Reporter ohne Grenzen (ROG) ist mit einer Delegation aus Wien, Paris und Berlin nach Istanbul gereist, um die heute stattfindenden Gerichtsverhandlungen zu beobachten. Auch Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich, ist vor Ort.
Heute, Mittwoch, wird der Prozess gegen Erol Önderoglu in Istanbul fortgesetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm wegen der Teilnahme an einer Solidaritätsaktion mit der pro-kurdischen Zeitung Özgür Gündem „Propaganda für eine terroristische Organisation“ vor. Mit ihm angeklagt sind die Vorsitzende der Türkischen Menschenrechtsstiftung, Sebnem Korur Fincanci, der Cumhuriyet-Kolumnist Ahmet Nesin und Özgür-Gündem-Chefredakteur Inan Kizilkaya.
Reporter ohne Grenzen fordert die türkische Justiz auf, sämtliche Anschuldigungen gegen den langjährigen Türkei-Korrespondenten der Organisation unverzüglich fallenzulassen.
„Erol Önderoglu und zahlreichen Intellektuellen drohen jahrelange Haftstrafen – nur, weil sie eine Zeitung unterstützt haben“, sagt ROG-Österreich Präsidentin Rubina Möhring. „Die Massenverhaftungen von Journalisten und Schließungen von Medien in der Türkei während des Ausnahmezustands zeigen, wie wichtig die Arbeit von Erol Önderoglu und seinen Mitangeklagten ist. Die türkische Justiz muss die absurden Anschuldigen endlich fallenlassen, damit sie ihren Einsatz für die Menschenrechte in der Türkei fortsetzen können.“
Önderoglu, Fincanci, und Nesin waren am 20. Juni 2016 in Istanbul verhaftet worden. Nach internationalen Protesten unter anderem vom damaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon waren sie nach zehn Tagen unter Auflagen freigelassen worden. Sie hatten mit dutzenden weiteren Journalisten und Prominenten jeweils symbolisch für einen Tag den Posten des Chefredakteurs von Özgür Gündem übernommen, um ihre Solidarität mit der Zeitung zu demonstrieren, die bereits unter wachsendem Druck der Behörden stand. Ende Oktober wurde das Blatt per Regierungsdekret geschlossen. Chefredakteur Kizilkaya ist seit August 2016 in Haft.
Zu Prozessbeginn am 8. November 2016 in Istanbul hatte der ROG-Korrespondent Erol Önderoglu die Anschuldigungen gegen ihn zurückgewiesen und betont, er habe nur sein Recht auf Meinungsfreiheit ausgeübt. Den Antrag der Verteidigung, die Anklage fallen zu lassen, lehnte das Gericht ab.
Önderoglu ist seit 1996 Türkei-Korrespondent von Reporter ohne Grenzen. Daneben verfasst er die Quartalsberichte der alternativen türkischen Nachrichtenagentur Bianet zum Stand der Meinungsfreiheit in der Türkei, arbeitet regelmäßig mit der OSZE zusammen und ist Vorstandsmitglied von IFEX (International Freedom of Expression Exchange), einem weltweiten Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Meinungsfreiheit einsetzen und bei dem ROG Mitglied ist.
Reporter ohne Grenzen fordert die türkische Justiz zudem auf, die Anschuldigungen gegen die Journalisten Can Dündar und Erdem Gül fallenzulassen. Heute, Mittwoch, wird auch das Verfahren gegen den ehemaligen Chefredakteur und den Ankara-Büroleiter der oppositionellen Zeitung Cumhuriyet fortgesetzt. Beide sitzen wegen angeblicher Unterstützung einer terroristischen Organisation auf der Anklagebank.
Dündar lebt mit Unterstützung von Reporter ohne Grenzen im Exil in Deutschland. Am vergangenen Wochenende hat die türkische Regierung ein neues Dekret erlassen, mit dem sie im Ausland lebenden Türken die Staatsbürgerschaft entziehen kann. Betroffen sind Personen, die schwerer Straftaten beschuldigt werden und trotz Aufforderung nicht innerhalb von drei Monaten in die Türkei zurückkehren. Can Dündars Frau Dilek Dündar darf die Türkei nicht verlassen. Anfang September hatten die türkischen Behörden ihren Pass beschlagnahmt.
Reporter ohne Grenzen zählt Erdogan zu den Feinden der Pressefreiheit (https://www.rog.at/pm/feinde-der-pressefreiheit-neue-liste/).
Derzeit sitzen weit über 100 Journalisten in der Türkei in Haft. Auf der Rangliste der Pressefreiheit stand die Türkei bereits vor dem Putschversuch auf Platz 151 von 180 Staaten (https://www.rog.at/press-freedom-index/).