Schlammschlacht in den Medien: Blümels “Blödsinn” provoziert Verbalattacken im Netz

Schlammschlacht in den Medien: Blümels “Blödsinn” provoziert Verbalattacken im Netz

Schlammschlacht in den Medien: Blümels “Blödsinn” provoziert Verbalattacken im Netz

Blog von Rubina Möhring 

Dieser Artikel erschien zuerst am 17. April im Standard.

Sein “ZiB 2”-Auftritt war der Auftakt für eine üble Pöbelei, gepaart mit parteipolitischer Hetze, schreibt Rubina Möhring von Reporter ohne Grenzen

Österreichs bürgerlich-konservativer Medienminister führte kürzlich kurz und bündig einen neuen öffentlichen Ton in den Medien ein. “Das ist ja ein Blödsinn, was Sie da reden”, kanzelte Gernot Blümel den ORF-Moderator Martin Thür beim Thema Namenspflicht im Internet ab. Blümels Sager war der Anpfiff für verbale Untergriffe und Attacken – nicht nur in gewissen Medien, die man gratis und franko erhält.
Eröffnet wurde damit eine mediale Schlammschlacht, die es in sich hat. Die unverblümte Entgleisung hatte hierfür die Schleusen geöffnet. Seit der Romy-Gala am vergangenen Samstag, im Rahmen derer die Jury der “Kurier”-Akademie im Bereich Information die goldene Romy an ORF-Moderator Armin Wolf und im Bereich Unterhaltung eine Trophäe an den deutschen Unterhalter Jan Böhmermann vergab, überschlagen sich in Österreichs Medien und im Netz die Diffamierungen und verbalen Grauslichkeiten. So bloggte zum Beispiel der Wiener FPÖ-Vizebürgermeister Dominik Nepp nach der Romy-Gala: “Wenn der ORF für die linke Meinungsschickeria zur “Organisation Roter Frührentner” wird, wird er das nicht nur aushalten, sondern endlich wieder genießbarer werden.” Wohl bekomm’s.

“Kurier”-Chefredakteurin distanziert sich
Böhmermann war nicht zur Preisverleihung nach Wien gekommen. Stattdessen hatte er eine Videobotschaft geschickt, die tatsächlich starken Tobak beinhaltet Doch Böhmermann lebt von der Provokation. Auch deshalb wurde er, so nehme ich an, für die Unterhaltungs-Romy ausgewählt. Ähnlich wie im Fall Erdoğan in der Türkei war nun auch so manche österreichische Seele durch Böhmermanns Botschaft sehr, wenn nicht sogar schwer verletzt. So schwer, dass sich selbst Martina Salomon, Chefredakteurin des “Kurier”, von der unabhängigen “Kurier”-Jury und von Romy-Preisträger Böhmermann wortreich und eindeutig in den sozialen Medien distanzierte. Just to be on the right side.

Wolf: ORF nicht aus dem Budget finanzieren
ORF-Starmoderator Armin Wolf hingegen hatte eine wohlüberlegte Dankesrede mit klarer Botschaft gehalten: Der ORF darf kein durch ein Regierungsbudget finanziertes Staatsmedienhaus werden. Die GIS-Gebühren, die wir alle zahlen, müssen bleiben. Sie helfen, die Unabhängigkeit des ORF zu sichern. Wie wahr. In den sozialen Medien begann daraufhin ein widerwärtiges Gezeter, eine üble Pöbelei, gepaart mit parteipolitischer Hetze. Das ist nun offenbar der regierungskonforme neue Kommunikationsstil.

“Lupenreine Fake-News”
So wirft im Netz ein Talk-Moderator des privaten Senders Servus-TV dem mit der Romy ausgezeichneten ORF-Moderator Armin Wolf “Lüge” vor. Warum? Mit GIS-Gebühren sei der ORF regierungsunabhängig. Stimmt nicht, klingt aber gut, so der Servus-Anchor-Mann. Moderator Michael Fleischhacker wörtlich: “Wenn Armin Wolf lupenreine Fake-News produziert – Gebühren heißt Unabhängigkeit, Steuerfinanzierung heißt Staatsfunk –, kreischen die Massen vor Begeisterung. Armes Land.”
Seltsame Koinzidenz: Denselben Standpunkt vertritt die Regierungspartei FPÖ. Auch des Vizekanzlers Sprecher Martin Glier hat sich in diesem Social-Media-Diskurs gegen den ORF eingeschaltet und betreibt nicht nur aus diesem Anlass munter ORF-Bashing. Jeder kann dessen Tweets nachlesen, wenn er will. Ich zitiere sie nicht.

Kontrolle liberaler Foren
Damit stellt sich auch die Frage: Warum wird all dies gerade jetzt seitens der Regierung, der FPÖ und deren Mitstreiter so aufgebauscht? Könnte es sein, dass auf diese Weise von anderen, wirklich schwerwiegenden Themen abgelenkt werden soll? So z. B. in Sachen neues ORF-Gesetz, in Sachen Namensnennung im Internet oder in Sachen Kontrolle und Beeinträchtigung liberaler Foren wie dem auf derStandard.at im Internet? Also Einschränkung der Medien- und Persönlichkeitsfreiheit und weitgehende Kontrolle durch Sicherheitsbeamte. Posthume Frage an William Shakespeare: Was ist da faul im Staate Österreich?

Sicherheit
Frage an die österreichische Regierung, speziell an Kanzler und Innenminister: Wie werden eigentlich die vom Medienminister hochgelobten Sicherheitsbeamten geschult und welche Befugnisse haben diese? Kürzlich kam ich an zwei Blaulicht-Polizeiwagen vorbei, die in einer vielbefahrenen Straße parkten. Fünf PolizistInnen waren da, um nach einem Autounfall einen Mann zu vernehmen. Als eine deutsche Passantin fragte, warum zwei Blaulichter und fünf PolizistInnen mit einer einzigen, offenbar an dem Unfall beteiligten Person befasst waren, schnauzte einer der Polizisten: “Geh zurück, woher du kommst.” Was wäre gewesen, wenn sie mit einem arabischen Akzent gesprochen hätte? Sicherheitsverwahrung? Ist das die Polizei, der wir in Sachen Sicherheit für uns alle vertrauen sollen und wollen?
In dem anfangs zitierten ORF-Interview mit Medienminister Blümel unterstrich dieser auch die selbstverständliche Autorität der Sicherheitsdienste. Gibt es auch für diese demokratiepolitische Grenzlinien, die nicht überschritten werden dürfen? Und welches intellektuelle Niveau darf nicht unterschritten werden? Bei der Polizei, aber auch bei politischen Parteien in Sachen Medienpolitik.

Informationsfreiheit nicht gerade hoch im Kurs
Um mit Armin Wolf zu sprechen: Gehen wir davon aus, dass künftig im ORF wieder kritische Dokumentationen und Satiresendungen ganz selbstverständlich gesendet werden. Sollte dem nicht so sein, stellt sich wirklich die Frage, wie unabhängig das Selbstverständnis der Führung des öffentlich-rechtlichen Senders ORF in der Tat ist. Warten wir es ab. Eines ist sicher: Hier in Österreich sind demokratiepolitische Werte, also auch Informationsfreiheit, derzeit nicht gerade hoch im Kurs. Das fällt inzwischen auch jenseits der Staatsgrenzen auf. Am Donnerstag wird die neue Rangliste von Reporter ohne Grenzen veröffentlicht.