Tabubruch aus Sensationsgier

Tabubruch aus Sensationsgier

Mediale Grenzüberschreitung in Österreich und Großbritannien

Gut gelernt ist halb gewonnen. Das dürften sich auch die im Fellner’schen Sold stehenden oe24.at-Newsmacher gedacht haben, als sie am Dienstag einen Liveticker vom Begräbnis des von seinem Vater ermordeten siebenjährigen Berk in St. Pölten schalteten. “Die Mienen der Trauernden sind schmerzverzerrt” war dort unter anderem zu lesen. Lehrmeister dürften die in Sachen journalistischer Ethik, Pietät oder gar Wahrung der Privatsphäre nicht zimperlichen angelsächsische Murdoch-Medien gewesen sein.

Österreichs Presserat hat prompt protestiert, der oe24-Eigner, Wolfgang Fellner, will von nichts gewusst haben, der Ticker wurde eingestellt. Geschehen ist jedoch geschehen. Widerwärtig wurden aus medialer Sensationsgier journalistische Grenzen überschritten. Was folgt als nächster Schritt?


Noch ist die Aufregung groß. Fellners Liveticker sei wirklich das Letzte, der Mann habe jede Pietät und allen Respekt verloren, kommentiert unter anderem der stellvertretende Chefredakteur der Wochenzeitung “Falter” Florian Klenk. Einen Tabubruch ortet die Medienanwältin Maria Windhager. Medienrechtlich ist das leider bisher noch unbedenklich, ergänzt Anwaltskollege Alfred Noll. Ob und was der allgemeinen Empörung also folgen wird, ist ungewiss. Vielleicht sogar gar nichts.

In Großbritannien müssen sich die Verantwortlichen des Murdoch-Konzerns vor einem staatlich eingesetzten Richterausschuss für den begangenen Missbrauch journalistischer Freiheit, sprich Nachrichtenmanipulation und Bestechung verantworten. Murdoch Junior hat bereits notgedrungen seine Führungspositionen niedergelegt.

Schiefes Licht

Die Murdoch-Vertraute und Ex-Chefredakteurin des inzwischen eingestellten Boulevardblattes “News of the World”, Rebecca Brooks, kam nur gegen Kaution zunächst wieder auf freien Fuß. Sie trug wesentlich die Mitverantwortung für die kriminellen Praktiken der Murdoch-Redaktionen. Wir erinnern uns: Polizeibeamte wurden bestochen, Mobiltelefone widerrechtlich abgehört, die Nachrichtenbox des Mobiltelefons eines entführten, bereits ermordeten Mädchens manipuliert. Beweismaterial sollte verschwinden. Dass Rebecca Brooks zwischenzeitlich auch ein inniges Techtelmechtel mit Premier Cameron gehabt haben dürfte, entspricht genauso wenig der sprichwörtlich feinen, britischen Art. Ebenso schief ist das Licht, das nun auf Camerons Ex-Pressesprecher Andy Coulson fällt. Er wurde jetzt wegen Meineids festgenommen und wie Brooks nur gegen Kaution wieder aus der Haft entlassen. Auch Coulson war vor seiner Cameron-Zeit Chefredakteur der Zeitung “Word of the News”. Er hatte in einem ersten Verhör bestritten, von den illegalen Abhörpraktiken der Redaktion gewusst zu haben.

Arme Königin Elisabeth, die heuer ihr diamantenes Regierungsjubiläum feiert: 60 Jahre an der Macht und nun so etwas. Die Queen-Plastikfiguren, die bei Sonneneinfall huldvoll winken, erhalten durch diese Skandale eine traurige Mehrfachbedeutung.

M-dominiert

Nach wie vor sind jedoch auf der königlichen Insel die Murdoch-Medien omnipräsent. Bei innerstädtischen Zeitungsverkäufern, an Flughäfen und Bahnhöfen sind vornehmlich diese zu erhalten. Klar doch, das sind Murdoch-Konzern-eigene Verkaufstände. Andere Medien können sich einen solchen Aufwand nicht leisten. Die breite öffentliche Meinung bleibt M-dominiert.

“The newspaper you are reading is rubbish” – die Zeitung, die Du gerade liest, ist Abfall – groß ist dieser Hinweis in den Londoner U-Bahn-Waggons plakatiert. Gemeint sind die Gratiszeitungen, die, weil kostenlos, offenbar auch wertlos sind und deshalb nach kurzem Durchblättern achtlos liegen gelassen werden. Nicht direkt der Inhalt ist gemeint sondern die extreme Anhäufung von Papier-Müll. Müßig zu sagen, dass der Verursacher dieser Abfallproduktion vornehmlich der Murdoch-Konzern ist.

In Österreich ist die Produktion von journalistischem Müll auf verschiedene Eigner aufgeteilt. Gemein ist diesen, dass, wie es scheint, die Auflagenstärke – als Rattenfängerei für gut bezahlte Inserate – wichtiger sein dürfte als seriöse Inhalte. Die Inserenten spielen mit. Bei oe24 sind allerdings zwei bereits ausgestiegen. Was da am Dienstag passiert war, ging ihnen doch zu weit.

In Österreich wurden von oe24 die Grenzen journalistischer Pietät überschritten. Das ist zunächst “nur” ethisch bedenklich. Die Aufregung könnte also wieder abflauen. Zumal Österreich ein Land ist, in dem auch staatliche Kontrollorgane trotz Anzeichen nicht daran interessiert waren, ob und wie ein ehemaliger Finanzminister locker – manche meinen schamlos – auf Staatskosten ein Finanz-Techtelmechtel mit gewinnorientierten Freunden gepflegt haben könnte. Zu deren und, so wird vermutet, auch zum eigenem Wohl – es gilt natürlich die Unschuldsvermutung. (Rubina Möhring, derStandard.at, 30.5.2012)