Blog von Rubina Möhring
Darf man nicht einmal mehr kritische Gedanken zu Papier bringen?
“Angriff auf die Freiheit” nannte das bekannte deutschsprachige Autorenduo Ilja Trojanow und Juli Zeh ihre Kampfschrift gegen die zunehmenden Überwachungspraktiken selbst gegenüber 08/15-Bürgerinnen und Bürgern. Macht einen solch ein Büchlein bereits zur verdächtigen Person? Darf man also nicht einmal mehr kritische Gedanken zu Papier bringen? Aus der Sicht der NSA offenbar ja. Trojanow wurde Anfang der Woche die Einreise in die USA verweigert.
Wer hat da versagt beziehungsweise das Sagen? IT-Detektoren, die auf scheinbare biografische Unbotmäßigkeiten eingestellt sind? Oder Menschen, die in ihrer Funktion als Überwachungsorgane dazu gedrillt wurden, weniger dem eigenen Urteilsvermögen als dem der Maschinen zu vertrauen? Wie es scheint, liegt die Macht nicht im menschlichen Bereich. Maschinen definieren unser Ich, bestimmen wer wir sind.
Zu Schriftstellerkongress geladen
Trojanows Biografie bietet sich ja auch geradezu an, sämtliche Warnanlagen wild aufblinken zu lassen. Geboren in Bulgarien, als Kind Anfang der 70er über das damalige Jugoslawien und Italien Jahre mit seiner Familie nach Deutschland geflohen, politisches Asyl. Inzwischen ist Trojanow längst deutscher Staatsbürger, allerdings hat er sich mittlerweile in Wien niedergelassen. Er ist gelernter Germanist, Übersetzer und ein genialer Schriftsteller gesellschaftsanalytischer Bücher. Als solcher war Trojanow zu einem Schriftstellerkongress in den USA eingeladen worden.
Zutritt verweigert
Auf dem Flughafen wird der Zutritt in die Maschine, die ihn in die USA bringen sollte, verweigert. Trojanow ist in den Vereinigten Staaten unerwünscht. Auf welchem Flughafen das passierte: In Rio de Janeiro. Auch das noch. Dort lebt doch auch Glenn Greenwald, jener “Guardian”-Journalist, der mit Ed Snowden in Kontakt ist, Einblick in dessen NSA-Dateien hat und die NSA-Affäre ins Rollen gebracht hatte. Da blinkte es wahrscheinlich nicht nur im Kontroll-Computerzentrum wild herum, da müssten sogar die Sirenen ohrenbetäubend geheult haben. Darüber hinaus hat Trojanow eine Protestpetition gegen die NSA-Überwachungspraktiken unterschrieben. Schlimm, schlimm, schlimm.
Gedanken sind nicht mehr frei
So schnell wird man ein unerwünschter Gast, auch ohne selbst gebastelte Bomben im Reisegepäck. So schnell wird man in den Vereinigten Staaten eine unerwünschte Person – auch Gedanken sind nicht mehr frei sondern werden als terroristischer Zündstoff klassifiziert. Macht das Sinn?
“Die einzige Gefahr des Terrorismus ist, wie wir als Gesellschaft darauf reagieren”, meinte Juli Zeh bei der Präsentation des Buches “Angriff auf die Freiheit” vor vier Jahren. Von der NSA war da noch lange keine Rede. Bekannt wurde jedoch, dass bei der damaligen Rasterfahndung in Deutschland aus acht Millionen überprüften Datensätzen nur drei Ermittlungsverfahren herausgekommen waren. Und auch die verliefen mittels Beweismaterial im Sand. “Gefangen im Datennetz” titelt damals die FSZ.
Im deutschsprachigen Gebiet ist der Fall Trojanow vergangene Woche ein zentrales Thema. Nicht so in den USA. Per Suchmaschine findet sich nur bei der “Huffington Post” ein Artikel, der im wesentlichen ein deutsches Wochenmagazin zitiert. Die breite Öffentlichkeit blieb uninformiert. Vielleicht auch der US-Präsident. Der hat im Moment andere Sorgen.
Zukunftsvision: US-Präsident Barack Obama sitzt als Nicht-mehr-Präsident in seiner Bibliothek und ackert zeitgenössische, europäische Literatur auf, darunter auch Trojanows Schriften. Wie so viele andere ist auch er fasziniert von dessen vielfacher Auseinandersetzung mit der Macht an sich. “Den sollten wir einladen”, meint der präsidiale Ex. “Sorry, den haben wir 2013 wegen gefährlichen Gedankengutes ausgesperrt”, erwidert ein verbliebener Mitarbeiter. “Unser trojanisches Pferd, die IT-Detektoren der NSA …” Der Ex schweigt und bucht ein Ticket nach Europa: zuerst besucht er Troja samt Pferd, dann Trojanow. (Rubina Möhring, derStandard.at, 7.10.2013)