Nestbeschmutzer

Nestbeschmutzer

Blog von Rubina Möhring

Kleine unheile Welt Österreich. Flugs wird ein Journalist, der richtige Fragen stellt, als Nestbeschmutzer diffamiert und alle hören zu. So geschehen vergangene Woche in Straßburg, als eine aufgelegte österreichische Pflicht-Frage des dortigen ORF-Korrespondenten die gemeinsame Pressekonferenz von FPÖ-Chef H.C. Strache mit Frankreichs Ultranationalistin Marine Le Pen aus heiterem Himmel in einem Tumult enden ließ. Thema war die von der FPÖ ungeliebte, posthume Aberkennung der Ehrenbürgerschaft Adolf Hitlers in österreichischen Gemeinden. Zumindest heutzutage eine, sollte man denken, Selbstverständlichkeit.

Dann ging es Schlag auf Schlag. Erst wird der ORF-Korrespondent einer extremen politischen Haltung bezichtigt und an den heimischen journalistischen Ehrenkodex erinnert. Schnell fordert der FPÖ-Ableger BZÖ die Privatisierung des ORF zwecks Entpolitisierung, um auch einmal in Sachen Leitmedium zu schwadronieren. Zum Drüberstreuen präsentiert jetzt FPÖ-H.C. einen hoch dotierten ORFnik als möglichen öffentlich-rechtlichen Generaldirektor seiner Partei. Andere politische Köpfe weinen Kandidaten nach, die erst gar nicht kandidieren. Um welche ORF-Unabhängigkeit geht es da eigentlich noch und wer beschmutzt da welches Nest? Auch die Plattform SOS-ORF wirkt inzwischen einigermaßen ratlos.


Zeitgleich mit der zum Schmuddel-Eklat stilisierten Pressekonferenz in
Straßburg – nicht zu verwechseln mit dortigen Éclairs – tagte vergangene
Woche in Litauens Hauptstadt Vilnius eine hochkarätige OSZE-Konferenz
zum Thema “Sicherheit für Journalisten”. Stark vertreten waren vor allem
Regierungs- und NGO-Repräsentanten postkommunistischer Staaten.
Meinungen prallten gegen Meinungen, evident wurden vor allem die
Demokratiedefizite der regierungsnahen Wortmeldungen.

So genannte Nestbeschmutzer, also unabhängige, kritische Journalistinnen und Reporter laufen in solchen Ländern Gefahr, hinter Gittern zu landen, wenn nicht sogar zufällig Opfer tödlicher Unfälle oder ermordet zu werden. Viel war deshalb auch die Sprache von öffentlich-rechtlichen Sendern, von Medienregulierung und Selbstregulierung der Journalisten – durchaus vergleichbar mit jener Ethik-Kommission, die nun auch im ORF Regulative für öffentlich-rechtliche BerichterstatterInnen ausarbeitet. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn die Redaktionen sowohl die entsprechenden Gremien als auch die Regeln unabhängig und selbst bestimmen können, wenn diese vor allem dann auch von der Politik respektiert werden.

Schwierig wird es, wenn von oben oder gar von außen bestimmt wird, wer in solchen Kommissionen mitentscheiden darf, was journalistische Ethik ist und was nicht. Dann blitzt im Nu auch Zensur und Selbstzensur durch die medialen Lattenzäune durch. Angeblichen Nestbeschmutzern bliebe dann nur die Flucht hin nach irgendwo.

Laut Verfassung der selbsternannten Künstlerrepublik Uzupis in Vilnius hat übrigens jeder und jede nicht nur das Recht auf die Freiheit der Gedanken, sondern ausdrücklich auch das Recht, um diese besorgt zu sein. Das gilt auch für die Freiheit des Wortes und die journalistischer Fragen. – Geografisch gesehen ist übrigens nicht Wien sondern Vilnius der Mittelpunkt Europas.