edien Nummer 55 | Freitag, 24. Februar 2023


„Sehr simpel und populistisch“

Publizistikprofessor Fritz Hausjell über vorauseilende, diktierte Sparpakete und eine fragwürdige Medienpolitik am Beispiel der neuerlichen Debatte über den ORF.

Von Markus Schramek


Wien, Innsbruck – Der ORF sorgt – wieder einmal – für Schlagzeilen in eigener Sache. Ab 2024 wird die GIS-Gebühr durch eine Haushaltsabga- be ersetzt, in Erfüllung eines Auftrags des Verfassungsge- richtshofes. Medienministe- rin Susanne Raab (ÖVP) hat besagte Abgabe angekündigt und bleibt weitere Details da- zu schuldig. Diese seien „zeit- nah“ mit dem grünen Koaliti- onspartner zu besprechen. Dafür trat ORF-Generaldirek- tor Roland Weißmann zum Offenbarungseid an: Er will in den nächsten drei Jahren im heimischen Großsender 320 Millionen Euro einsparen.

Weißmann kommt mit seinem Sparpaket Zurufen Raabs und von ÖVP-Kanzler Karl Nehammer nach. Vor- auseilend gehorsam, wie In- sider das werten, wohl als Gegenleistung für das neue Finanzierungsmodell der öf- fentlich-rechtlichen Anstalt.


Fritz Hausjell ist stellvertretender Vorstand des Publizistikinstituts der Uni Wien sowie Österreich-Präsident von

„Reporter ohne Grenzen“, eines Vereins zur Wahrung der Pressefreiheit. Foto: APA/Jäger

nahestehenden Personen Raab und Weißmann, der ja ganz offensichtlich auf einem ÖVP-Ticket sitzt?“

Hausjell selbst wird eine Nähe zur SPÖ nachgesagt.

„Ich bin Mitglied des BSA, des Bundes sozialdemokratischer AkademikerInnen, ich bin aber nicht Mitglied der SPÖ“, erklärt der Professor zur ei- genen Person. Sein Interesse am ORF sei berufsbedingt:

„Ich melde mich als Medien- wissenschafter und als Öster- reich-Präsident von ,Reporter ohne Grenzen‘ zu Wort und will beim ORF nichts wer- den.“ Weißmanns Vorgänger am Küniglberg, der SPÖ-nahe Alexander Wrabetz, „musste sich von mir öfter etwas an- hören“, betont Hausjell. „Mit Wrabetz habe ich oft gespro- chen. Das würde ich auch mit Weißmann. Bisher hat er dar- auf verzichtet.“

In den Nachbarländern Deutschland und Schweiz wird eine Haushaltsabgabe zur Finanzierung des öffent-

Den Hammer-artigen An- kündigungen folgt seither erstaunlich wenig Konkretes. Fritz Hausjell, Vize-Vorstand des Publizistikinstituts an der Uni Wien, kann sich eine ver- schmitzte Bemerkung darob nicht verkneifen. „Ich war mir im ersten Moment nicht ganz sicher, ob es sich bei diesem Vorgehen nicht um eine gro- ße Ladung ,SNU‘, strategisch notwendigen Unsinns, han- deln könnte“, ätzt Hausjell im Gespräch mit der Tiroler Ta- geszeitung. Die entstandene Optik sei jedenfalls „verhee- rend“, befindet der Professor. Raab (und mit ihr Kanz-

ler Nehammer) hatten ei- nen „ORF-Rabatt für die Ge- bührenzahler“ verlangt. Die Haushaltsagabe dürfte, den spärlich vorliegenden Infor- mationen zufolge, aber nur unwesentlich niedriger aus-

fallen als die GIS. Hausjells Befund: „Das ist von einer großen Idee weit entfernt, sondern bloß ein sehr simp- les, populistisches Reduzie- ren nach dem Motto ,Wollt ihr einen billigeren ORF?‘“

Dass Raab als Medienpoliti- kerin nach einem ORF-Rabatt verlange, sei schlicht „unver- antwortlich“, meint Hausjell. Es werde bekanntlich immer schwieriger, Medien wie den ORF zu finanzieren, „die mit recherchierten, überprüften Nachrichten der wachsenden Flut an ,fake news‘ entgegen- wirken, die über Social Media verbreitet werden“.

Hausjell nimmt sich auch ORF-General Weißmann zur Brust. Der will u. a. den Sportsender ORF Sport plus und das Radio-Symphonie- orchester aufgeben, eine Ein- sparung von zusammen nicht

ganz 20 Millionen Euro pro Jahr. Weißmann habe sich von der Politik „erpressen lassen“ und kürze mit den Be- reichen Kultur und Sport zwei Kernaufgaben des öffentlich- rechtlichen Rundfunks zu-

Mit Wrabetz habe ich oft gesprochen.

Das würde ich auch mit Weißmann. Bisher hat er darauf verzichtet.“

Fritz Hausjell (Publizistik- Professor, Universität Wien)


sammen, kritisiert Medien- beobachter Hausjell: „Das Radio-Symphonieorchester ist kein Relikt aus der Vergan- genheit, sondern wichtig, um Musik zu pflegen, die nicht kommerziell marktgängig ist. Den TV-Sender Sport plus braucht es, um den Breiten-

sport zu transportieren.“ Sparen sei beim ORF „ein

Dauerzustand, in den letz- ten zwanzig Jahren gab es ein Paket nach dem anderen“, so der Medienexperte. Budgetä- re Eingriffe an mancher Stelle ergäben sich allein schon da- raus, dass sich der ORF, vor allem in digitaler Hinsicht,

„ständig weiterentwickeln und dafür von Teilbereichen verabschieden müsse“. 320 Millionen Euro in drei Jahren kappen zu wollen, berge die Gefahr, „Innovation zu ver- unmöglichen und Strukturen hastig zu zerstören“.

Dass weder Weißmann noch „jemand aus der zwei- ten oder dritten Reihe des ORF gegen das Spardiktat der Politik aufgestanden ist“, wundert Hausjell. Und er fragt sich: „Gab es einen Deal zwischen den sich politisch

lich-rechtlichen Rundfunks schon eingehoben: Jeder Haushalt bezahlt, ungeachtet seiner tatsächlichen Medien- nutzung bzw. vorhandener Geräte; ausgenommen sind niedrige Einkommen.

Wissenschafter Hausjell hält dieses Modell „grund- sätzlich für vernünftig“. Auf Österreich umgelegt, würde er damit aber nicht nur den ORF finanzieren, sondern auch die Wiener Zeitung ret- ten, sie zum „unabhängigen Versuchslabor“ machen für die Herausforderungen von Printmedien in einer digita- lisierten Welt. „Die Zeitung ist noch lange nicht tot“, ist der Uni-Professor überzeugt:

„Wenn aber Medienministe- rin Raab die Wiener Zeitung, die Zeitung der Republik, für tot erklärt, ist das von einer gewissen Symbolik.“