Erinnern und Zeichen setzen gegen Antisemitismus

Erinnern und Zeichen setzen gegen Antisemitismus

Gedenkkundgebung Sonntag am Heldenplatz

Blog von Rubina Möhring

Antisemitismus in Österreich? Aber nein, der herrscht nur woanders, in Ungarn vielleicht, oder Frankreich, wo gerade Twitter per Gerichtsentscheid antisemitische Einträge löschen muss, oder sonst wo auf der Welt. Hierzulande gibt es ja nicht einmal einen offenen “Antisemitismus”-Ball, stattdessen heuer nur terminlich und örtlich prominent platziert den “Ersten Wiener Akademikerball” der FPÖ: am 1. Februar in der Wiener Hofburg, zwei Tage nach dem 80. Jahrestag von Hitlers fatalem Rutsch an die Macht. Ein verkappter Erinnerungsball?

Bekanntermaßen ist die FPÖ im rechten Eck angesiedelt, seit vergangenem Jahr sieht ihr Vorsitzender jedoch in sich sowie in Mitgliedern und Freunden dieser Parlamentspartei die “neuen Juden” Österreichs. Akademiker ist der Herr übrigens nicht, genauso wenig wie so manch anderer FPÖler. Noch ein seltsamer Etikettenschwindel? Niemand wundert sich darüber, am wenigsten die Massen-Medien.
Oper “Spiegelgrund”


Wen wundert es zudem, dass die Veranstaltung im Parlament anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktags für FPÖler offenbar nicht von großem Interesse war. “Spiegelgrund” lautet der Titel jener Oper von Peter Androsch, zu deren beeindruckenden und berührenden Uraufführung Parlamentspräsidentin Barbara Prammer am Freitag in den Historischen Sitzungssaal eingeladen hatte. Eine Oper im Gedenken und voller Respekt vor dem Leid von nicht weniger als 789 kranken und behinderten Kindern, die im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasie-Programmes unter Hitler zu Tode gequält wurden. Im Spiegelgrund, der “Kinderfachabteilung” der Baumgartner Höhe. Erst 2002, also vor gerade einmal zehn Jahren, wurden deren sterbliche Überreste in einen Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt.

Vertont wurden unter anderem Texte von Schriftstellern des antiken Sparta. Wohlbemerkt in der altgriechischen Urfassung, für Nicht- und Doch-AkademikerInnen ein Höhepunkt. Im Programmheft eine kritischen Analyse Hitlerscher Hymnen auf spartanische planmäßige Rasseerhaltung: auf die systematische Vernichtung “unwerten Lebens”, die die “Spartjaken” praktiziert hätten. Das “Judenchristentum hat die Antike nicht verstanden”, meinte seinerzeit A.H. Die Spartaner waren für ihn die Elite des antiken Griechenlands. Approbierter Altphilologe war A.H. nicht.
Provokation am Ring

Die Jetztzeit nicht verstanden haben offenbar jene , die kürzlich die Straßenschilder des Wiener Universitätsringes wieder mit “Dr.-Karl-Lueger-Ring” überklebt hatten. Ob hier selbsternannte Akademiker am Werk waren ist nicht bekannt. Aus Sicht des Gedenkdienstes war diese Aktion allerdings eine “Provokation gegen ein tolerantes und gegen Antisemitismus gerichtetes Selbstverständnis Wien” war.
Rassismus und Antisemitismus in Ungarn

Ob das heutige Österreich “Antisemiten-frei” ist, lässt sich zumindest empirisch nicht belegen. Wieder salonfähig wie in Ungarn ist Antisemitismus jedenfalls derzeit nicht. In Budapest gingen Mitte Jänner hunderte Menschen auf die Straße, um gegen den Publizisten und Orbán-Freund Zsolt Bayer zu demonstrieren. Gefordert wurde der Ausschluss des Schreibers aus Viktor Orbáns rechtskonservativer Regierungspartei.

Immer wieder bedenkt dieser in Artikeln Menschen mosaischen Glaubens mit hier nicht zitablen Schimpfwörtern, verunglimpft Juden und andere der ungarischen “Herrenrasse” nicht genehme Minderheiten wie Roma und Sinti. A.H. hätte seine Freude an diesem Schreiberling gehabt. Auch im Jänner, allerdings 2011, wurde Zsolt Bayer übrigens von der ungarischen Regierungspartei Fidesz mit einem hohen Kulturpreis ausgezeichnet.

Rassismus und Antisemitismus sind zwar nicht Budapester Regierungs-Programm, dennoch suchen immer mehr ungarische Juden in Österreich eine neue Bleibe. Die Angst ist größer als das Vertrauen in die Orbán-Partei, längst ist die Atmosphäre vergiftet. Zitat Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien: “Es beginnt immer mit dem Wort.”

Gedenken am Sonntag

Nach der Holocaust-Gedenkfeier im österreichischen Parlament schließt vor dem Palais Epstein zufällig 48er die Türen und rattert Richtung Baumgartner Höhe los. Vom Epstein blickt man auf den Heldenplatz. Dort fand am Nachmittag des 27. Jänner anlässlich des Holocaust-Tages, der Befreiung des KZ Auschwitz vor 68 Jahren, eine Gedenkkundgebung statt: “Erinnern und Zeichen setzen”. Da waren es bis zum 30. Jänner, dem Tag Hitlers unheilvoller, einstiger Machtergreifung, noch drei Tage.