Der Präsident des Herzens: Joachim Gauck avanciert zum Medienhype

Der Präsident des Herzens: Joachim Gauck avanciert zum Medienhype

Gauck sollte für mehr stehen als für kitschige Rührseligkeiten

Es war ein schöner Sonntag mit ganz viel Sonnenschein. “Kaiserwetter”, so jubelten deutsche TV-Kommentatoren, für den “Franz Beckenbauer der Politik”. An diesem 18. März ist Joachim Gauck mit 80 Prozent der Stimmen zum deutschen Bundespräsidenten gewählt worden. Gauck ist zum Medienhype avanciert, zu einem “Präsident des Herzens”, frei nach Tony Blair, der für Lady Di den Titel §Prinzessin der Herzen” erfunden hatte. Cool. Hoffen wir, dass die Definition “Herzens-Präsident” nur ein verbaler Ausrutscher einer um griffige Schlagworte ringenden Kurzzeitgedächtnis-Gesellschaft ist. Gauck sollte für mehr stehen als für kitschige Rührseligkeiten in der Regenbogenpresse.


Was der deutsche Bundestag von Joachim Gauck erwartet, das hat Parlamentspräsident Norbert Lammert in seiner Ansprache vor der Gauck-Wahl ausgeführt, und zwar in einem eindrucksvollen Exkurs über die demokratiepolitische Bedeutung des 18. März: Auf den Tag genau vor 22 Jahren, am 18. März 1990 fanden in der ehemaligen DDR die ersten freien, demokratischen Volkskammerwahlen statt. Auf den Tag genau vor 164 Jahren, am 18. März 1848, revoltierten Europas Bürger – nach Paris und Wien, nach Budapest, Prag oder Mailand nun auch in Berlin. Sie demonstrierten für Demokratie und Pressefreiheit. 254 Menschen wurden vom Militär getötet. Preußens König Friedrich Wilhelm IV. beugte sich vorübergehend, gedachte im Berliner Schlosshof der Märzgefallenen und trabte mit einer schwarz-rot-goldenen Armbinde durch die Stadt.

Zwei Monate später begannen in der Frankfurter Paulskirche die Mitglieder des ersten gesamtdeutschen Parlamentes, zum ersten Mal eine freiheitliche Verfassung und die Bildung eines deutschen Nationalstaats auszuarbeiten. Zuletzt siegten bekanntlich jedoch Gegenrevolution und Restauration. Ein Jahr später beschreibt die “Neue Rheinische Zeitung” den 18. März 1848 als “blutiges Possenspiel”, als Lohn für eben nur eine halbe Revolution.

Berlin, 18. März 2012. O-Ton Lammert: “Insbesondere mit Blick auf die Grundrechte sollte diese erste demokratisch beschlossene Verfassung für ganz Deutschland alle weiteren Verfassungen unseres Landes prägen. Und schon damals wurde zu diesen Grundrechten auch und nachdrücklich die Pressefreiheit gezählt. Heute erfüllt die freie Presse eine wichtige und unverzichtbare Kontrollfunktion in unserer Demokratie. Es gibt keine Demokratie ohne Transparenz und ohne Kontrolle.”

Dies gilt genauso gut für Österreich und sei auch der hiesigen politischen Kaste für immer ins Gedächtnis geschrieben. In Wien wurde erstmals am 13. März 1848 die Forderung nach Pressefreiheit öffentlich plakatiert. Autor war der junge Arzt Adolf Ephraim Fischhof. Am selben Tag floh der damalige Staatskanzler Fürst Metternich in Frauenkleidern nach London. Kaiser Ferdinand I. setzte sich zunächst nach Innsbruck ab.

Das heutige Parlament in Berlin erinnert sich anlässlich der Gauck-Wahl stolz an das, was damals 1848/1849 demokratiepolitisch unwiderruflich in Bewegung gesetzt wurde. Die derzeitige Bundesregierung in Wien hat die damalige zentrale Rolle ihrer Hauptstadt in Sachen bürgerlicher Revolution, Demokratie und Pressefreiheit offenbar vergessen. Siehe das jüngst gescheiterte Attentat auf das Redaktionsgeheimnis. Wozu eigentlich war diese Posse nützlich? Als Beweis für historisches Kurzzeitgedächtnis und mangelndes, demokratiepolitisches Geschichtsbewusstseins?