ROG-Bericht “Helden und Handlanger. Die Arbeit von Journalisten und Medien in den russischen Regionen”

ROG-Bericht “Helden und Handlanger. Die Arbeit von Journalisten und Medien in den russischen Regionen”

Viele russische Journalisten und Medien überleben nur durch finanzielle Zuwendungen regionaler Verwaltungen, Politiker und Unternehmer. Die ökonomische Notlage übernimmt die Aufgabe einer Zensurbehörde. Wer sich jedoch durch umsichtige Finanzierungsmodelle wirtschaftlich unabhängig macht, kann sich auch inhaltliche Freiräume schaffen. Dies ist das Ergebnis eines neuen Berichts von Reporter ohne Grenzen (ROG) zur Lage der Pressefreiheit in den russischen Regionen, der am 10. September in Berlin vorgestellt wurde.

Für den Bericht “Helden und Handlanger. Die Arbeit von Journalisten und Medien in den russischen Regionen” haben fünf fachkundige Rechercheure die Lage der Medien in sieben ausgewählten russischen Regionen – im Moskauer Gebiet, den Regionen Krasnodar, Perm, Primorje, Altai und den Gebieten Archangelsk und Swerdlowsk – untersucht.

Der neue ROG-Bericht zeichnet ein Bild der Arbeit der Journalisten in der Provinz und der Versuchungen und Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind: ein Atlas zur Lage der Pressefreiheit in der Russischen Föderation, der das berufliche Dilemma der Kolleginnen und Kollegen aufzeigt. In vielen Regionen hat sich in den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs zwar eine zahlenmäßig reichhaltige Medienlandschaft entwickelt. Dennoch sind die Freiräume für unabhängige Berichterstattung nicht größer geworden. Viele Journalisten greifen kritische Themen und Missstände wie Korruption oder gewalttätig niedergeschlagene Proteste aufgrund starker Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Medien, Politik und Wirtschaft nicht auf.


“‘Wer die Musik bezahlt, bestimmt, was gespielt wird’ – die meisten russischen Journalisten haben sich an diese Regel längst gewöhnt”, heißt es in dem ROG-Atlas. Inhaltliche Unabhängigkeit der Redaktion vom Besitzer des Mediums ist ein weit gehend unbekanntes Phänomen.

Zudem sind die Grenzen zwischen redaktionellen und bezahlten Inhalten fließend: “Image-Reklame und ‘sakasucha’ gehören zum Alltag russischer Medien”, schreiben die Autoren des ROG-Atlas. Mit „Image-Reklame” werden in Russland von Journalisten verfasste Werbe-Artikel für einen Politiker oder Geschäftsmann bezeichnet, die für den Leser als PR-Material nicht zu erkennen ist. Noch weitreichender ist das Genre ‘sakasucha’  (von russ. ‘sakas’ = Bestellung): Einige Zeitungsjournalisten werden dafür bezahlt, in ihren Artikeln einen politischen oder ökonomischen Gegner zu kompromittieren.

Wie die Untersuchungsergebnisse zeigen, zwingen die ökonomischen Verhältnisse viele Medien in eine Rolle, die der sowjetischen Tradition entspricht: Sie verstehen sich als Verlautbarungsorgane staatlicher Institutionen. Einige regionale Zeitungen und ein Großteil der Radio- und Fernsehsender sind zudem teilweise oder ganz im Besitz der Region, des Landkreises oder der Stadt.

Staatliche “Informationsverträge” gehören zu den gängigsten Mitteln der Steuerung von Medien. Für eine dem Bürgermeister, dem Gouverneur oder anderen Behördenvertretern genehme Berichterstattung erhalten die Medien finanzielle Gegenleistungen, die in einigen Fällen sogar mehr als 50 Prozent der Einnahmen ausmachen. In der Stadt Sotschi beispielweise, wo die Obrigkeit keine kritische Diskussion zu den Vorbereitungen der Olympischen Spiele zulässt, verschickt die Regionalverwaltung fertige Nachrichtenstücke zu dem Thema an die Sender.

Journalisten, die es wagen, “heiße” Themen aufzugreifen, können schnell vor Gericht landen. Ein beliebtes Instrument von Beamten und Geschäftsleuten im Kampf gegen unliebsame Journalisten ist die Verleumdungsklage. Wie Beispiele aus Primorje, Altai oder dem Moskauer Gebiet zeigen, gibt es auch immer wieder gewalttätige Übergriffe auf Journalisten.

Die Freiräume für Journalisten sind von Region zu Region jedoch sehr unterschiedlich. Als Behördenvertreter in einer Redaktion in Swerdlowsk anriefen und Änderungen eines Berichts wünschten, beharrten die Journalisten auf ihrer Sicht der Dinge. In der Region Perm berichten die Journalisten sogar von einem fairen Umgang der Justiz mit den Medien. Die Richter entschieden bei den meisten Klagen von Behörden gegen Medienvertreter zugunsten der Journalisten. Perm, gelegen am Ural an der Grenze zwischen Asien und Europa, zeigt sich im Umgang mit Presse- und Meinungsfreiheit im Vergleich zu den anderen untersuchten Regionen am liberalsten.

Hier lesen Sie den vollständigen Bericht “Helden und Handlanger. Die Arbeit von Journalisten und Medien in den russischen Regionen”.

ROG-Atlas.pdf