Finsternis in Russland

Finsternis in Russland

Blog von Rubina Möhring

Kein Ende von JournalistInnen-Morden in Sicht – 330 weitgehend ungeklärte Fälle – Putin zeigt erstmals Schwäche

Sonderlich kalt ist es dieser Tage in Moskau nicht, aber ungleich finster. Präsident Medwedew hat die Umstellung auf Winterzeit für entbehrlich erklärt, also wird es nun erst kurz vor zehn Uhr hell. Wann der Tag beginnt, erkennt man nur noch am heillosen Morgenverkehr. Klar, dass bei diesem täglichen Hin- und Zurückwahnsinn eine Smogglocke über der Stadt hängen muss. Doch selbst wenn dann endlich das Tageslicht durchdringt, fühlt man noch immer keine Helligkeit. Im Gegenteil.

Grell hingegen war das Fernsehlicht, in dem Ministerpräsident Putin sich vergangene Woche Stundenlang in einem überdimensionierten TV-Studio sonnte, sich präsentierte, sich verplapperte und blamierte. Vor einem Millionenpublikum zeigte Putin erstmals Schwäche.


Spott für Demonstranten

Im Eifer des Gefechts, sprich präsidialer Selbstdarstellung, spottete er peinlich über die Abertausende, die gegen Wahlbetrug auf die Straße gegangen waren. Die weißen Bänder, die diese als Zeichen des Protestes an den Revers trugen, hielt er für Kondome. Selbst wenn dies im Zuge nachträglicher Schadensbegrenzung als Zynismus interpretiert werden sollte, der Sager lief voll ins Leere. Sogar offiziöse, englischsprachigen Blätter berichteten darüber auf Seite 1. Finsternis nach dem Abschalten der Scheinwerfer.

Es brodelt in Russland, doch niemand weiß, wohin das Brodeln führt. Fest steht nur: Seit dem Ende der Sowjetunion vor exakt 20 Jahren wurden in Russland 330 JournalistInnen ermordet. Warum, weshalb, wieso ist in den meisten Fällen bis heute ungeklärt.

In Putins Russland nimmt das Morden an JournalistInnen kein Ende.

Am 15. Dezember – Präsident Medwedew weilte gerade beim EU-Parlament in Straßburg – wurde dieser ermordeten JournalistInnen mit einer feierlichen Zeremonie im traditionellen Moskauer Journalistenhaus gedacht – einem architektonischen Juwel aus vorsowjetischer Zeit. Am selben Tag wurde zwar nicht in Moskau, aber in Dagestan Chadschimurad Kamalow, der populäre Herausgeber einer kritischen Zeitung auf offener Straße vor seiner Redaktion ermordet. Vermutet wird ein Racheakt für kritische Berichterstattung über dortige Polizeimethoden.

Beruflicher Mord

In Moskau selbst wurden willkürlich der Chefredakteur Maxim Kowalski der liberalen Zeitung “Kommersant-Wlast” sowie der Leiter der Media-Holding “Kommersant”, Andrej Galijew, vom Oligarchen-Inhaber gefeuert. Anlass war die Veröffentlichung eines Wahlzettel mit einem Putin-kritischen Kommentar. Nennen wir diese Personalentscheidung doch schlicht beruflichen Mord.

Ein zivilgesellschaftliches Beobachtungs-, ein neues Monitoring-System will deshalb künftig nicht nur “Todesfälle” sondern auch in ihrer Existenz bedrohte JournalistInnen wahrnehmen. Zumindest als Mahnung inmitten gesellschaftspolitischen Unrechts. Als kleiner, aber umso wichtiger Schritt in Richtung seriöser Rechtsstaatlichkeit.

Wenn hierzulande am 24. Dezember konsumbewusste Last-Minute-Weihnachtseinkaufsorgien im Gang sind, werden in Moskau voraussichtlich nicht schnöde Autos sondern Demonstrationen demokratiepolitisch aktiver Menschen den Verkehr zum Erlahmen bringen.

Solidarität am Tannenbaumtag

Wir schauen zu, gruseln uns vielleicht – “wow, sind die mutig” – und freuen uns, nicht dort zu leben sondern demokratiepolitisch und wirtschaftlich auf der Butterseite gelandet zu sein. Also für die Verteidigung unserer demokratiepolitischen Rechte nicht demonstrieren und deshalb Verhaftungen riskieren zu müssen. Das wird es dann unsererseits am Tannenbaumtag in Sachen Solidarität auch gewesen sein. Großartig.

Im EU-Nachbarland Ungarn exerziert derzeit eine demokratisch gewählte, autoritäre rechtsnationale Regierung durch, wie demokratische Werte im Nu gesetzlich entwertet werden können. Dort sind nun Intellektuelle für die Verteidigung von Presse- und Meinungsfreiheit in Hungerstreik getreten. Ein deutsches TV-Team, das den Streik drehen wollte, wurde amtlich daran gehindert. Unterstützen kann man die Streikenden über stargarten.wordpress.com/hungerstreik.

Kleiner Tipp für den Gabentisch

Dies als kleiner Tipp für den Gabentisch. Er kostet kein Geld, nur Wachheit. Budapest, die Hauptstadt unseres EU-Kompagnons, liegt übrigens näher bei Wien als Graz oder Salzburg.

Angesichts hiesiger Politikverdrossenheit bleibt zu hoffen, das unsere derzeit stabile Welt keine scheinbare ist und dass nicht auch wir eines Tages auf die Straße gehen müssen, um unsere demokratiepolitischen Selbstverständlichkeiten zu verteidigen.

Wie pflegt man hierzulande schon rund um zehn Uhr morgens herum zu sagen? Mahlzeit.
Ich wünsche köstliche Weihnachtbissen, die nicht im Halse stecken bleiben, und ein sattsam glückliches neues Jahr. Mit heller Sicht und ohne Finsternis.