World Press Photo: “Ein Bild, das ich nie vergessen werde”

World Press Photo: “Ein Bild, das ich nie vergessen werde”

Zwei Schicksale werden aus der Anonymität gehoben – jene von Armutskindern sind derzeit weniger preisverdächtig

Aus heiterem Himmel wurden sie weltberühmt, im wahrsten Sinne des Wortes: Die kleine, zweijährige Suhaib Hijazi und ihr knapp ein Jahr älterer Bruder Muhammad. Erfahren werden die beiden das nicht. Der schwedische Pressefotograf Paul Hansen war am 20. November 2012 in Gaza dem Trauerzug der zwei Kinder begegnet, hatte diesen im Bild festgehalten. Jetzt wurde Hansens Zeitaufnahme unserer Welt zum World Press Photo gekürt. Ohne ihn wären Suhaib und Muhammad so anonym geblieben, wie sie es zuvor waren – sie und ihr Leben.
“Nie vergessen”

“Das ist ein Bild, das ich nie vergessen werde”, so die Worte des peruanischen Jury-Mitgliedes Mayu Mohanna. In einer engen Gasse tragen Männer die Kinder zu ihrem Begräbnis. Im Vordergrund Suhaib, ihr kleines Antlitz ist noch gezeichnet von Verstörtheit und Schmerz: Raketen, die vom Himmel fielen, hatten ihre Familie zerstört. Dahinter Muhammad, ganz im Hintergrund der ebenfalls in ein weißes Totengewand gehüllte Leichnam des Vaters. Nur die Mutter hatte, schwer verletzt, überlebt. Die Stärke des Bildes liegt für die Jurorin im Kontrast zwischen der Wut und Trauer in den Gesichtern der Männer und der Unschuld der zwei kleinen, getöteten Menschen.


Es ist eine Binsenwahrheit, dass zumal in Kriegen auch Fotos als überaus nützliche PR-Waffe dienen. Traurig wäre es jedoch, wenn gerade diesem Bild unterstellt werden sollte, im Dienst einseitiger Propaganda “geschossen” worden zu sein. Hansen, Fotograf der schwedischen Zeitung “Dagens Nyheter”, ist ein seit Jahren international anerkannter Fotojournalist, ausgezeichnet mit einer Vielzahl wichtiger Preise.
“Missbrauch” von Fotos

Nicht minder bedenklich ist, wenn Fotos “missbraucht” werden. Wir erinnern uns an das Bild eines kleinen Roma-Buben, der auf seinem “Spielplatz”, einer Müllhalde im Kosovo, mit einer Spielzeugpistole Richtung Kamera zielt. Die Schweizer “Weltwoche” hatte das Foto im vergangenen Jahr sinnentfremdet als Coverfoto verwendet, als reißerische Visualisierung der zweifelhaften Aufmacherstory: “Die Roma kommen: Raubzüge durch die Schweiz”. Vom Schweizer Presserat wurde die Wochenzeitung inzwischen verurteilt.
Armutskinder mitten unter uns

Kinder haben so etwas berührendes, sei es als bildhaftes Begleitpersonal Wahlwerbender PolitikerInnen, sei es als Kriegsopfer oder als einsame kleine Zeitgenossen in bemühter Heldenpose auf den Müllhalden des ganz normalen Alltags. Was aber ist mit all den Ungesehenen, die nicht minder in Lebensgefahr oder hoffnungsloser Verlassenheit leben, selbst wenn deren Eltern das noch zu kaschieren versuchen: den Armutskindern. Nicht irgendwo auf der großen, weiten Welt, sondern mitten unter uns.
Die Kleinen als große Verlierer

Da schau her: laut EU-Kommission leben in der Europäischen Union derzeit 19 Prozent aller Kinder in bitterer Armut oder sind per Definition armutsgefährdet. In den so genannten Schuldenstaaten sind es gleich ein Drittel jener Kinder, die in Griechenland, Irland, Italien, Portugal oder Spanien leben. Die rigiden Sparprogramme samt familienfeindlichen Kürzungen von Sozialleistungen machen die Kleinen zu den großen Verlierern unseres Jahrhunderts. Heute sind sie noch unmündig, morgen bereits jene Generationen, auf die ihre Staaten auch als künftige Steuerzahler zählen.
Weniger preisverdächtige Bilder

Unmissverständliche Alarmsignale auch seitens der UNICEF. “In den reichsten Ländern der Welt leben Millionen Kinder in Armut”, untertitelt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen ihre 2012-Studie. Allein in der Europäischen Union samt Norwegen und Island leiden 13 Millionen Kinder Not, also gut eineinhalb soviel Menschen wie in Österreich insgesamt leben. Grob geschätzt hat ein Drittel dieser Kinder so genannten Migrationshintergrund. Und die anderen? Eines ist allen gemein: soziale Ausgrenzung, verminderte Bildungs- und künftige Arbeitschancen, gesundheitliche Defizite, schlicht und ergreifend Hunger. Bilder, die solche Kinder zeigen, sind derzeit weniger preisverdächtig. (Rubina Möhring, derStandard.at, 16.2.2013)