Polnische Journalistin als Verteidigerin des Rechtsstaats ausgezeichnet – ROG-Kritik an Einschränkungen der Pressefreiheit in Polen
Der von Reporter ohne Grenzen Österreich alljährlich für mutigen Journalismus verliehene „Press Freedom Award“ geht für 2016 an die polnische Journalistin Ewa Siedlecka. Mit ihren Artikeln über den polnischen Verfassungsgerichtshof hat Ewa Siedlecka die Öffentlichkeit frühzeitig auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die dem Rechtsstaat durch parteipolitische Eingriffe drohen können. Konkret bewertet wurde ein Artikel mit dem Titel „Jetzt haben wir Budapest in Warschau“, in dem es auch um die über ein einzelnes EU-Land hinausreichende Sorge um den Rechtsstaat geht. Hier der Artikel im Original, hier in deutscher Sprache.
Diese Arbeit von Ewa Siedlecka wurde prämiiert, „weil das von ihr behandelte Thema nach wie vor von größter Aktualität ist und der Beitrag höchst professionell gestaltet wurde,“ sagt die Jury in ihrer Begründung der Zuerkennung des mit 6.000 Euro dotierten Preises.
Ewa Siedlecka wird den Press Freedom Award am Dienstag, 14. Februar 2017 um 18 Uhr im Presseclub Concordia entgegen nehmen. Im Anschluss diskutiert sie mit der ORF-Journalistin und Osteuropa-Expertin Karin Koller und mit Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich, unter der Leitung von Erhard Stackl (Journalist und Polen-Experte).
Anmeldung zu dieser Veranstaltung hier.
Polen ist auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit im Jahr 2016 um 29 Plätze auf Rang 47 gefallen. Reporter ohne Grenzen kritisiert die Missachtung der Pressefreiheit durch führende Politiker in Warschau. Unter der seit November 2015 mit absoluter Mehrheit regierenden nationalkonservative Partei für Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) wurde der öffentliche Rundfunk rasch auf Linie gebracht. Mehr als 200 TV- und Radio-Journalisten wurden dort entlassen, zur Kündigung gezwungen oder auf weniger einflussreiche Posten versetzt, wie eine Dokumentation der Journalistengewerkschaft Towarzystwo Dziennikarskie (TD) belegt. Die Berichterstattung aus dem polnischen Parlament wurde drastisch eingeschränkt. Nach massiven Protesten der Journalistinnen und Journalisten nahm die Regierung einen Teil, aber nicht alle Einschränkungen zurück. Der früher freie Zugang zu den Politikern bleibt den Medienleuten weiterhin verwehrt. Kritische Privatmedien bekamen den Zorn der Regierung durch einen Inseratenboykott staatlicher Stellen zu spüren. Zuletzt kündigte PiS-Chef Jarosław Kaczyński an, private Medien müssten „repolonisiert“ und vor allem von deutschen Verlagshäusern zurückgekauft werden.
Die Preisträgerin
Ewa Siedlecka wurde in Warschau geboren. Sie studierte an der Warschauer Universität Psychologie und arbeitete dann als Therapeutin in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einem Zentrum für Drogenabhängige.
1989, im Jahr der europäischen Zeitenwende, begann die damals 30-Jährige für das neue Tagblatt „Gazeta Wyborcza“ zu schreiben. Der Titel bedeutet „Wahlzeitung“ und als solche war die „Gazeta“ vor den ersten, teilweise freien Wahlen im Ostblock gegründet worden. Die „Gazeta“ ist noch immer eine sehr wichtige, kritische Begleiterin der polnischen Demokratie. Ewa Siedlecka schreibt nach wie vor für sie.
Ihr erster Artikel befasste sich im September 1989 mit Strafgefangenen, die in Polen damals nach der Verbüßung ihrer Haft in so genannten „Anpassungszentren“ willkürlich festgehalten werden konnten, wenn sie die Behörde für nicht ausreichend resozialisiert hielt. Wenige Wochen nach der Veröffentlichung des Artikels wurde diese menschenrechtswidrige Praxis beendet.
In den darauffolgenden Jahren kehrte sie immer wieder zum Thema des Strafvollzugs zurück, veröffentlichte auch Briefe von Gefängnisinsassen und stieß Reformen an, die den Strafvollzug in Polen mit den europäischen Menschenrechtsstandards in Einklang bringen sollten.
Ewa Siedlecka spezialisierte sich in ihrer journalistischen Arbeit auf Rechtsfragen und im Besonderen auf die Menschenrechte. Ihr Interesse galt vor allem auch den Minderheiten, gefährdeten Gruppen wie der LGBT-Community, Behinderten oder Menschen mit psychischen Störungen. Auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit war und ist ihr ein Anliegen. Über die schwierige Lage religiöser Minoritäten in Polen schrieb sie eine Artikelserie. Weitere ihr Themenkreise betreffen die Bioethik und die Rechte der Tiere.
Sie war unter den Medienleuten Polens die erste, die sich intensiv mit der Tätigkeit des Verfassungsgerichtshofs befasst hat. Schon vor dem Amtsantritt der gegenwärtigen polnischen Regierung hat sie sich kritisch mit dem Auswahlverfahren zur Bestellung der Verfassungsrichter auseinandergesetzt. Nach Meinung der Journalistengewerkschaft TD gibt es in den polnischen Medien niemand, der über die Auseinandersetzungen rund um das Verfassungsgericht „so kompetent und glaubwürdig geschrieben hat wie Ewa Siedlecka“, meint TD-Präsident Seweryn Blumsztajn. Und der polnische Ombudsmann Adam Bodnar, der „Beauftragte der Bürgerrechte“, bezeichnet sie wegen ihres beständigen Engagements für die Menschenrechte als „Vorbild“ für die Journalisten.
Ewa Siedlecka hat bereits mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter 2011 den Preis von Amnesty International und den Dariusz-Fikus-Preis des polnischen Presseclubs. 2013 wurde sie mit dem von LGBT-Organisationen verliehenen Tolerantia-Preis geehrt.