Der Feind heißt Fanatismus: Das Attentat auf das Satireblatt “Charlie Hebdo”

Der Feind heißt Fanatismus: Das Attentat auf das Satireblatt “Charlie Hebdo”

Blog von Rubina Möhring

Nicht mit Waffen, sondern mit integrativen gesellschaftlichen Maßnahmen muss der Kampf geführt werden
Wien – Unendlich betroffen, unendlich groß sind die Trauerkundgebungen seit dem grauenhaften, tödlichen Attentat auf die Redaktion der Pariser Satirezeitschrift “Charlie Hebdo” in Paris am hellichten Tag des 8. Januar in diesem noch so neuen Jahr. Nicht in Worte zu kleiden ist die Fassungslosigkeit über die Brutalität religiös verbrämten politischen Fanatismus: Über den Versuch, eine ganze Zeitung zu ermorden und damit mundtot zu machen. Geboten wurde uns die Fratze puren Anti-Demokratie-Bewusstseins, purer Anti-Rechtsstaatlichkeit, purer Terrorismus und und scheinbar religiöser Fanatismus pur. Ziel der Attentäter war, die Gesellschaften Europas zu spalten, einen Keil zu treiben zwischen muslimische Zuwanderer und nicht muslimische Bevölkerung.
Angesagt ist deshalb nicht nur die Suche nach den Mördern. Die zwei jungen Männer und ihr Helfer sind gefunden, haben ihr Ziel erreicht. Sie träumten elendiglich banal von einem Märtyrertod. Ebenso ihr Freund, der in einem Pariser jüdischen Supermarkt dieses böse Spiel mit dem leider mancherorts noch immer bzw. schon wieder üblichen antisemitischen Impetus überdrehte. Die Attentäter sind tot. Insgesamt fielen 17 Menschen diesem fanatisch-faschistischem Wahnsinn zum Opfer.

Nicht minder, vielleicht sogar mehr noch angesagt ist die ernsthafte Suche nach den Wurzeln eines solchen fanatischen Tunnelblicks, wie ihn die Attentäter demonstrieren. Vor allem angesagt ist die Suche nach ernst gemeinten soziopolitischen Lösungen. Die angekündigten neuen Antiterror-Strategien sind sicher notwendig, allein jedoch können auch solche Maßnahmen nur vordergründig greifen.
“Wir alle sind Charlie Hebdo”
Nicht nur am heutigen Tag, noch am Abend des 8. Januar fanden spontane Gedenkfeiern vor französischen Botschaften in aller Welt statt. “Ich bin Charlie Hebdo” – “Wir sind Charlie Hebdo” – “Wir alle sind Charlie Hebdo”. Ein internationales Zusammengehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl entstand. Zivilgesellschaften und Politiker in aller Welt solidarisieren sich mit Charlie Hebdo, mit den Hinterbliebenen und in einem gemeinsamen Bekenntnis zu Presse-, Informations- und Meinungsfreiheit. Auch politische Repräsentanten nicht oder weniger demokratischer Staaten meldeten sich hierbei zu Wort, verurteilten den fanatischen Mord der Islamisten, auch auffallend viele aus maßgeblichen muslimischen Staaten.
Die Mörder sind der Meinung, mit ihren Kalaschnikows und dem Blutbad, das sie angerichtet haben, Ihren Propheten gerächt zu haben, mit ihrer Tat aus der Anonymität der Masse hervorgetreten zu sein, Geschichte gemacht zu haben. Offen bleibt die Frage nach den Zielen der Strategen, von denen sie ausgebildet wurden. Die Imame Europas sprechen sich gegen politischen und religiösen Fanatismus aus und verurteilen die Tat in ihren Gebeten. Weltweit dreht sich der Diskurs über den radikalen Islamismus und dessen Folgen in den Gesellschaften, auch in den muslimischen, weiter. Mit dem mörderischen Attentat auf die Redaktion des Satire-Magazins “Charlie Hebdo” war geschehen, was nicht sein darf. Ein unfassbar brutaler, ein unfassbar extremer Tabubruch in Sachen Menschenrechte.
Hoffen wir, auch für die sinnlos Ermordeten, dass es sich bei den Beileidsbekundungen à la longue nicht um Worthülsen handelt. Im kondolierenden Königreich Saudi-Arabien jedenfalls soll laut Amnesty International dieser Tage der Blogger Raif Badawi mit 1100 Peitschenhieben für die Gründung eines islamkritischen Onlinedebattenmagazins bestraft werden. Dies nicht irgendwo sondern öffentlich vor einer Moschee in der westsaudischen Hafenstadt Dschidda.
Großer Zulauf für den “Front National”
Hoffen wir auch, dass irgendwann nicht doch auch in Redaktionen die Angst überhand nimmt. Warum auch immer, aus rein wirtschaftlichen, aus rein menschlichen Gründen.
Hoffen wir zugleich, dass politische Vernunft über blinden, politisch-religiösen Fanatismus siegt, dass ein solcher nicht weiterhin anderen politischen Hasardeuren dient und deren Feuer schürt.
In Frankreich erfreut sich die rechtsnationale Partei “Front National” seit dem Attentat auf “Charlie Hebdo” eines phänomenalen Zulaufes. Marine Le Pen fordert für Attentäter die Todesstrafe. Viele folgen ihr. Angst um die eigene Sicherheit, den eigenen Wohlstand schnürt den Menschen das Denken und die Seele zu.
In Deutschland instrumentalisiert die Rechtspartei AfD das Attentat auf die politisch links angesiedelte Satire-Zeitschrift “Charlie Hebdo” als Rechtfertigung für die deutsche rechte Anti-Islam-Bewegung “Pegida”. Auch bei deren Anhängern beeinträchtigen Fanatismus, Tunnelblick, Fremdenhass und soziale Existenzängste eine klare Sicht für die realen, gesellschaftspolitischen Gegebenheiten. So spielen sich extreme Gruppierungen gegenseitig den Ball zu.
Die Attentäter auf die Redaktion “Charlie Hebdo” waren französische, für den Kampf ausgebildete, schwer bewaffnete, islamistische Terroristen. Sie sind nicht nur die Mörder, sie sind auch die Brandstifter in der Entfremdung zwischen muslimischer und nicht-muslimischer Bevölkerung. Sie und nicht das Satireblatt “Charlie Hebdo”, auch nicht dessen Aufmacherstory dieser Woche: der neue Roman des französischen, intellektuellen Bestsellerautors Michel Houellebecq. Thema: Frankreichs fiktive Zukunft unter einem muslimischen Präsidenten.
Kampf gegen Einbahn-Fanatismus
Manche mögen in dieser Annäherung an die gesellschaftspolitischen Probleme in Frankreich und die Jahrzehnte lange Vernachlässigung, die gesellschaftliche Ausgrenzung von Migranten aus den ehemaligen französischen Kolonien eine gezielte Provokation sehen. Eine Lizenz zum Töten jedoch erlaubt sie selbst bei sämtlichen allenfalls anzurufenden Göttern keinesfalls.
Der gemeinsame Feind heißt Fanatismus. Im 20. Jahrhundert hatten Hitlers Nationalsozialisten Worte und Begriffe gebraucht, um selbstgeschaffene Feindbilder zu diffamieren. An dieser Stelle soll nicht auf diesen Wortschatz zurückgegriffen werden.
Leicht wird der Kampf gegen jedweden Einbahn-Fanatismus jedochkeineswegs sein. Im Gegenteil: Zu lange wurde über die möglichen und entstehenden Konflikte hinweggesehen. Sinnvoll ist der Kampf auf jeden Fall. Gelingen kann er allerdings nur, wenn er ernsthaft angegangen wird. Nicht mit Waffen, sondern mit integrativen gesellschaftlichen Maßnahmen. – Auch dies im Sinne als Sühne für den Mordversuch an “Charlie Hebdo”. Außerdem: ohne Einwanderung wächst die europäische Gesellschaft nicht mehr.
Kommende Woche erscheint das Satiremagazin wieder. Angesagter Umfang: Acht Seiten. Angesagte Auflage: eine Million. (Rubina Möhring, derStandard.at, 9.1.2015)
http://derstandard.at/2000010207061/Der-Feind-heisst-FanatismusDas-Attentat-auf-das-Satireblatt-Charlie-Hebdo