“Natürlich habe ich Angst”: Zum Tod von Anja Niedringhaus

“Natürlich habe ich Angst”: Zum Tod von Anja Niedringhaus

Sie war eine erfahrene Kriegsfotografin. 20 Jahre lang hatte sie ihr Leben in den Dienst der Information gestellt
“Wenn ich es nicht fotografiere, wird es nicht bekannt”, das war Anja Niedringhaus’ Credo. Über 20 Jahre hindurch dokumentierte die prominente deutsche Fotografin Menschen und Situationen in Kriegsgebieten. Den Menschen, nicht den Maschinen galt ihr Interesse. Ihre letzten, vor drei Tagen veröffentlichten Bilder, zeigen gelangweilte Wahlhelfer in der afghanischen Provinz Khost. Am Freitag wurde sie Opfer eines afghanischen Polizisten.
Gemeinsam mit der kanadischen Journalistin Kathy Cannon war sie zunächst mit einem von Armee und Polizisten beschütztem Wahlkonvoi im Norden Afghanistans unterwegs gewesen und dann mit einem einheimischen Fahrer weiter Richtung Tanai an der pakistanischen Grenze gefahren. Der Konvoi hatte Wahlzettel zu den entlegenen Wahllokalen gebracht.

Kathy Cannon wurde schwer verletzt, Anja Niedringhaus soll durch den Schuss des Polizisten sofort tot gewesen sein.  Beide, Kathy Cannon und Anja Niedringhaus, arbeiteten für die US-Nachrichtenagentur Associated Press. In Tanai wollten sie die Wahlen am Samstag beobachten. Der Mörder war nicht irgendein Polizist, er soll der Kommandeur eines Checkpoints vor dem Büro des Distrikt-Gouverneurs sein.
“Natürlich habe ich Angst”
Anja Niedringhaus war eine der wenigen Fotografinnen, die sich in der Männerdomäne Kriegsfotografie durchgesetzt hatte. 2005 erhielt sie für ihre Arbeiten sogar den Pulitzerpreis. Sie war es auch, die Ende Oktober 2003 den damaligen US-Präsidenten Georg Bush in Uniform und umgeben von US-Soldaten in Bagdad mit einem riesigen, üppig garnierten Thanks-Giving-Day-Truthahn abgelichtet hatte. Peinlich für den Präsidenten. Später hieß es, das knusprige gebratene Tier sei nur eine Attrappe gewesen.
“Man muss damit rechnen, dass auch mal was passiert”, hatte sie in einem Interview mit dem Deutschlandradio Kultur gesagt, und dass sie stets von Angst begleitet war. “Natürlich habe ich Angst. Vielleicht weniger als derjenige, diejenige, die die Situation nicht kennt”, sagte sie damals. “Und ich finde, Angst, eine gewisse Grund-Angst, ist lebenserhaltend.”
“Was ist eigentlich da, wo es einschlägt?”
Auch Anja Niedringhaus wurde öfters bei ihren Einsätzen verletzt. Ihr Anliegen jedoch war nicht das militärische Geschehen an den Fronten oder soldatisches Heldentum, sondern das Leben der Menschen, der Zivilbevölkerung, nahe den Fronten und damit mitten im Krieg. Meistens sei die Frontlinie für sie der uninteressanteste Punkt gewesen. Das Interessanteste, so Anja Niedringhaus, sei:  “Was ist eigentlich da, wo es einschlägt?” Berührend das kleine afghanische Mädchen, das Anja Niedringhaus im vergangenen April bei dem Versuch fotografierte, durch das Gitternetz seiner blauen Burka hindurchzuschauen. Fotoreporter, die einfach auf Menschen, auf Verwundete, auf Tote draufhalten, spielten für sie in einer anderen Liga: “Draufhalten heißt von den Menschen was wegnehmen.” Ganz schlimm sei das.
In einem ausführlichen Afghanistan-Report wies Reporter ohne Grenzen gerade erst Ende März auf die große Gefahr hin, der Journalisten in Afghanistan ausgesetzt sind. 19 inländische Journalisten verloren allein in den vergangenen 12 Jahren gewaltsam ihr Leben. Die meisten der Täter blieben ungestraft. Der Mörder von Anja Niedringhaus dürfte sich für einen Gotteskrieger gehalten haben. Als er abdrückte, soll er “Allahu Akbar”  – Gott ist groß – gerufen haben. Er wurde festgenommen und verhört. Die Taliban haben sich von dem Mord distanziert.
Weiße Flecken auf der Landkarte
Geiselhaft oder Morde an ausländischen Journalistinnen und Journalisten sind in Kriegsgebieten und Krisenländern eine erprobte Methode, Medienmenschen abzuschrecken. Die Folge: Zunehmend werden diese Regionen zu weißen Flecken auf der Landkarte der Information. Zunehmend verwehren auch Medien ihren Mitarbeitern die so genannte Vorort-Berichterstattung. Begründung: zu hohe Reisekosten, zu hohe Versicherungskosten. Die Folge: Auslandsberichterstattung quasi als Hofberichterstattung im Rahmen von Staatsbesuchen oder Herz-Schmerzberichte über die Tätigkeit von NGOs, die zu Pressefahrten einladen.
Embedded journalism also, sei es im Namen der Politik oder in jenem von karitativen Organisationen. Wer dennoch fährt, trägt selbst das Risiko. Nicht selten steht in solchen Fällen Ehrgeiz an höherer Stelle als Erfahrung oder vorsichtige Angst, wie sie Anja Niedringshausen beschreibt. “Statt Fachkenntnis, Recherche und Eigeninitiative herrschen meist Alleskönnerei, Meinung und eine Pauschalreisementalität vor”, konstatierte deshalb auch “Profil”-Redakteur Martin Staudinger am Donnerstag im Rahmen der österreichischen Journalistentage.
Anja Niedringshaus war eine erfahrene Kriegsreporterin. Die Bezeichnung Kriegsfotografin hasste sie. 20 Jahre lang hatte sie ihre Leben in den Dienst der Information gestellt. Gut vorbereitet, seriös und vorsichtig. Dass ausgerechnet ein Polizist sie ermorden würde, ist unfassbar und unendlich bitter. (Rubina Möhring, derStandard.at, 4.4.2014)