Anna Politkowskaja: zehn Jahre nach dem Mord an einer, die zu viel wusste

Anna Politkowskaja: zehn Jahre nach dem Mord an einer, die zu viel wusste

Vor zehn Jahren wurde die kritische Journalistin erschossen. Die Hintermänner sind bis heute nicht gefunden und werden in höchsten politischen Kreisen vermutet.

Blogbeitrag von Rubina Möhring auf derstandard.at

Am 7. Oktober 2016 wird in Russland der 64. Geburtstag des russischen Präsidenten Wladimir Putin gefeiert. Vor zehn Jahren, am 7. Oktober 2006, wird in Moskau eine Journalistin im Eingangsbereich ihre Wohnblocks ermordet: Anna Politkowskaja, damals 48 Jahre alt. Seit damals ist es in Russland immer stiller geworden. Nach und nach verstummten auch die anderen kremlkritischen Reporterinnen und Journalisten. Heute üben sich russische Medien bevorzugt in Propagandajournalismus. Menschenrechtsorganisationen mutierten in dieser Dekade zu unerwünschten Zeiterscheinungen.

Ebenfalls 2006 trat in Russland ein erstes NGO-Gesetz in Kraft, dem zufolge Menschenrechtsorganisationen fortan verstärkt Tätigkeitsberichte vorlegen mussten. Zunächst hielt sich diese Maßnahme noch in Grenzen, nachdem allerdings in einer öffentlichen Kampagne hochrangige Politiker und Politikerinnen sowie das staatliche Fernsehen begonnen hatten, sämtliche NGOs als “Feinde” zu diffamieren, hatten die NGOs auch in der Gesellschaft kaum noch einen Rückhalt. 2012 schließlich wurde das NGO-Gesetz verschärft. Bekannt ist es bezeichnenderweise als “Agentengesetz”.

Rücklings erschossen
Die russische Zivilgesellschaft geriet damals immer mehr unter Druck, auch die internationalen NGOs begannen, ihre Büros zu schließen. Biedermeierliche, nationale Nabelschau war angesagt, Dolmetscher verloren der Reihe nach ihre Jobs, Mütterchen Russland blieb mit den treu ergebenen Familienmitgliedern für sich zu Hause.

Der 7. Oktober 2006 ist auch in Russland ein ungewöhnlich warmer Herbsttag. Es ist ein Samstag. Anna Politowskaja hat gerade die üblichen Haushaltseinkäufe erledigt, ihren Wagen vor dem Haus, in dem sie wohnt, geparkt und kaum die Halle betreten, als sie rücklings erschossen wird. Sechs Schüsse in Brust und Körper, der siebente ein Fangschuss in den Kopf. Am frühen Nachmittag wird sie gefunden. Neben ihr liegen die Pistole samt Patronenhülsen als zynischer Abschiedsgruß der Mörder.

Wahrheit “das Einzige, was dem Menschen zumutbar ist”
“Man kann wirklich sagen, die Menschen bezahlen mit dem Leben dafür, dass sie laut aussprechen, was sie denken”, erzählt Politowskaja noch im Dezember 2005 im Rahmen unseres Gespräches auf der Bühne des Wiener Akademietheaters. “Auch ist es manchmal tödlich, ein Informant von mir zu sein.”

Auf die Frage, ob die Wahrheit auch in Russland den Menschen zumutbar sei, antwortet sie: “Ich glaube, das ist das Einzige, was dem Menschen zumutbar ist. Angesichts dessen, was sich in unserem Land abgespielt hat, muss man sagen, dass dort Berichterstattung hauptsächlich vor dem Hintergrund von Unwahrheit, Diffamierung und Desinformation stattgefunden hat.”
Den Schutzschild für ihr eigenes Leben sieht sie in ihrer internationalen Popularität. Zehn Monate nach diesem Gespräch wird Anna Politowskaja von hinten erschossen. Sie wurde hingerichtet – weil sie zu viel wusste und weil sie dieses Wissen veröffentlichte.

Hintermänner bis heute nicht gefunden
Es dauert Jahre, bis die mutmaßlichen Täter vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Am 9. Juni 2014 um 14.32 Uhr meldet “Spiegel Online”: “Knapp acht Jahre nach dem Mord an der Kreml-kritischen Journalistin Anna Politkowskaja hat das Moskauer Stadtgericht fünf Beteiligte zu langer Straflager-Haft verurteilt.” Der mutmaßliche Organisator des Mordes und der Todesschütze erhalten lebenslange Haft in einem Straflager. Drei weitere Beteiligte werden zu zwölf bis 20 Jahren Straflager verurteilt.

Die Spur führte nach Tschetschenien.
Die Hintermänner allerdings sind bis heute nicht gefunden und werden in höchsten politischen Kreisen vermutet. Nicht wenige nannten damals den Mord auch ein Geburtstagsgeschenk der besonderen Art für Wladimir Putin.

Seit langem schon war Politkowskaja eine unbequeme Berichterstatterin über den Krieg in Tschetschenien gewesen. Unermüdlich hatte sie auch eine mögliche Beteiligung des russischen Militärs recherchiert. Ihr Informationsnetz war weit verzweigt und zugleich sehr eng geknüpft, die Datenbank ihrer Recherchen dementsprechend von großem Wert. Seit dem 7. Oktober 2006 liegt diese nun in den Archiven der russischen Sicherheitsbehörden.

(Rubina Möhring, 7.10.2016)