Fragile Medienfreiheit in Osteuropa 1. Dezember 2025 Alexander Dworzak ist Mitglied im Vorstand von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich. Im Interview spricht er über die Lage in Ungarn, Tschechien, Polen und der Slowakei sowie die Lehren für Österreich. Pressefreiheit und Medienvielfalt sind als wichtige Grundlagen der Demokratie in den vergangenen Jahren in Ungarn und der Slowakei schwer in Mitleidenschaft geraten. Was ist passiert? Nach dem Erdrutschsieg bei der Parlamentswahl 2010 hat Ungarns Premier Viktor Orbán Medienunternehmen sukzessive unter Kontrolle gebracht. Dies erfolgte dank direktem Zugriff auf öffentlich-rechtliche Anstalten. Zudem wurden privatwirtschaftliche TV-Programme, Radiosender, Webangebote, Zeitungen und Magazine von Orbán-freundlichen Unternehmern aufgekauft. Daraus ergibt sich eine enorme Marktmacht, 80 Prozent der ungarischen Medienlandschaft sind pro Orbán. In der Slowakei erschütterte der Mord am Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová 2018 vieler BürgerInnen. Seit dem Fall des kommunistischen Regimes protestierten nicht mehr so viele Menschen im Nachbarland. Ihr Zorn galt auch der Regierung des damaligen Premiers Robert Fico, über deren mutmaßliche Verbindungen zur organisierten Kriminalität Kuciak recherchierte. Fico legte sein Amt 2018 nieder. Seit der Parlamentswahl fünf Jahre später ist er wieder Regierungschef – und in offener Feindschaft zu unabhängigen Medien. In beiden Fällen handelt es sich um Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Wie ist es möglich, dass derart fundamentale Prinzipien für die Sicherstellung einer unabhängigen Medienlandschaft ausgehebelt werden können? Orbáns Umbau der Medienlandschaft traf die EU völlig unvorbereitet. Noch dazu genoss er über Jahre Schutz durch die Europäische Volkspartei, deren Mitglied die ungarische Partei Fidesz war. Die EVP stellt die größte Fraktion im Europäischen Parlament sowie die Spitze der EU-Kommission. Erst 2024 gelang auf EU-Ebene mit dem Europäischen Medienfreiheitsgesetz (EMFA) eine großes Gegenkonzept, in dem auch viel Wert auf Transparenz gelegt wird. Dazu gehört, dass Medien Informationen über ihre Eigentümer bekanntgeben müssen. Zentrale Probleme bleiben jedoch, etwa, wie Unabhängigkeit gewährleistet wird. So löste die Regierung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTVS auf und ersetzte ihn durch die Anstalt STVR. Deren Generaldirektorin Martina Flašíková wurde von einem neunköpfigen Gremium gewählt – gleich vier dieser Personen werden direkt vom Kulturministerium nominiert. Was bedeutet der repressive Kurs für die weitere Entwicklung? Welche Hoffnungen darf der kritische Journalismus für die nähere Zukunft haben? Momentan besteht eher Sorge vor einer Verschlechterung der Lage als Hoffnung auf Besserung. Tschechiens Ex-Premier Andrej Babiš strebt nach seinem Wahlsieg im Herbst zurück an die Macht. Er nimmt sich Fico zum Vorbild und will, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk anstatt über eine Gebühr künftig direkt aus dem Haushaltsbudget finanziert wird. In Polen wurde die nationalkonservative Partei PiS zwar abgewählt, sie hatte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gekapert. Die neue Regierung müht sich allerdings bei der Reform, da PiS die Kontrolle über Medien zwei der Partei nahestehenden Räten übertragen hat. Wie kann sich Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich solidarisch verhalten? Wie steht es um die Zusammenarbeit mit betroffenen Medien in den östlichen Nachbarländern? Journalistinnen und Journalisten aus den vier ostmitteleuropäischen Ländern Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen sind regelmäßig zu Gast bei Diskussionsveranstaltungen in Österreich. Leider hält sich das öffentliche Interesse an Medienfreiheit in der Region in Grenzen. Nicht einmal der Umstand, dass der österreichische Investor Heinrich Pecina seine Orbán-kritische ungarische Tageszeitung von einem Tag auf den anderen einstellte, sorgte für eine Welle der Empörung. Welche Schlüsse sollten wir aus der illiberalen Medienpolitik unter dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und dem slowakischen Regierungschef Robert Fico für Österreich ziehen? Das mit Abstand wichtigste Medienunternehmen im Lande ist der ORF. Dort muss der parteipolitische Einfluss zurückgedrängt werden, zuallererst im Stiftungsrat, der den ORF-Generaldirektor wählt. Insbesondere ÖVP und SPÖ fällt es hier schwer, mit liebgewonnenen Traditionen zu brechen. Wer aber den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit gesellschaftlichem Mehrwert erhalten bzw. sogar stärken möchte, muss ihn über parteipolitische Zweifel erhaben machen. Fotocredit: Thomas Seifert