Fall Babtschenko: Staatliche Anerkennung für den Verzicht auf journalistische Ethik

Fall Babtschenko: Staatliche Anerkennung für den Verzicht auf journalistische Ethik

Blogbeitrag von Rubina Möhring
der Beitrag erschien zuerst im Standard

Beschädigt wurde bei dem jüngsten ukrainisch-russischen Secret-Service-Match vor allem eines: die Glaubwürdigkeit der journalistischen Zunft

Ganz schön krass, ja, irrwitzig ist das, was sich dieser Tage rund um den Kreml-kritischen russischen Journalisten Arkadi Babtschenko in der ukrainischen Hauptstadt Kiew abspielt. James Bond im Dienst seiner Königin wäre wohl kaum “amused” angesichts der Grobschlächtigkeit der in Kiew aktiven Geheimdienste. So agiert kein hochprofessioneller 007. Beschädigt wurde bei dem jüngsten ukrainisch-russischen Secret-Service-Match jedoch vor allem eines: die Glaubwürdigkeit der journalistischen Zunft. Mag sein, dass auch dieser scheinbare Nebeneffekt ganz konkret beabsichtigt war.

Was bisher geschah: Breaking News am 29. Mai: Arkadi Babtschenko wird im Stiegenhaus seines Wohnhauses angeschossen. Angeblich rinnt in Strömen Blut – Theaterblut? Babtschenkos angeblich ahnungslose Ehefrau ruft den Rettungsdienst. In dessen Rettungswagen verstirbt angeblich Babtschenko auf dem Weg ins Krankenhaus. Als das publik wird, sind alle, die ihn kennen und schätzen, erschüttert. Kerzen werden entzündet, Blumen niedergelegt. Berührende Nachrufe werden geschrieben. Verwandte und Bekannte weinen und gedenken seiner.

Alles anders
Tags darauf ist plötzlich alles anders. Jene, die um ihn ehrlich getrauert hatten, werden kaltblütig düpiert. Am späteren Nachmittag gibt Babtschenko gemeinsam mit dem ukrainischen Geheimdienst in Kiew eine Pressekonferenz und sagt sinngemäß: Sorry, mein Tod war ein Fake. Mir blieb keine andere Wahl. Sie sehen, ich lebe.

Inzwischen ist klar, dass er nun die ukrainische Staatsangehörigkeit erhalten wird. Das ist der Lohn für seine Loyalität gegenüber dem ukrainischen Geheimdienst. Zugleich ist dies wohl auch eine staatliche Anerkennung für den Verzicht auf jedwede journalistische Ethik. Durchgespielt in einem Land, das es mit demokratischen Grundsätzen nicht genau nimmt. Lächelnd erklärt wird die Farce von einem russischen Journalisten, der offenbar hofft, auf diese Weise seine persönlichen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Zuvor galt er als einer der brillantesten Journalisten, zwar leicht brutal anderen gegenüber, aber nicht zu korrumpieren. Bevor Babtschenko Journalist wurde, war er übrigens Soldat der russischen Armee.

Makaber und geschmacklos
Babtschenko zeigt jenen, die ihm Verrat am Berufsethos vorwerfen, symbolisch den Mittelfinger. Moralinsauer sei deren Kritik, würden sie selbst in solche einer Situation Held oder Heldin spielen? Vergessen sind für ihn offenbar auch alle jene Kolleginnen und Kollegen, die in seinem Heimatland Russland tatsächlich ihr Leben riskierten, um sich und den Geboten vertrauenswürdigen Journalismus treu zu bleiben. All jene, die tatsächlich ermordet wurden, in Gefängnissen oder Gulags landeten. Ganz offensichtlich ist Babtschenko vor allem ein Diener seiner selbst. Diese Schmierenkomödie, bei der er als Hauptdarsteller mitspielte und die inszeniert wurde, um einen mutmaßlichen Attentäter dingfest zu machen, war bis zur Unerträglichkeit makaber und geschmacklos.

Zugleich ist Babtschenkos Verhalten auch ein Symptom für die Brutalisierung unserer Gesellschaften und die Nivellierung allgemeinen Denkens und Empfindens. Mehr und mehr entwickelt sich – nicht nur in der Ukraine – journalistische Arbeit zu einem Minenfeld in Sachen Anstand und Würde. Wer nicht mitmacht, bleibt außen vor. Im Fall Babtschenko bedeutete das: Stirb oder simuliere stattdessen einfach für ein paar Stunden, du seist eines gewaltsamen Todes gestorben. Ja, den ukrainischen Pass bekommst du. Nein, eine neue Identität nicht. Dein Ruf ist nun zwar ruiniert. Doch wenigstens ist durch diese Aktion der russische Geheimdienst blamiert.

Das Ansehen des journalistischen Berufsstands ist sicherlich durch das Babtschenko-Spiel beschädigt worden. Ob auch dem russischen Geheimdienst das ganze Spektakel wehgetan hat, sei dahingestellt. Warten wir es ab. Vielleicht gibt es ja noch ein Nachspiel.