Mord ist kein Kavaliersdelikt – Interview mit Rubina Möhring

Mord ist kein Kavaliersdelikt – Interview mit Rubina Möhring

Mord ist kein Kavaliersdelikt – Interview mit Rubina Möhring

Interview mit Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich mit Isabella Wallnöfer in “Die Presse”, Print-Ausgabe, 17.03.2019

 

Die Pressefreiheit wird weltweit mit Füßen getreten, Journalisten werden drangsaliert. Ist es schlimmer geworden?

Rubina Möhring: Ja. Es gibt leider immer mehr für uns von Reporter ohne Grenzen zu tun. Der Grund ist, dass es eine Tendenz zu autokratischen Regierungen gibt. Und es ist eine neue, junge Generation am Ruder, die zwar als Politiker versiert ist, aber zum Teil kein historisches Wissen hat. Diese vertreten gern den Standpunkt, ihre Generationen hätten nichts mit den Verbrechen der Hitlerdiktatur zu tun. Andere übernehmen ein menschenverachtendes Vokabular im Dunstkreis von Parteien wie der AfD oder FPÖ. Mit der Rhetorik werden zugleich demokratiefeindliche Ideologien übernommen. So fällt eines Tages auch der Übergang zu einem autoritären Regierungssystem leicht.

 

Wie sehen Sie das als Historikerin?

Man muss wissen, was gewesen ist, um vermeiden zu können, dass es wieder passiert. Und ich sehe ein großes Problem in den Fehldeutungen von Menschenrechten. Vor allem Rechtspopulisten berufen sich zunehmend auf die Meinungsfreiheit. Aber das bedeutet ja nicht, dass man irgendwelche politischen Parolen, Verzerrungen oder Lügen verbreiten kann. Wenn man sich die erste Erklärung der Menschenrechte während der Französischen Revolution anschaut: Da war Meinungsfreiheit nur im Sinne von demokratiepolitisch korrektem Gedankengut erlaubt.

 

Seriöser Journalismus scheint vielen nichts wert zu sein – News holt man sich irgendwo aus dem Internet.

Ich arbeite derzeit an einem Programm für Schulen, damit schon die Kleinen lernen, mit Medien umzugehen. Man muss das Internet ja auch richtig lesen können und erkennen, was glaubwürdig ist und was eben nicht. Viele fallen – print oder online – auf Fehlmeldungen herein, weil diese einfacher zu lesen sind. Mein Traum wäre daher eine Boulevardzeitung mit demokratiepolitischen Inhalten – ohne reißerische Titel oder die zum Teil falschen Darstellungen.

 

Aber der Boulevard braucht die Masse – und daher marktschreierische Inhalte.

Vielleicht müsste man so eine Art neuen Donald Duck erfinden?

 

Guter Journalismus wird immer schwieriger.

Ja. Auch aus finanziellen Gründen. Redaktionen schrumpfen und greifen auf Presseaussendungen zurück, die sie als Meldung rausgeben, obwohl das Werbung ist. Das ist in Italien der Fall, wo für Artikel Dumpingpreise bezahlt werden, weil Zeitungen kein Geld haben. Das ist Zensur aus wirtschaftlicher Not.

 

Immer wieder werden Journalisten ermordet – sogar in der EU, auf Malta. In der Slowakei ist ein Unternehmer angeklagt, den Mord an Ján Kuciak beauftragt zu haben.

Es gibt eine gewisse Brutalisierung der Gesellschaft. Bratislava ist direkt vor unserer Haustür. Scheinbar war das ein Zusammenspiel mit der italienischen Mafia. Es ist die Gier der Menschen, der Politiker. Mir ist es ein Anliegen, dass die Journalistenmörder wirklich vor Gericht kommen – und auch ihre Auftraggeber angeklagt werden. Man muss das immer wieder verlangen. Mord ist kein Kavaliersdelikt.

 

In der Türkei werden Journalisten inhaftiert, Korrespondenten an der Arbeit gehindert. Auch dort herrscht darüber Schweigen.

Nach dem Putschversuch gab es Säuberungen – in spezialisierten, gut ausgebildeten Berufen, an Universitäten, auch an den Gerichten. Die, die übrig sind, haben Angst. In der Türkei werden nicht nur Journalisten beschuldigt, auch die Anwälte, die sie vertreten, werden Terroristen genannt. Unserem Korrespondenten Erol Önderoğlu drohen vierzehneinhalb Jahre Haft, weil er nach dem Putschversuch bei einer kurdischen Wochenzeitung als Chefredakteur ausgeholfen hat.

 

Am Mittwoch wird der Press Freedom Award übergeben – an Jovo Martinovic, der über organisierte Kriminalität und Kriegsverbrechen am Balkan berichtet hat.

Er wurde zu 14 Monaten Haft verurteilt, weil er den Messengerdienst Viber benutzt hat – das wurde als Spionage ausgelegt. Also: Man wollte ihn los werden und kaltstellen, weil er auch kritisch über Korruptionsfälle berichtet hat. Es ist wichtig, auf solche Leute aufmerksam zu machen.

 

 

Foto (c) Valerie Voithofer