Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich fordert die neue Bundesregierung dazu auf, aus den von der FPÖ geplanten Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit sowie der Medienvielfalt in Österreich die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. „Die Gefahren für Demokratie und Pressefreiheit konnten in letzter Minute abgewendet werden“, erklärt Fritz Hausjell, Präsident von Reporter ohne Grenzen, „umso mehr kommt es jetzt darauf an, die Rahmenbedingungen für kritischen Journalismus und dessen Kontrollfunktion wirksam zu stärken und dauerhaft abzusichern“. Damit würde auch ein wichtiges Signal gesetzt werden, einen weiteren Abstieg Österreichs auf der internationalen Rangliste der Pressefreiheit stoppen zu wollen. Im Jahr 2024 war Österreich bekanntlich auf seinen bislang schlechtesten Wertungsplatz 32 abgestiegen.
Erstens: Stärkung des Journalismus: Medienvielfalt und redaktionelle Unabhängigkeit sind gezielt zu fördern. Inhalte von Anbietern, die sich zur Einhaltung professioneller Standards verpflichten, sollten in Rankings und Empfehlungsalgorithmen bevorzugt werden. Die neue Regierung muss hohe Standards für große digitale Plattformen definieren – insbesondere a) hinsichtlich der Löschung von Inhalten, b) der Strukturierung von Nachrichten in Newsfeeds (mit Priorisierung vertrauenswürdiger Medien, die nach der von RSF initiierten „Journalism Trust Initiative“ (JTI) oder einem vergleichbaren anerkannten Standard zertifiziert sind), c) des Umgangs mit digitaler Gewalt und d) der Bekämpfung von Desinformation.
In der Medienpolitik längst angekommene Schlagworte von der vermeintlich notwendigen Verschlankung von Medien sind gründlich zu hinterfragen. In Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Komplexität sowie kriegsbedingter Propaganda und politisch und wirtschaftlich begründeter Fake News brauchen demokratische Gesellschaften ganz im Gegenteil gut ausgestattete Redaktionen, um einen faktenbasierten und vielfältigen Journalismus zu leisten, der den Bürgerinnen und Bürgern glaubwürdige, weil verlässliche Informationen, anbietet. Personell gut ausgestattete Redaktionen sind zudem besser in der Lage, die Kritik- und Kontrollfunktion an und von Missständen wahrzunehmen und angemessene Einordnung und Orientierungsangebote in Zeiten dynamischer bis disruptiver Entwicklungen zu leisten. Zudem sollte gemeinnütziger Journalismus offiziell anerkannt und steuerlich begünstigt werden.
Die Vielfalt der voneinander unabhängigen journalistischen Angebote ist durch Medienschließungen und -übernahmen längst in einem so niedrigen Bereich angekommen, dass ein massives Gegensteuern durch mehr Journalismusförderung und Innovationsanreize ein Gebot der Stunde ist. Vielfalt lebt zudem durch Vielfalt in den Redaktionen, die durch gezielte Förderung des Qualitätsjournalismus im Bereich Diversität unterstützt werden sollte.
Zweitens: Stärkung der Pressefreiheit: Die neue Bundesregierung sollte den digitalen Schutz der Arbeit von Journalistinnen und Journalisten sowie ihrer Kommunikation effektiv gewährleisten. Das Redaktionsgeheimnis und der Quellenschutz müssen gesetzlich besser verankert werden. Auch ein Recht auf Verschlüsselung ist essenziell. Zudem bedarf es einer effizienten Kontrolle der Nachrichtendienste, um illegale Überwachungsmaßnahmen gegen die Presse wirksam zu unterbinden.
Eine Stärkung der Pressefreiheit ist auch dadurch zu erreichen, dass Bürgerinnen und Bürger in ihrer Medienkompetenz wesentlich stärker als bisher unterstützt werden. Das Erkennen von Fake News und aller Varianten von Propaganda, das Unterscheidenkönnen von relevanz- und faktengeprüften journalistischen Inhalten von einseitigen und faktenarmen bis faktenfreien Inhalten in Formaten, die sich als journalistische Medien tarnen, ist eine wesentliche Grundlage für sachorientierten Dialog und Streit in einer demokratischen Gesellschaft. Das ist nicht nur Aufgabe der Bildungspolitik, sondern auch jene der Medienpolitik, denn diese Kompetenzstärkung brauchen wir aufgrund des erheblichen Strukturwandels der Medienwelt auch für alle erwachsenen Bürger und Bürgerinnen. Eine mögliche Antwort der Medienpolitik wäre die gezielte Förderung von erhellendem neuen Medienjournalismus, der sich gründlich, spannend und Medienprodukte kritisch prüfend den enormen Unterschieden zwischen den verschiedenen Hervorbringungen der modernen Medienwelt widmet.
Drittens: Stärkung der Sicherheit: Journalistinnen und Journalisten müssen insbesondere bei Veranstaltungen und Demonstrationen wirksamer als bisher vor Übergriffen geschützt werden. Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Justiz sollten stärker gezielt im Umgang mit Medien geschult werden, um deren Rechte und Sicherheit besser zu gewährleisten.
Zudem brauchen wir bessere rechtliche und öffentlich praktizierte Schutzmechanismen sowie öffentlich finanzierte Unterstützungsangebote gegen Angriffe auf einzelne Journalistinnen und Journalisten sowie kritische Medien, die die Einschüchterung oder berufliche Vernichtung zum Ziel haben. Bei Regelungen gegen missbräuchliche Verleumdungsklagen (sogenannten SLAPPs) sollte Österreich mit gutem Beispiel vorangehen – entsprechend den Regelungen des Europäischen Medienfreiheitsgesetzes (EMFA) sowie den Anti-SLAPP-Gesetzen und Empfehlungen der EU.
Viertens: Stärkung der Medienfreiheit und des Journalismus in der Europäischen Union: Die EU-Innovationen im Bereich Social Media sollten massiv unterstützt werden, um den Bürgerinnen und Bürgern mehr alternative Angebote in diesem Kommunikationssektor anzubieten, die die demokratischen Spielregeln stärken, persönliche Nutzerdaten umfänglich schützen und gemeinwohlorientiert sind.
Zudem sollte europäische Medienpolitik einen gemeinsamen digitalen Ausspielkanal von ausschließlich journalistischen Qualitätsmedien aufbauen helfen. Damit könnte zum einen die Refinanzierung der journalistischen Inhalte gestützt werden. Zum anderen könnte durch automatische Übersetzung aller Qualitätsmedieninhalte in alle EU-Sprachen eine journalistisch getriebene europäische Öffentlichkeit gestärkt und die Sichtweisen aller EU-Länder gleichberechtigt wahrnehmbar werden. Die Frage ist zulässig: warum sollte der Anstoß dazu nicht aus einem kleinen Mitgliedsland wie Österreich kommen, in dem der mediale Strukturwandel die journalistischen Medien bekanntlich am härtesten trifft und die Werbeaufträge, die Journalismus bisher zum Teil finanzieren halfen, bald völlig bei den Digitalgiganten gebucht werden, weil die klassischen journalistischen Medien keine angemessenen gemeinsamen Vermarktungsstrategien entwickelt haben?
„Viele unserer Forderungen, Anregungen und Ideen finden sich im aktuell vorgelegten Regierungsprogramm von ÖVP, SPÖ und Neos nicht oder nur ansatzweise“, hält Präsident Fritz Hausjell kritisch fest: „Aber fünf Jahre Gestaltung der Politik können sich bekanntlich nicht darin erschöpfen, nur das zu leisten, was am Beginn einer Periode erkannt wurde und worauf man sich einigen konnte.“ In diesem Sinn setzt Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich auf weitere Entwicklungen der Regierungsprogrammatik, um in Österreich einen deutlich stärkeren und vielfältigeren Journalismus zu ermöglichen und zu ermutigen.
(ROG 01-03-2025)