Nawalnys Tod – Ein dunkler Tag für die Pressefreiheit

Gedanken zu Nawalnys Tod – eine gemeinsame Stellungnahme von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich und dem Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte

Nachdem der russische Zar Nicolai I. 1849 Fjodor Dostojewski wegen Teilnahme an
revolutionären Zirkeln zum Tode verurteilt hatte, ließ er ihn in dem Moment begnadigen, als
er und andere die Hinrichtungsstätte bestiegen hatten, die Urteile verlesen waren und vor den
tödlichen Schüssen der Trommelwirbel einsetzte. Stattdessen kam Dostojewski fünf Jahre in
ein sibirisches Straflager, das er zwar überlebte, wenn auch an Epilepsie erkrankt.
Wladimir Putin, der anstrebt, als neuer „Zar“ in die Geschichte einzugehen, ist noch
hinterhältiger und grausamer als Nikolai I.
Als ein mit höchster Wahrscheinlichkeit von Putin in Auftrag gegebener Giftanschlag auf
Alexey Nawalny fehlgeschlagen und dieser todesmutig nach Russland zurückgekehrt war, ließ
Putin ihn – der sich vehement gegen das Unrechtsregime Putins wehrte, sich für Demokratie
und Rechtsstaat einsetzte und den von ihm initiierten Krieg gegen die Ukraine kritisierte – in
einem alle menschenrechtlichen Grundsätze verhöhnenden, brutalen „Archipel Gulag“
sterben, ihn höhnisch amüsiert lediglich einen „Blogger“ nennend. Ist es Zufall oder ein
Zeichen, dass Alexey Nawalny am Tag des Beginns der Münchner Sicherheitskonferenz starb?
Irgendwann werden wir es erfahren, wenn der „Tag der Rechenschaft“ kommt, wie es Julia
Nawalnaya, seine Frau, in unglaublicher Gefasstheit und Zuversicht auf der Konferenz
benannte, zum Beweis dafür „dass wir stark sind, dass wir mutig sind, dass wir (…) anders
leben wollen“.

On the death of Alexei Navalny

After Russian Tsar Nicholas I. sentenced Fyodor Dostoevsky to death in 1849 for
participating in revolutionary circles, he had him pardoned the moment after he and others
had entered the place of execution, the verdicts had been read out and just as the drum roll
began before the fatal shots. Instead, Dostoevsky was sent to a Siberian prison camp for five
years, which he survived, albeit suffering from epilepsy.
Vladimir Putin, who aspires to go down in history as the new “tsar”, is even more devious
and cruel than Nicholas I.
When a poison attack on Alexei Navalny, most probably commissioned by Putin, failed and
he bravely returned to Russia, Putin let him – who vehemently opposed Putin’s unjust
regime, advocated for democracy and the rule of law and criticised the war he intitated
against Ukraine – die in a brutal “Gulag Archipelago” that mocked all human rights
principles, calling him a “blogger” with derisive amusement. Is it a coincidence or a sign that
Alexei Navalny died on the day the Munich Security Conference began? We will find out at
some point when the “day of accountability” comes, as Yulia Navalnaya, his wife, called it
with incredible composure and confidence at the conference, as proof “that we are strong,
that we are brave, that we (…) want to live differently.”


A joint statement by Reporters Without Borders (RSF) Austria &

Vienna Forum for Democracy and Human Rights

“Daphnes Garten” – eine Oper, die sich um den Mord an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia dreht.

am kommenden Wochenende – 16., 17., 18.2. – ist im Wiener Off-Theater die Oper “Daphnes Garten” zu sehen, die sich um den Mord an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia dreht.

Hintergrund:

Daphne Caruana Galizia war eine der bekanntesten Reporterinnen Maltas, ihr Blog Running Commentary wurde mit 400.000 Aufrufen pro Tag mehr gelesen als die maltesischen Zeitungen, für die sie auch hin und wieder tätig war. Sie schrieb immer wieder über kontroverse und heikle Themen. Im Jahr vor ihrem Tod hatte sie im Rahmen der Panama-Papers-Enthüllungen aufgedeckt, dass zwei enge Mitarbeiter von Maltas Premierminister Joseph Muscat Offshore-Konten in Panama und Trusts in Neuseeland eröffnet hatten.

Am 16. Oktober 2017 war Caruana Galizia gerade mit dem Auto an ihrem Haus losgefahren, als gegen 15 Uhr eine unter dem Fahrersitz platzierte Bombe explodierte. Sie war 53 Jahre alt und hinterließ ihren Mann und drei erwachsene Söhne. 

Es gab in Malta zunächst etliche Versuche, die Ermittlungen zu behindern, denn Caruana Galizias Recherchen über Korruption, Offshore-Firmen und Geldwäsche wiesen bis in Maltas Regierungskreise. Ihre Ermordung machte weltweit Schlagzeilen und erschütterte den Inselstaat. RSF forderte immer wieder die vollständige Aufklärung des Falles und ein Ende der Straflosigkeit.

Musik: Erling Wold, San Francisco, nach einem Libretto von Katharina Tiwald

Regie: Peter Wagner

Es spielt die Camerata Sinfonica Austria unter der Leitung von Davorin Mori

Eine Koproduktion von Theaterinitiative Burgenland / klagenfurter ensemble / Offenes Haus Oberwart

Nähere Infos sind hier: https://off-theater.at/project/daphnes-garten/

photo: created by krea.ai

Unterstützung für journalistische Freiheit und unabhängige Berichterstattung

Die Kritik an der Berichterstattung von Armin Coepers aus Mariupol

im Lichte der aktuellen Diskussionen um die Berichterstattung von Armin Coerper aus Mariupol möchten wir als Reporter ohne Grenzen betonen, dass die Rolle eines Journalisten darin besteht, die Realität vor Ort objektiv und unvoreingenommen darzustellen. Herr Coerper hat sich bemüht, ein umfassendes Bild sowohl von den Zerstörungen als auch vom Wiederaufbau in Mariupol zu vermitteln.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Journalisten das Recht haben, von beiden Seiten eines Konflikts zu berichten und ihre Eindrücke vor Ort zu teilen. Pressefreiheit funktioniert nur dann effektiv, wenn Journalisten in der Lage sind, die Wahrheit, wie sie sie vor Ort erleben, frei und unabhängig zu kommunizieren.

Herr Coerper hat subtil darauf hingewiesen, dass vor Ort das russische Narrativ präsent ist und Russland durch den Aufbau moderner Krankenhäuser und Schulen Sympathien gewinnt. Gleichzeitig betont er, dass für die Menschen vor Ort eine funktionierende Gesundheitsversorgung von großer Bedeutung ist. Seine differenzierte Darstellung zeigt, wie Journalisten die politischen Machenschaften und die realen Bedürfnisse der Gesellschaft herausarbeiten können.

Wir von Reporter ohne Grenzen (RSF) verurteilen jegliche Angriffe auf Journalisten und ihre Arbeit. Die freie Berichterstattung über verschiedene Sichtweisen ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie und muss geschützt werden.

Hier geht’s zum Beitrag: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/mariupol-ukraine-krieg-russland-100.html

Schutz vor SLAPPs: EU gibt Mindeststandards vor

Reporter ohne Grenzen (RSF) begrüßt die Einigung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union bei der Anti-SLAPP-Richtlinie (SLAPP, kurz für strategic lawsuit against public participation). Zum Hintergrund: Im Oktober 2017 wurde die Journalistin Daphne Caruana Galizia in Malta ermordet. Gegen sie waren zu diesem Zeitpunkt 48 juristische Klagen anhängig, mit dem klaren Ziel, sie mundtot zu machen. Auch die Europäische Kommission sah damals ein, dass es so nicht weitergehen konnte: Journalistinnen und Journalisten müssen nicht nur vor Gewalt, sondern auch vor missbräuchlichen Klagen besser geschützt werden. Im April 2022 legte die Kommission einen Richtlinien-Vorschlag vor, den die Deutsche Bundesregierung allerdings zunächst mit einiger Skepsis betrachtet hatte.

Es folgten lange Verhandlungen mit dem Rat und dem Parlament. Am 24. Januar hat der für das Thema federführende Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments den Text angenommen. Danach müssen noch der Rat und das Parlament zustimmen, was allerdings als Formsache gilt, denn eine politische Einigung wurde bereits Ende November 2023 erzielt. „Die Europäische Union zeigt mit dieser Richtlinie, dass sie Journalistinnen und Journalisten besser schützen will, wo sie mit juristischen Mitteln zum Schweigen gebracht werden sollen. Wie weit dieser Schutz tatsächlich reicht, hängt nun aber von den Mitgliedstaaten ab”, sagte RSF-EU-Vertreterin Julie Majerczak.

Durch die Richtlinie wird es Gerichten nun erleichtert, Klagen, die „offenkundig unbegründet” sind, zu einem frühen Verfahrenszeitpunkt abzuweisen. So soll vermieden werden, dass die betroffenen Medienschaffenden jahrelang durch juristische Verfahren belastet werden. Denn selbst wenn sie am Ende wahrscheinlich gewinnen würden, verlangt ihnen ein solches Einschüchterungsverfahren erhebliche Zeit- und Geldressourcen ab – genau das ist die Absicht der Klagenden. Deswegen sollen SLAPP-Betroffene nach der Richtlinie auch Schadenersatz erhalten. Und den Klagenden können nicht nur die Verfahrenskosten, sondern auch empfindliche Strafen auferlegt werden. Außerdem sollen Betroffene in Zukunft mehr Unterstützung erhalten: In Form von rechtlicher, finanzieller, aber auch psychologischer Hilfe – denn jahrelange Prozesse sind nicht zuletzt eine große persönliche Belastung.

Darum sind die Mitgliedstaaten nun in der Verantwortung

Auch müssen EU-Mitgliedstaaten in Zukunft gerichtliche Entscheidungen, die in Nicht-EU-Ländern getroffen werden und sich gegen EU-Bürgerinnen und -bürger richten, nicht mehr anerkennen, wenn die Vorwürfe „offensichtlich unbegründet” oder missbräuchlich sind. Wer in einem Drittstaat rechtsmissbräuchlich verurteilt wird, kann dafür ebenfalls im eigenen Land eine Entschädigung bekommen.

Denn die Mitgliedstaaten müssen die konkrete Ausgestaltung der Richtlinienvorgaben festlegen. Sie müssen zum Beispiel klarstellen, wo genau die Schwelle liegt, ab der missbräuchliche Klagen frühzeitig abgewiesen werden können, oder Regelungen zum Schadenersatz finden. Und vor allem müssen sie entscheiden, ob die so gefundenen Neuregelungen, die nach der Richtlinie nur für Fälle mit grenzüberschreitendem Bezug gelten, auch für rein nationale Sachverhalte gelten sollten.

Denn dafür darf die EU keine Vorgaben machen – genauso wenig wie für das Strafrecht. Auch hier müssen die Mitgliedstaaten daher selbst entscheiden, welche Regelung für missbräuchliche Einschüchterungsversuche gelten soll. Aus Sicht von RSF wäre ein möglichst weiter Anwendungsbereich sinnvoll. Nicht zuletzt braucht es dringend eine Anlaufstelle für SLAPP-Opfer in Österreich: Dort sollten diese eine kostenlose Erstberatung bekommen und sich über weitere Schritte und Unterstützungsmöglichkeiten informieren können. Gerade freie Reporterinnen und Reporter verfügen in aller Regel nicht über die Ressourcen, teure Anwälte oder Anwältinnen zu bezahlen. Deshalb werden sie bevorzugt zum Ziel von Drohbriefen, anwaltlichen Abmahnungen und schließlich auch missbräuchlichen Klagen.

“Wenn ich nicht sehe, was auch du nicht siehst”

Ein Kommentar unseres Vorstandsmitglieds Martin Wassermair zur medialen Ausblendung des Globalen Südens im Südwind Magazin Ausgabe 2024/Jan-Feb

🌍 “Wenn ich nicht sehe, was auch du nicht siehst” – In seinem Kommentar beleuchtet Martin Wassermair, Historiker und Vorstandsmitglied von Reporter ohne Grenzen Österreich, die Problematik der medialen Ausblendung des Globalen Südens. Er wirft einen kritischen Blick auf die geringe Präsenz und verzerrte Darstellung dieser Region in den Medien, insbesondere im öffentlich-rechtlichen ORF. Die Verantwortung für eine vielfältigere Berichterstattung liegt nicht nur bei den Medien, sondern auch bei den Mediennutzer:innen. Wassermair ermutigt zu mehr zivilgesellschaftlichem Engagement und betont die Rolle sozialer Medien als Werkzeuge für einen breiteren Blickwinkel. Lesen Sie den vollständigen Kommentar, um zu erfahren, wie jeder Einzelne dazu beitragen kann, den Globalen Süden ins Bewusstsein zu rücken.

Link zum vollständigen Kommentar: https://www.suedwind-magazin.at/wenn-ich-nicht-sehe-was-auch-du-nicht-siehst/

Foto: Zoe Goldstein