Machen wir Europa wieder zu einem Raum der verlässlichen Information! 22. Mai 2025 RSF International und Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich fordern EU-Demokratieschild Vor dem Hintergrund geopolitischer Umwälzungen haben die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten die militärische Aufrüstung des Kontinents zu einer Priorität erklärt. Ihre Hauptgegner investieren unterdessen in ein anderes Schlachtfeld. Manipulation von Fakten, staatliche Propaganda in den Medien, Desinformationskampagnen in den sozialen Netzwerken – alle Mittel sind recht, um die demokratischen Gesellschaften von innen heraus zu untergraben. Angesichts dessen erscheinen die Reaktionen der EU zu zaghaft. Es ist ein Ruck nötig, um Europa wieder zu einem Raum zu machen, in dem verlässliche Informationen und Journalismus Vorrang vor Lügen und staatlicher Propaganda haben. Die Informationsoffensive autoritärer Regime zielt darauf ab, die öffentliche Debatte zu kontrollieren, indem sie den Journalismus in ihrem Land unterdrücken, aber auch das Vertrauen in die demokratische Idee durch Manipulation von Informationen zu untergraben. Während Europa Panzer und Raketen für mehrere hundert Milliarden Euro kauft, sind China und Russland damit beschäftigt, digitale Troll-Regimenter aufzubauen, falsche „Journalistinnen“ und „Journalisten“ zu rekrutieren und die Ausstrahlung ihrer internationalen Medien zu fördern. Im Zeitalter des globalen Informationskrieges haben sich die Attribute der Macht verändert. Sie umfassen digitale Manipulationsoperationen, die soziale Netzwerke mit falschen oder verzerrten Inhalten überschwemmen. Sie beruhen auf der Fähigkeit der mit erheblichen Mitteln ausgestatteten internationalen Staatsmedien, die Vision ihrer Schutzmacht weltweit zu verbreiten. Schließlich gehen sie mit einer sehr gewaltsamen transnationalen Unterdrückung von Journalistinnen und Journalisten im Exil einher. Eine noch zaghafte Reaktion Seit März 2022 umfassen die vom Rat der Europäischen Union gegen Russland verhängten Sanktionen ein Verbot der Verbreitung bestimmter staatlicher Medien, darunter „Russia Today“ und „Sputnik“, im europäischen Informationsraum und gelten für eine Reihe von Unternehmen und Persönlichkeiten. Zahlreiche Studien weisen jedoch auf die mangelnde Durchsetzung dieser Sanktionen hin, insbesondere im Internet, wo die Inhalte dieser Medien für europäische Nutzerinnen und Nutzer nach wie vor weitgehend zugänglich sind. Die Realität sieht so aus, dass die EU Schwierigkeiten hat, die Regeln, die uns schützen sollen – in diesem Fall den Digital Services Act (DSA) –, den amerikanischen sozialen Netzwerken aufzuerlegen, die die wichtigsten Verstärker dieser böswilligen ausländischen Einmischungen sind. Die von der Europäischen Kommission eingeleiteten Untersuchungen dauern zu lange. In der Zwischenzeit überschwemmen Desinformationsprofis weiterhin die sozialen Netzwerke. Schlimmer noch, sie erklären sich offen feindlich gegenüber jeder Form der Inhaltsmoderation, wie beispielsweise „Meta“, das beschlossen hat, sein Fact-Checking-Programm im Jahr 2025 einzustellen. Die Falle falscher Äquivalenzen vermeiden Um ausländische Einmischung und Desinformation besser bekämpfen zu können, schlägt die Europäische Kommission nun die Einrichtung eines „Europäischen Demokratieschildes“ vor. Mit einer Voraussetzung: Die notwendige europäische Kommunikationsstrategie darf nicht dazu verleiten, der Versuchung strategischer Kommunikation nachzugeben; mit anderen Worten: Die schwarze Magie der Propaganda kann nur durch die weiße Magie des Journalismus bekämpft werden. Demokratien können diesen Informationskrieg gewinnen. Indem sie es vermeiden, in die Falle der falschen Gleichsetzung zu tappen, die die Feindinnen und Feinde des Journalismus stellen, indem sie auf Propaganda nicht mit mehr Propaganda reagieren und über das Fact Checking hinausgehen, ohne ihre Werte zu verleugnen. Dies umso mehr zu einem Zeitpunkt, wenn die Vereinigten Staaten sich aus der Welt zurückziehen und ihre historische Unterstützung für den Journalismus aufgeben. Im Informationsbereich muss Europa ebenso wie im Verteidigungsbereich seine eigene Autonomie aufbauen. Dabei kann es sich auf den Journalismus als vertrauenswürdigen Dritten stützen, nicht nur um propagandistische Einmischungen aufzudecken, sondern vor allem, um jedem Bürger die zuverlässigen Informationen zu liefern, die er benötigt, um sich in der Welt zurechtzufinden. Drei konkrete Schritte können dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen. Schützen, fördern, unterstützen Zunächst muss Europa Bedingungen für die Öffnung seines Informationsraums festlegen. Alle Medien aus Drittländern sollten sich bereit erklären, sich den Regeln des europäischen audiovisuellen Marktes zu unterwerfen, wenn sie Zugang zu diesem Markt erhalten möchten, insbesondere den Regeln in Bezug auf Unabhängigkeit, Ehrlichkeit und Pluralismus der Informationen. Das ist eine Frage des fairen Wettbewerbs, aber auch der Souveränität. Gegenüber autoritären Staaten sollte darüber hinaus der Grundsatz der Gegenseitigkeit gelten: Ein Land, das die Verbreitung europäischer Medien in seiner Bevölkerung nicht zulässt, sollte auch nicht berechtigt sein, seine eigenen Medien in der EU zu verbreiten. Außerdem müssen die wichtigsten digitalen Plattformen verpflichtet werden, zuverlässige Informationsquellen hervorzuheben, das heißt Medien, die nach journalistischen Standards arbeiten und hohen Transparenz- und Unabhängigkeitskriterien entsprechen, wie beispielsweise die „Journalism Trust Initiative“. Solange Plattformen ihr Wachstum und ihre Werbeeinnahmen über Qualität und Integrität der Inhalte stellen, wird die Desinformationsindustrie weiter florieren. Schließlich ist der weltweite Informationskrieg in vielerlei Hinsicht ein Krieg gegen diejenigen, die trotz schwieriger Umstände versuchen, uns zu informieren. Europa ist ein Zufluchtsort für viele ausländische Journalistinnen und Journalisten und Medien, die aufgrund ihres Berufs ins Exil gehen mussten. Sie sind potenzielle Akteurinnen und Akteure im Kampf gegen Desinformation und ausländische Einmischung, vorausgesetzt, dass die Aufnahmeländer sie vor transnationaler Repression schützen, ihre Wiederaufnahme der Tätigkeit fördern und ihnen helfen, die staatliche Zensur zu umgehen, um ihr Publikum zu erreichen. Für Europa ist es an der Zeit, dass es sich der Bedrohung seines demokratischen Modells voll bewusst ist – indem es dem Journalismus die Mittel an die Hand gibt, seine wesentliche Aufgabe zu erfüllen: die Bürgerinnen und Bürger zuverlässig, unabhängig und pluralistisch zu informieren. Thibaut Bruttin, Generaldirektor RSF International Fritz Hausjell, Präsident Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich Martin Wassermair, Generalsekretär Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich