen Ministerpräsidenten Sharif Sendezeit gewidmet. Sowohl die Regierung als auch die Rundfunkbehörde PEMRA wiesen die Verantwortung für die Unterbrechung von sich.
Zudem versuchten zwei bewaffnete Männer, in die Wohnung des Geo-News-Moderators Saleem Safi in Islamabad einzubrechen. Safi hatte auf der Nachrichtenwebseite Jang einen Artikel veröffentlicht, in dem er das Militär beschuldigt, die anstehenden Wahlen zu beeinflussen. Geo TV hat in der Vergangenheit oft kritisch über das Militär berichtet, das Kabelnetze in vielen Gebieten kontrolliert.
Zugleich regte sich unter den Journalisten im Land Protest gegen die anhaltende Zensur. Mehr als 50 Journalisten starteten eine Petition, in der sie unter anderem einige Medienhäuser dafür kritisierten, nicht mehr über Themen zu berichten, die dem Militär missfallen. Ein Tabuthema ist das Pashtun Tahafuz Movement (PTM), eine Bewegung, die Proteste für die paschtunische Minderheit organisiert und Menschenrechtsverletzungen des Militärs gegen sie verurteilt. Das Management der größten englischsprachigen Tageszeitung The News zensierte drei ihrer Mitarbeiter: Die Artikel zweier Kolumnisten über die PTM wurden nicht veröffentlicht, ein weiter Artikel wurde von der Webseite genommen.
Zwei Feinde der Pressefreiheit in Pakistan
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Pakistan auf Platz 139 von 180 Staaten. Kritische Journalisten stehen im Visier von extremistischen Gruppen, islamistischen Organisationen und Geheimdiensten. Reporter ohne Grenzen zählt Pakistans militärischen Geheimdienst Inter-Services Intelligence (ISI) und die islamistischen Taliban zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit.
Auch wenn die Zahl der getöteten Journalisten in Pakistan in den vergangenen fünf Jahren zurückgegangen ist, kommt es jedes Jahr zu tödlichen Übergriffen. Ende März etwa wurde ein Zeitungsjournalist in der Provinz Punjab von einem Lokalpolitiker erschossen, als er versucht hat, ihn zu interviewen. Vor dem Hintergrund der Straflosigkeit vieler Morde an Journalisten bleibt Pakistan und insbesondere die Provinz Punjab einer der weltweit gefährlichsten Orte für Medien.